Wie viele Menschen kennen Sie eigentlich, die von Burn-out betroffen sind? Vielleicht Ihren Nachbarn? Ihre Kollegin? Ihre Mitarbeiterin? Sie selbst? Es ist in aller Munde, in allen Medien und schleicht umher wie eine hochansteckende Seuche. Dabei war es doch lange gar keine medizinisch anerkannte Erkrankung. „Ursprünglich verstand man unter Burn-out die negativen Folgen der beruflichen Überbeanspruchung von Menschen, die einen helfenden Beruf ausübten“, erklärt Dr. Hertha Mayr von der Landes-Nervenklinik Wagner Jauregg in Linz. Mittlerweile finden sich aber viele in dem Konzept wieder. „Tatsache ist, dass Burn-out eine Erscheinung ist, die uns sehr beschäftigt – und auch Dienstgeber und die Gesellschaft beschäftigen muss“, so die Fachärztin für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin.
Doch was ist Burn-out eigentlich? Ein Knall und plötzlich ist das Feuer erloschen? „Ganz im Gegenteil. Es ist ein kontinuierlicher Prozess“, so Mayr. Man müsse sehr gut aufpassen, dass der Begriff nicht verwässert wird. „Wer zwei Tage müde und antriebslos ist oder zeitweise beruflich überlastet, der hat noch kein Burn-out.
Rita sitzt in ihrem Bett und starrt auf das Bild auf der Wand. Moderne Kunst. Sie hatte eigentlich nie etwas für Kunst über. Aber nachdem ihr ursprünglich auf zwei Jahre befristeter Vertrag verlängert wurde und sie gleichzeitig eine Gehaltserhöhung bekam, wollte sie sich etwas Teures für ihre Wohnung anschaffen. Etwas, das sie täglich daran erinnern sollte, wie sehr sich ihr Fleiß, ihre unzähligen Überstunden und ihr Verzicht auf jegliche Hobbys gelohnt haben. Mittlerweile hängt das Bild nicht mehr in ihrer 2-Zimmer-Wohnung, sondern in einem Architektenhaus, das sie sich gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten gekauft hatte. Ihr Lebensgefährte. Der ist vor sieben Monaten gestorben. Plötzlich und ohne Vorwarnung. Nun sitzt sie alleine in dem großen Haus und muss das Darlehen ohne ihn zurückzahlen. Lieber verkaufen und in eine Wohnung ziehen? Das ist nur eine der vielen Fragen, die durch Ritas Kopf schwirren. Eine Pflegerin für ihren Vater organisieren? Was hatte sie noch mal mit dem Kunden – dem wichtigsten der Firma, wie ihr Chef immer betont – vereinbart? Hatte ihre Freundin nicht vor drei Tagen angerufen? Und gestern schon wieder? Warum ruft sie nicht zurück? Und die Nachbarin. Der hatte sie doch versprochen, endlich einmal vorbeizuschauen, um das Baby zu bewundern. Das ist Monate her. Oder war es gestern? Wo sind nur die Unterlagen für das Meeting heute? Wie scheußlich das Bild doch eigentlich aussieht. Rita versucht sich zu bewegen. Es funktioniert nicht. Ihre Beine sind schwer wie Blei, alles dreht sich um sie herum. In zehn Minuten beginnt die Besprechung. Warum ist ihre Bettwäsche eigentlich flieder? Wer kauft schon fliederfarbene Bettwäsche? Emotionale Erschöpfung, reduzierte berufliche Erfüllung und der Rückzug aus seinem sozialen Umfeld, das sind die drei Symptome von Burn-out. Häufig ist es das Endergebnis mehrfacher persönlicher und beruflicher unbewältigter Belastungen. „Es gibt verschiedene Phasen. Zunächst versucht man, sich zwanghaft zu beweisen, vernachlässigt immer mehr seine eigenen Bedürfnisse. Schließlich verdrängt man Konflikte und aufgetretene Probleme, zieht sich zurück, verliert das Gefühl für die eigene Person bis man eine innere Leere spürt. Eine Erkrankung, die unbedingt behandelt werden muss, ist es dann, wenn Schlafstörungen und körperliche Beschwerden auftreten und wenn falsche Methoden, wie etwa der Konsum von Alkohol oder Drogen, gewählt werden, um den Stress zu bewältigen“, erklärt Hertha Mayr.
