Wie Russlands Alleingang unsere Wirtschaft beeinflusst
Das Worst-Case-Szenario ist eingetreten: Russlands Präsident Wladimir Putin befahl die militärische Invasion der Ukraine – seitdem erreicht der Konflikt tagtäglich eine neue Eskalationsstufe. Welche wirtschaftlichen Folgen sind in Österreich und der EU bereits eingetreten und noch zu erwarten? Von den Energie- und Gaspreisen über steigende Lebensmittelkosten bis hin zu den Finanzmärkten.
Neues Jahr, neues Glück? Zugegeben: Zunächst sah es danach aus. Die Weltwirtschaft erholte sich nachweislich, seit sich die Coronalage zunehmend stabilisiert. Bis zum 24. Februar. Der Tag, an dem sich Russland unter Präsident Putin dazu entschied, militärisch gegen die Ukraine vorzurücken. Faktisch dauert der Krieg bereits seit der Besetzung der Krim im Jahr 2014 an. Dennoch erreicht der bewaffnete Konflikt zuletzt neue Eskalationsstufen und verschärft sich seither täglich. Dass Putin von einer „Spezialoperation“ spricht, täuscht nicht darüber hinweg, dass es sich bei dieser Invasion um das möglicherweise größte Kriegsszenario seit dem zweiten Weltkrieg innerhalb Europas handelt.
Nach gescheiterten diplomatischen Bemühungen, solidarisierte sich weltweit eine Vielzahl an NATO- und EU-Ländern mit der Ukraine – darunter auch Österreich. Gemeinsam wurden wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland beschlossen. Etwa der Ausschluss aus dem internationalen Finanz-Kommunikationssystem Swift, das Einfrieren russischer Vermögen im „Westen“ oder das Ausfuhrverbot für bestimmte Technologien, Güter und Dienstleistungen, beispielsweise in der Luft- und Raumfahrtindustrie. Maßnahmen, die Russland die wirtschaftliche Grundlage entziehen und Putins Ansehen im eigenen Land schwächen sollen. Zugleich sind das aber auch Konsequenzen, die unsere heimische Wirtschaft zu spüren bekommen wird.
#1 Wirtschaftliche Beziehungen mit Russland
Die positive Nachricht vorweg: Im Vergleich zu anderen globalen Großmächten, fallen die Handelsbeziehungen zu Russland seitens Österreich geringer aus. Nichtsdestotrotz wurden 2020 Importe von rund 2,17 Milliarden Euro aus Russland bewilligt, umgekehrt wurden Waren und Dienstleistungen in Höhe von 2,12 Milliarden Euro exportiert. Darüber hinaus haben in etwa 500 heimische Betriebe Niederlassungen und Tochterunternehmen im russischen Ausland – Jahresumsatz 2019: ganze 10,39 Milliarden Euro. Dabei sollte man nicht vergessen, dass österreichische Geschäftsbeziehungen auch in der Ukraine jährlich rund zweieinhalb Milliarden Euro erwirtschafteten.
Die instabile Lage vor Ort wird nicht nur den akuten Erfolg hemmen, sondern viele Unternehmen auch vor eine ebenso strategische wie moralische Entscheidung stellen. Als Reaktion auf den Krieg hat etwa der britische Ölriese BP beschlossen, sich aus Russland zurückzuziehen. Eine milliardenschwere Entscheidung, die zumindest aus finanzieller Sicht gewiss nicht leicht zu fällen war.
#2 Energieversorgung
Das wohl präsenteste Thema im Kontext des Ukraine-Krieges ist die starke Abhgängigkeit vom drittgrößten Erdölproduzenten der Welt und die dadurch gefährderte Energieversorgung Österreichs. Rund ein Zehntel unseres gesamten Rohölbedarfs decken wir durch russische Ressourcen. In mittlerweile zwei Jahren Pandemie haben einige Ölkonzerne ihre Produktion zeitweise massiv heruntergefahren, aus Mangel an Nachfrage. Für den jetzigen Ernstfall fallen dadurch die benötigten Reservebestände relativ niedrig aus. Preisspitzen können somit nur schwer entschärft werden. Die Quittung erhalten die Österreicher:innen spätestens bei ihrer nächsten Nebenkostenabrechnung. Zeitnah werden zudem die Kosten beim Tanken in die Höhe schießen.
