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Ein Unternehmer schaut selten auf die Uhr. Er will seine Ideen um- und seine Kreativität einsetzen,
will gestalten. Und zwar dann und so, dass es sowohl für die Firma als auch für ihn das Beste ist.
Wär‘s nicht praktisch, wenn jeder Mitarbeiter so fühlen und handeln würde? Michael Schernthaner
dachte sich das auch. Und gibt den mehr als 1.700 Mitarbeitern des Verpackungskonzerns Schur
Flexibles so viel
Gestaltungsfreiraum
, als wären sie selbst Unternehmer.
WIE AUS MITARBEITERN
MITUNTERNEHMER WERDEN
anders genießen und mir ist es egal, weil
ich nicht beeinflussen kann und will, wo
jemand kreativ ist und wo jemand sei-
nen Gestaltungswillen auslebt“, erzählt
Schernthaner, der seit 2017 den nieder-
österreichischen Konzern auf sehr unkon-
ventionelle Art und Weise führt. Zwei
Dinge findet man hier nämlich definitiv
nicht: Fehler und Regeln. Fehler deshalb
nicht, weil man diese hier Irrtümer nennt
(„Man lernt nur, wenn man fällt und aus-
probieren darf“). Und Regeln gibt’s bei
Schur Flexibles sowieso nicht.
Moment mal, wie soll das denn in einem
Konzern mit über 1.000 Mitarbeitern
funktionieren? Und wie kommt man
überhaupt auf so eine Idee? Schernthaner
schmunzelt. Das mit der Idee ist relativ
einfach erklärt. „Begonnen hat es damit,
dass wir hier weder ein sexy iPhone noch
ein schönes Auto produzieren, sondern
Verpackungen. Das alleine reicht also nicht,
um die besten Mitarbeiter anzulocken.
Jungen Menschen ist es aber auch wichtig,
sich mit dem Unternehmen identifizie-
ren zu können, es geht um die Werte, die
hier gelebt werden“, erklärt Schernthaner.
Und darauf konzentriere er sich. Sein
nächster Gedanke war daher: Wie kann
es gelingen, dass die Leute hier die höchs-
te Motivation und den größten Spaß an
der Arbeit haben? Nun ja, dieser Zustand
kommt einem doch bekannt vor. Beim
Hobby zum Beispiel. Oder haben Sie
schon mal auf die Uhr geschaut, wann
es denn endlich vorbei ist, während Sie
etwas mit Leidenschaft gemacht haben?
„Die Zeit verfliegt – einerseits weil man’s
gern macht. Andererseits aber auch, weil
man sich sein Hobby so gestaltet, dass
es Spaß macht.“ Und genau diesen Ge-
staltungsfreiraum hat er im Konzern
geschaffen.
Etwas, das er selbst im Laufe seiner Karri-
ere in Großkonzernen vermisst hat. „Ich
habe mich nie wohl gefühlt in diesen
Redaktion_Susanna Wurm
Fotografie_Tjomas Topf, Schur Flexibles Holding
Für neue Mitarbeiter fühlt sich das meist
erst einmal ziemlich schräg an. Etwa für
den neuen IT-Leiter. Der erzählte drei
Monate nach seinem Arbeitseintritt sei-
nem Chef nebenbei, dass seine Frau mit
den Kindern nun für einige Wochen nach
Thailand zu den Schwiegereltern reisen
würde. Daraufhin Michael Schernthaner:
„Warum bist du nicht dabei?“ Ein verwirr-
ter Blick. Und die Antwort: „Naja, ich
kann ja nicht nach drei Monaten schon
Urlaub nehmen.“ Diesmal ist es Schern-
thaner, der verwirrt reagiert: „Warum
nicht? Es ist doch völlig egal, wo du deine
Arbeit machst. Ob du in Thailand ein paar
Stunden am Tag irgendwo mit Blick aufs
Meer deine Dinge erledigst oder hier, ist
dir überlassen.“
Regeln? Gibt’s nicht.
Es waren schließlich fünf Wochen, die der
Mitarbeiter im Ausland verbrachte. „Da-
mit konnte er sein Familienleben ganz