Ist Burn-out ein Problem des Menschen oder des Arbeitsplatzes? „Es gibt sicher Arbeitsbedingungen, die so sind, dass jeder daran erkranken würde. Aber grundsätzlich ist Burn-out sowohl ein Problem des Menschen als auch des Arbeitsplatzes“, so die Oberärztin. Faktoren wie befristete Arbeitsverträge, die Selbstverständlichkeit von Überstunden, die Mehrfachbelastung von Berufsarbeit, Erziehungs- und Hausarbeit und auch die Pflege von Angehörigen sind Bedingungen, die Stress verursachen. Doch Stress trifft jeden. „Wir Menschen sind Wesen, die körperlich und psychisch dafür ausgerichtet sind, mit Stressfaktoren umzugehen, sonst könnten wir nicht überleben“, sagt Hertha Mayr. Damit dieser Mechanismus aber funktioniere, brauche unser Körper auch immer wieder Erholungsphasen. Und genau diese würden wir ihm nicht gönnen. „Wir organisieren uns unser Leben so, dass es oft keine Puffer gibt, wo man wieder etwas auffangen kann. Unsere Termine sind ganz dicht geplant – und dann kommt es zur Stresseskalation und Überlastung.“ Erholung sei in unserer Zeit aber unmodern. Banale Dinge wie Pausen und Zeiten, denen nichts zugeordnet ist – nicht einmal Sport – kommen viel zu kurz. „Ich glaube, dass es manchmal sinnvoller ist, nicht laufen zu gehen. Ich sehe immer wieder Läute mit rotem Kopf durch den Wald laufen – die stehen ungeheuerlich unter Druck. Wenngleich Bewegung etwas sehr Gutes ist, um Stress abzubauen. Es hängt aber davon ab, inwiefern es mein Bedürfnis ist, mich zu bewegen oder inwiefern ich mir den Sport verordne“, so Mayr. Es komme darauf an, wieder seine Bedürfnisse zu spüren: Worauf hab ich eigentlich Lust?
Wie gut wir mit Stress umgehen können, das hängt auch mit unserer persönlichen Verletzlichkeit zusammen. Je verletzlicher ein Mensch ist, desto eher macht ihn eine Stresssituation instabil. „Es gibt Menschen, die aufgrund ihrer Lebensgeschichte selbstsicher sein können, andere empfinden mehr Angst – dadurch haben für sie Herausforderungen eine ganz andere Bedeutung und stellen einen größeren Stress dar.“ Besonders verletzlich werden wir dann, wenn wir Verluste erleben – etwa den Tod eines geliebten Menschen. Auch perfektionistische Menschen hätten oft Schwierigkeiten, Stress zu bewältigen. Kann man denn an seiner Verletzlichkeit arbeiten? „Wenn ich stark mit Angst und Unsicherheit verbunden bin, dann gibt mir eine Psychotherapie gute Möglichkeiten, zu lernen, selbstsicherer zu werden“, rät Hertha Mayr. So könne man lernen, Stresssituationen anders wahrzunehmen und anders zu interpretieren. Es gehe schließlich darum, wie man Stress empfindet. Interpretiere ich etwas hinein und nehme gleich das Schlimmste an? Oder verlasse ich mich darauf, dass ich das Problem bewältigen kann.
Mittlerweile sind acht Wochen vergangen. Acht Wochen, in denen Rita stationär behandelt wurde. Die unerträglichen Kopfschmerzen, die vielen schlaflosen Nächte, die Gläschen Wein am Abend, die immer mehr wurden und diese völlige emotionale Erschöpfung, hinderten sie daran, überhaupt noch aus dem Bett zu kommen. Heute fühlt sich Rita gestärkt. Ein mulmiges Gefühl spürt sie schon noch, wenn sie daran denkt, wieder an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren. Doch sie freut sich auch darauf.
Ziel der Behandlung war es von Anfang an, dass sie wieder zurückkehren kann. Mit ihrem Vorgesetzten hat sie schon ein langes, ausführliches Gespräch geführt. Die Gewissheit, dass ihr Arbeitsbereich nun klarer abgesteckt ist, gibt ihr Selbstvertrauen und Motivation. Sie hat sich nun neue Ziele für ihr Leben gesteckt. Und das ist gut so. Sie ist erst 32 Jahre jung.
„Relativ neue Untersuchungen zeigen, dass vor allem junge Menschen von Burn-out betroffen sind“, weiß die Ärztin an der Landesnervenklinik Wagner-Jauregg. Warum, das sei noch ungewiss. Wahrscheinliche Gründe sind aber, dass vor allem junge Menschen in kurzer Zeit schon sehr viel Verantwortung übernehmen müssen und damit möglicherweise überfordert sind. Auch befristete Verträge und Home-Office-Tätigkeiten, wo das Abstecken von Arbeitszeit und Freizeit sehr schwierig ist, tragen maßgeblich zur Überbelastung bei.
