11

Oder anders gefragt: Was liegt in unseren Genen? Und was haben wir selbst in der Hand? Wird man 
zum Gewinner geboren oder kann jeder einer werden? Wie holt man das Beste heraus – aus seinen 
Mitarbeitern, aus seinen Kindern, aus sich selbst? Fragen, die wohl keiner so gut beantworten kann wie 
jener Mann, der sich seit Jahrzehnten damit beschäftigt: 

Genetiker Markus Hengstschläger. Wir treffen 

uns mit ihm im Traditionscafé in Wien, unweit seines Instituts für Medizinische Genetik an der Medizinuni 
Wien.

Zehn Uhr am Vormittag. Markus Hengst-

schläger bestellt sich einen Kaffee. Es ist 
der fünfte seit dem Aufstehen heute Mor-
gen. Sein Tag dauert aber auch schon lange, 
schließlich zählt der Genetiker und Best-
sellerautor zu den Frühaufstehern.  Dass er 
ein Morgenmensch ist, hat er sich übrigens 
nicht ausgesucht, das sei genetisch bedingt, 
sagt er. Nebenbei bemerkt bedeutet dies, 
dass man Mitarbeiter mit einem „Morgen-
muffel-Gen" zwar durchaus dazu zwingen 
kann, in aller Früh ihren Dienst anzutre-
ten, produktiver wären sie aber zu einem 
späteren Zeitpunkt. Nur so viel dazu. Das 
Kaffeehaus füllt sich nach und nach. Mit 
Menschen unterschiedlichen Alters, unter-
schiedlicher Herkunft, jung, alt, groß, klein 

- jeder Einzelne trägt eine Fülle an Talenten 

und Fähigkeiten in sich, davon ist Hengst-
schläger überzeugt. Fast genauso sicher ist 
er sich aber, dass die wenigsten Menschen 
diese auch nutzen. Warum? Weil wir so da-
mit beschäftigt sind, uns dem Durchschnitt 
anzupassen, dass wir ganz vergessen, un-
sere Talente zu empowern, also etwas da-
raus machen. 

Genau darum gehe es aber: „Jeder Mensch 
kommt mit einem gewissen genetischen 
Rüstzeug auf die Welt – sozusagen mit Blei-
stift und Papier“, erklärt Hengstschläger. 
Das alleine würde aber noch lange nicht 
reichen, um ein Macher zu sein. Erfolgreich 
werde man erst dann, wenn man seine In-
dividualität entdeckt und diese durch harte 
Arbeit und viel Übung umsetzt. Als Formel 
ausgedrückt: Gene + harte Arbeit = Erfolg. 
Diese Energie, die wir für die Umsetzung 
bräuchten, stecken wir aber in unserer 
Schulzeit vielmehr in unsere Schwächen. 
Denn, mal ehrlich: Was sagen Sie zu Ih-
rem Kind, wenn es mit vier schlechten und 
einer sehr guten nach Hause kommt? Na, 
in den vier Fächern muss es noch ordent-
lich was lernen, in dem einen Fach mit der 
sehr guten Note braucht es sich kaum noch 
anzustrengen, nicht wahr? „Das heißt, wir 
konzentrieren uns zu 90 Prozent darauf, 

etwas auszubessern. Wozu führt das? Die 
jungen Menschen werden dort fleißig sein, 

wo sie nicht talentiert sind. Das führt maxi-
mal zu Durchschnitt, auch in dem Fach, wo 

sie hochtalentiert sind. Am Ende haben wir 
lauter durchschnittliche Menschen und es 
gibt keine Innovation, keine Spitzenleistung, 
gar nichts.“ Nur jede Menge unbeschriebe-
ne Blätter.

