90
WER WILL DENN HEUTE NOCH EINE
LEHRE MACHEN?
Um rund 19 Prozent ging die Anzahl der Lehrlinge in Österreich innerhalb der letzten zehn Jahre zurück.
Was Österreich europaweit auszeichnet, droht dem Verfall preisgegeben zu sein. Die
duale Ausbildung
wird von immer weniger Jugendlichen wahrgenommen, so die Experten. Dennoch gäbe es Chancen, die
Lehre wieder zu dem zu machen, was sie ist: eine hochwertige Ausbildung, die viele, vielleicht auch noch
unbekannte Türen öffnet.
„Der Sinn des Lebens ist, deine Begabung
zu finden,“ sagte einst Picasso. Sagen
wir, er hatte Recht. Dann jetzt mal ganz
ehrlich: Haben Sie Ihre Begabung ge-
funden und leben Sie diese jetzt wirklich
aus? Wenn ja, dann gehören Sie zu den
glücklichen knapp 30 Prozent, die heute
das tun, was sie schon immer machen
wollten. Mehr als 70 Prozent der Öster-
reicher üben aktuell nicht den Beruf aus,
den sie in ihrer Jugend ersehnt hatten.
Vielleicht deshalb, weil eine Lehre, mit
der man seine Begabung zum Beispiel
ausleben und fördern hätte können, kei-
nen guten Ruf hat? Und hat sie diesen
Ruf eigentlich zu Recht? Österreich bietet
mit seiner dualen Ausbildung viele Wege,
die auf der Suche nach der eigenen Be-
rufung zum Ziel führen können. Einer der
Wege, die Lehre, erfährt zurzeit jedoch zu
wenig Zuspruch und Anerkennung, sind
sich Experten einig.
Vielgeschätztes Österreich
„Die österreichische Lehrlingsausbildung
ist ein international hoch anerkanntes
Ausbildungssystem. Die duale Ausbildung
ist ein Teil des Erfolgs in Oberösterreich“,
so Landeshauptmann Josef Pührin-
ger. „Im Jahr 2020 werden jedoch alleine
in oberösterreichischen Betrieben rund
16.000 Lehrlinge fehlen.“ In den vergan-
genen zehn Jahren gab es in Österreich
einen Lehrlingsrückgang von rund 19
Prozent. Nicht nur die Anzahl der Lehr-
linge hat sich jedoch deutlich verringert.
Auch die Anzahl der Betriebe, die eine
Lehrlingsausbildung anbieten, sank von
2008 bis 2015 um rund 10.500. Pühringer
möchte in Zukunft verstärkt in die Lehr-
lingsausbildung investieren. Ziel des Lan-
deshauptmanns ist es, die Anteile derer,
die nach dem 15. Lebensjahr keine Aus-
bildung mehr machen, in Zukunft auf Null
zu bringen. Derzeit liegt der Wert bei rund
sechs Prozent – zum Vergleich: in Wien
sind es mehr als fünfzehn Prozent. Bereits
aktuell gebe es in Österreich einen großen
Mangel an Fachkräften, der sich in Zukunft
deutlich vergrößern wird. Dem gegenüber
stehe eine wachsende Arbeitslosigkeit.
„Ein Land ohne Bodenschätze muss auf
Schätze im Kopf setzen!“, fordert Pührin-
ger und betont, dass Bildung und Aus-
bildung entscheidende Erfolgsfaktoren
im Wirtschaftsraum Oberösterreich sind.
„Dazu braucht es nicht nur Unternehmen,
REDAKTION_ANNA DERNDORFER
KREATIV DIREKTION_ALEXANDRA AUBÖCK
FOTOGRAFIE_ENGEL, MARIO RIENER, WAKOLBINGER