„Ja, ich glaube schon, dass man Burn-out vorbeugen kann“, ist Hertha Mayr überzeugt. „Dazu muss man sich einen Lebensstil aneignen, bei dem die eigenen Bedürfnisse zählen, wo es Zeit gibt, auf sich selbst zu horchen.“ Wichtig seien auch die sozialen Kontakte, die man nicht aus Verpflichtung eingeht und pflegt, sondern Gefallen daran hat. Gute Vorbeugungsmaßnahmen sind auch: Humor, Entspannungsverfahren wie Yoga, fernöstliche Methoden, Achtsamkeit, im Hier und Jetzt leben sowie Ruhe. Und sich immer wieder die Frage stellen: Was ist mir wichtiger?_
gefragt.
LR RUDI ANSCHOBER
Für Landesrat Rudi Anschober ist Burn-out nicht einfach nur ein Begriff. Er war selbst betroffen. Mittlerweile hat er seine Regierungsgeschäfte wieder aufgenommen und ist daher das beste Beispiel dafür, dass Burn-out keine Sackgasse sein muss. Sondern neue Wege aufzeigen kann.
Was raten Sie Betroffenen?
Ich rate ihnen, erste Symptome ernst zu nehmen und sofort den Hausarzt aufzusuchen. Je früher ein Burn-out erkannt wird, desto besser sind die Genesungschancen.
Was hat Sie die Erkrankung gelehrt?
Ich habe aus der Erkrankung gelernt, dass meine Gesundheit erste Priorität hat und ich jeden Tag auf eine Balance zwischen meinem privaten Leben und meinem Beruf achten will und muss.
Kann man Burn-out vorbeugen?
Prophylaxe ist das wichtigste Thema überhaupt: sich nicht aus den Augen zu verlieren, auf die Balance zwischen Privat- und Berufsleben achten, sich genug Zeit für sich selbst zu nehmen, sich gut in einem Freundeskreis zu verankern, den Beruf wichtig zu nehmen, aber das eigene Wohlbefinden wichtiger. Eine hohe Verantwortung haben aber auch Unternehmen – gerade im Betrieb kann durch Prophylaxearbeit viel Positives erreicht werden.
BURN-OUT
Symptome.
chronische Erschöpfung
Schlafstörungen
depressive Stimmung
körperliche Befindlichkeitsstörungen
Beziehungsstörungen
Risikoverhalten (Missbrauch von Alkohol und Medikamenten, Essstörung, Bewegungsmangel, Rückzug von Interessen)
Vorbeugung.
Was kann das Team tun?
Belastungen sehen und darauf reagieren
gegenseitige Unterstützung (auf persönliche Schwierigkeiten eingehen)
reflektierende Teamkultur
Fort- und Weiterbildung
Unterstützung von außen durch Coaching
Was können Führungskräfte tun?
auf Fairness achten, ansprechbar sein bei Problemen, Rücksicht auf persönliche Schwierigkeiten nehmen
Belastungen sehen und darauf reagieren
Arbeitsplatzqualität verbessern
Balance zwischen Mitsprache und Kontrolle halten
Anerkennung vermitteln, Konfliktkultur, Rückmeldungen geben, konstruktiveKritik vermitteln
Schutzfaktoren.
arbeitsbezogen
planbare Arbeitszeit
Rollenklarheit
Einfluss auf Arbeitsabläufe
Anerkennung und Unterstützung
Vielfalt der Arbeit, ohne Überforderung
Arbeitszufriedenheit
Zeit-Management
Wahl des richtigen Arbeitsplatzes – eventuell Wechsel
persönlich
befriedigende Beziehungen
Interessen außerhalb der Arbeit
klare Abgrenzung zwischen Arbeit und Privatsphäre
Stressbewältigungskompetenz (Grenzen setzen, abschalten lernen)
Humor
ausgewogene Lebensweise
Achten auf den eigenen Körper durch Bewegung, Ernährung, Schlaf, Entspannung.
Zu spät für Prophylaxe...
Symptome ernst nehmen
Stop der Selbstbehandlung
Konsequenzen ziehen
neutralen Berater oder Arzt suchen
Unterstützung suchen
Stress-Management
Entspannungstraining
Psychotherapie ambulant
Teilstationäre oder stationäre psychosomatische Behandlung