Langfristig darf außerdem nicht außer Acht gelassen werden, was passiert, wenn der russische Gashahn zu bleibt. „Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine stellt Österreich vor eine kritische Situation in der Energieversorgung. Energieministerin Leonore Gewessler muss rasch Maßnahmen ergreifen, um die Versorgungssicherheit in Österreich aufrechtzuerhalten“, fordert etwa Karlheinz Kopf, Generalsekretär der Wirtschaftskammer Österreich. Diversere Gasbezüge und eine rasche Auffüllung der österreichischen Gasspeicher hätten ihm zufolge derzeit oberste Priorität.
#3 Lebensmittelindustrie
Die steigenden Gaspreise reichen allerdings noch weiter. Landwirt:innen fürchten kostspieliger werdende Dünger, die, neben teureren Futtermitteln, ihnen die Produktion erschweren. Für Endverbraucher:innen bedeutet das wiederum, mehr Geld für den Wocheneinkauf einplanen zu müssen. Denn in Summe werden Nahrungsmittel hochpreisiger: Mit Russland und der Ukraine als großen Weizenlieferanten verursacht der militärische Konflikt auf beiden Seiten des Krieges wirtschaftliche Folgen für ganz Europa. Die Alternative für Lebensmittelproduzent:innen sind häufig kostenintensiver – andere Märkte, andere Preise.
Rein aus wirtschaftlicher Sicht sind die Handelsbeziehungen mit der Ukraine nachvollziehbar stark eingeschränkt. Zentrale Exporthäfen des Landes sind bereits blockiert oder werden es in naher Zukunft sein. Hinzu kommt, dass österreichische Bäuer:innen um tatkräftige Saisonarbeiter:innen bangen müssen – immerhin stammt jede:r dritte von ihnen aus der Ukraine.
#4 Finanzmärkte
Das österreichische Bankenwesen ist vergleichsweise intensiv mit dem russischen verflechtet. Auf europäischer Ebene zählt Österreich zu den größten Investor:innen vor Ort. Einer der am stärksten betroffenen Banken mit Investments in Russland ist die Raiffeisenbank International, Österreichs zweitgrößte Bank. Während akut die Notwendigkeit eines Rettungsschirmes diskutiert wurde, gibt RBI-Chef Johann Strobl Entwarnung. Es bleibt also zu hoffen, dass die russische Finanzkrise sich nicht nachhaltig auf das heimische Bankenwesen auswirkt.
Trotz allem sind die Finanzmärkte durch die Ausnahmesituation so volatil, also sprunghaft und unbeständig, wie sie es seit Beginn der Coronakrise nicht mehr waren. An der russischen Börse war das abzusehen, schließlich stürzte der Rubel kürzlich auf ein Rekordtief. Die angespannten Verhältnisse sorgen jedoch selbst an den westlichen Finanzmärkten für Turbulenzen. In den USA, großen Teilen Europas und somit nicht zuletzt auch in Österreich leiden die Börsenkurse unter der Krise. Im Gegenzug profitierte die Kryptowährung Bitcoin vom Ausschluss Russlands aus der Organisation Swift. Und, wie so oft in Krisenzeiten, boomt der Goldpreis.
Europaweit sind sich Expert:innen aber einig: Ein weiterer Anstieg der Inflation ist kaum zu verhindern. Je länger dieser militärische Konflikt also anhält und je größere Ausmaße er annimmt, desto massiver werden die wirtschaftlichen Folgen nicht nur für Russland, sondern auch für Österreich und die europäische Wirtschaft.