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hauptsächlich arbeitet sie selbstständig – sie
kümmert sich um die Organisation von Ver-
anstaltungen, managt Projekte und erledigt
Aufgaben, die kreatives Denken erfordern“,
erzählt er. Die Arbeiten in einem Büro ha-
ben sich in den vergangenen zehn Jahren ge-
waltig verändert. Der Prozess geht weiter, die
Anforderungen an Büromitarbeiter ändern
sich noch stärker, weil selbstständiges sowie
kreatives Denken und empathische Kompe-
tenzen mehr gefordert werden. Gleichzeitig
wird Künstliche Intelligenz Standard-E-
Mails beantworten, Junk-Mails löschen und
Memos durch Spracherkennung in Worte
fassen, ohne sie tippen zu müssen. Schneller,
automatisierter und angenehmer soll es also
werden. „Mein Credo ist ja, dass der Mensch
im 21. Jahrhundert selbst in hochentwickel-
ten Ländern wie Österreich immer noch viel
zu stark mit Routinetätigkeiten beschäftigt
ist – und die halten ihn davon ab, hochwer-
tige und wichtigere Dinge zu machen. So-
wohl in der Dienstleistung als auch in der
Produktion gibt es stets mehr Aufgaben, für
die Menschen immer notwendig sein wer-
den“, so Haindl-Grutsch. Er sieht vor allem
viel Potential für neue Dienstleistungen. Wer
hätte gedacht, dass es im Jahr 2018 Berufe
wie Blogger oder Youtuber gibt und man da-
bei viel Geld verdienen kann?
Während auf der einen Seite also Berufe weg-
fallen werden, kommen neue hinzu. „Das
war immer schon so“, sagt Barbara Stöttin-
ger. „Technologische Innovationen führen
dazu, dass manche Tätigkeiten nicht mehr
gebraucht werden. Aber das bedeutet auch,
dass viele Tätigkeiten, die nicht immer das
Spannendste sind, aufgewertet werden.
Wenn ein LKW-Fahrer dann etwa nicht
mehr das Fahrzeug steuert, kann er bei sei-
nen Auslieferungsaktivitäten andere Aufga-
ben übernehmen, die mehr Spaß machen.“
Ein Spaß, der meist höhere Qualifikation
erfordert. Das sieht Stöttinger optimistisch:
„Natürlich tun sich jüngere Generationen
leichter damit, weil die neuen Technologi-
en schon viel mehr Bestandteil ihres Lebens
sind. Aber sowohl die Unternehmen als auch
die Arbeitnehmer haben jetzt Gestaltungs-
spielraum. Firmen sind in ihren Weiterbil-
dungsaktivitäten gefordert, die sie ihren Mit-
arbeitern zur Verfügung stellen, und auch
Mitarbeiter sind gefordert, diese Angebote
aktiv wahrzunehmen – sich umzuschauen
und ihren Berufsweg für sich selbst in die
Hand zu nehmen. Wir sind den Veränderun-
gen nicht rettungslos ausgeliefert.“
Die Hauptherausforderung für die Arbeits-
welt der Zukunft sei, so auch Haindl-Grutsch,
das Bildungssystem so flexibel zu machen,
dass es auf die neuen Herausforderungen ein-
gehen kann. Er spreche aber bewusst nicht
von einer Bildungsreform, sondern vielmehr
von einer ständigen Verbesserung, die sich
immer wieder an die aktuellen Herausforde-
rungen anpasst. Außerdem sieht er ein weite-
res zentrales Handlungsfeld für die Politik in
der Weiterqualifizierung des Arbeitsmarktes.
„Es ist völlig unzureichend, wie heute Jobs
vermittelt und Umschulungen gemacht wer-
den. Das AMS-System hat über Jahrzehnte
gut funktioniert, aber jetzt ist ein Zeitpunkt,
wo man überlegen muss, wie man arbeitslo-
se Menschen wieder fit für den Job machen
und entsprechend umschulen, qualifizieren
und zum Teil auch aus der sozialen Hänge-
matte holen kann. Der Anreiz, arbeiten zu
gehen, muss deutlich höher sein und der So-
zialtransfer muss jenen helfen, die’s brauchen,
aber mit dem Ziel, dass diese Menschen so
schnell wie möglich wieder auf eigenen Bei-
nen stehen können“, so der Geschäftsführer
der IV Oberösterreich. Dass es im Jahr 2030
für weniger qualifizierte Arbeitskräfte keine
Jobs mehr geben wird, das glaubt er nicht.
„Es wird auch dann und darüber hinaus viele
Jobs geben, die mit mittlerer Ausbildung ein
sehr gutes Berufsleben mit einem vernünf-
tigen Einkommen ermöglichen und nicht
von Maschinen erledigt werden. Nicht jeder
Mensch hat die Sehnsucht nach hochkreati-
vem Werken – aber auch für diese Menschen
wird es gute und erfüllende Aufgaben geben.“
Chance #5
Pioniergeist ist Trumpf.
Die ersten Astronauten, die auf den Mond
geflogen sind, wussten, wie man ein Raum-
schiff navigiert. Sie hatten auch sehr konkre-
te Vorstellungen, was sie am Mond erwarten
würde – dazu wurden viele Hypothesen auf-
gestellt. Wie es dann aber tatsächlich sein
würde, das wussten sie nicht. Es brauchte
also verdammt viel Mut, um aus dem Raum-
schiff auszusteigen. Und dann funktionierte
nicht alles so wie geplant. Sie mussten also
sekundenschnell auf Unerwartetes reagieren.
So ähnlich sieht Stöttinger die Aufgaben der
Führungskräfte im Jahr 2030: „Es braucht
Pionierqualitäten – neben den fachlichen
Qualifikationen braucht es Eigenschaften
wie Mut, Selbstreflexion, Emotionale Intel-
ligenz und die Fähigkeit, schnell auf Verän-
derungen reagieren zu können.“ Muss eine
Führungskraft in Zukunft gleichzeitig ein
IT-Profi sein? „Man kann diese Technologi-
en, die sich im Moment weiterentwickeln,
gar nicht im Detail erfassen, weil sie so kom-
plex und miteinander verknüpft sind und
exponentiell wachsen. Es sei denn, man ge-
staltet sie selbst mit und ist technisch extrem
nahe dran“, erklärt Stöttinger. Die Aufgabe
einer Führungskraft sei es daher vielmehr,
die Anwendungen, Auswirkungen und die
Geschwindigkeit der Technologien zu verste-
hen. „Das alleine ist schon eine gigantische
Herausforderung.“ Die Fragen, die sich eine
Führungskraft daher stellen sollte: Welche
Wir sind den
Veränderungen nicht
rettungslos ausgeliefert.
Barbara Stöttinger
Uni-Professorin und Leiterin
der WU Executive Academy