Warum wir in 

der Falle sitzen

Wir haben also ein System, das ganz jungen 
Menschen sagt: Du musst in allem gut sein, 
sonst schaffst du’s nicht. „Demnach kann 
man nur Genetiker werden, wenn man in 
Geographie auch gute Noten hat. Das ver-
stehe ich nicht“, so der gebürtige Oberöster-
reicher, der mit seiner vierköpfigen Familie 
in der Nähe von Wien lebt. Er warnt davor, 
dass unser heutiges Bildungssystem sehr 
teuer sei und ebenso teuren Output gene-
riere. Markus Hengstschlägers Stimme 
(übrigens zu 100 Prozent genetisch) wird 
synchron mit seiner Empörung über das 
Bildungssystem lauter, sodass die beiden 
jungen Damen am Nebentisch neugierig 
über ihre Kaffeetassen zu uns blinzeln. Bei-
de streichen sich fast ebenso synchron über 
ihren runden Bauch, welcher offensichtlich 
nicht in näherem Zusammenhang mit der 
Sachertorte vor ihnen steht. Nun ja, bis ihr 
Nachwuchs in Kontakt mit dem österreichi-
schen Schulsystem kommt, dauert es noch 
eine Weile. Vielleicht hat sich bis dahin schon 
etwas verbessert, Hengstschläger hätte je-
denfalls einen ganz konkreten Lösungsvor-
schlag: „Jeder Mensch muss einen aktiven 
Verzicht treiben dürfen in den Bereichen, in 
denen er offensichtlich nicht so talentiert ist, 
um Zeit sowie Energie zu haben, seine Ta-
lente zu empowern.“ Wenn jemand also in 
Sprachen schlecht ist, bedeutet das nicht, 
dass er diese komplett vernachlässigen 
kann, aber es reicht, einen Mindeststandard 

zu erreichen. „Niemand kann ein noch so 
schönes Bild aufhängen, wenn er keinen 

Hammer und Nagel bedienen kann“, so der 
Genetiker. Um sich jedoch auf seine Stärken 
konzentrieren zu können, geht es vorweg 
natürlich darum, diese überhaupt zu erken-
nen. Aufgabe der Eltern? Hengstschläger 
nimmt einen kräftigen Schluck von seinem 
Kaffee und stellt die Tasse sofort wieder hin, 
um mit dem Missverständnis schnellst-
möglich aufzuräumen: „Jetzt stellen Sie 
sich mal vor, zwei naturwissenschaftlich 
begabte Eltern bekommen ein musikalisch 
talentiertes Kind ... wie sollen die denn bitte 
dieses Talent entdecken? Wie sollen sie die 
Musikalität ihres Sohnes oder ihrer Tochter 
erkennen, wenn sie selbst keinen geraden 

Ton herausbekommen?“ Unabhängig da-

von, gebe es auch Eltern, die entweder gar 
keine Zeit haben, sich auf die Suche nach 
den Talenten ihrer Kinder zu machen oder 
keine Lust darauf haben oder aber es fehlt 
ihnen das Geld dazu, das entdeckte Talent 

zu fördern. 

Damit spricht er jenes Thema an, das ihm 
ganz besonders am Herzen liegt: die Erb-
lichkeit von Bildung. „Die Entscheidung, 
ob jemand zu seinen Talenten findet und 
diese erfolgreich umsetzen kann, hängt 
leider zum Großteil von den Eltern ab“, 
sagt Hengstschläger. Auf der einen Seite 
gebe es Eltern, die ihren Kindern die ganze 
Bandbreite an Möglichkeiten bieten, vom 
Ballettunterricht bis hin zum Erlernen ei-
nes Musikinstruments, während es auf der 
anderen Seite Kinder gibt, die keine Chan-
ce darauf haben. „Das ist doch ungerecht!“, 
sagt er in einem Ton, der darauf schließen 
lässt, wie sehr er sich dafür einsetzt, dass 
Kindern schon im Kindergartenalter ge-
holfen wird, sich auf die Suche nach ihren 
individuellen Stärken zu machen. Gerade 
wird ein von ihm empfohlenes Instrument, 
der Bildungskompass, politisch umgesetzt 

– dabei sollen sich Experten auf die Suche 

nach Talenten machen. Außerdem plädie-
re er dringend zur Ganztagsschule: „Denn 
selbst wenn die Eltern sagen, sie können 
die Verantwortung dafür übernehmen, die 

SAGEN SIE MAL, WIE WIRD 

MAN EIGENTLICH EIN MACHER?