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Arbeitgeber-

marke

Recruitingvideos, Mitarbeiterbefragungen, agile Organisationen und Maßnahmen zur Vereinbarkeit von 

Familie und Beruf – ein Überblick über 

vier aktuelle Themen aus dem HR-Bereich von Unternehmen

VON UNAUFGERÄUMTEN 

ARBEITSPLÄTZEN UND  

KLAREN ROLLEN

Redaktion_Sabrina Kainrad

Fotografie_Netural; Whitebox: Alois Endl;  

Sky Music: Mario Riener; Wenzl: Harald Schlossko  

Agilität für Stabilität“

Man stelle sich vor: Ein Sportteam am Spielfeld in voller 

Action. Die Spieler müssen aber bei jedem Spielzug der 

gegnerischen Mannschaft erst ihren Trainer konsultieren 

und dieser dann den Vereinsobmann. „Das funktioniert 

nicht, jeder Akteur muss eigenständig reagieren dürfen, 

damit schlussendlich das gesamte Team profitiert“, erklärt 

Netural-CEO Albert J. Ortig an einem Beispiel die Über-

legungen hinter der Einführung einer agilen Organisation 

bei seinem Unternehmen.

Das Linzer Unternehmen Netural entwickelt digitale Servi-

ces für namhafte Marken wie Adidas, BMW oder Swarovski. 

2016 entschied man, dass die Mitarbeiter in ungewissen und 

komplexen Projektumfeldern stabil agieren können sollten, 

und begann mit der Entwicklung des Konzepts für eine agile 

Organisation. Dieser Ansatz habe, entgegen immer mal ge-

äußerten Meinungen, nichts mit Unstrukturiertheit oder „Lais-

sez-faire“ zu tun – ganz im Gegenteil: „Agilität baut auf klaren 

Definitionen auf. Wir verstehen darunter, dass jeder Mitarbei-

ter möglichst überall eigenständig agieren kann und darf, wo 

es die Situation zulässt.“ Irene Bouchal-Gahleitner, zuständig 

für die Organisationsentwicklung, ergänzt: „Rollen, Aufgaben, 

Rahmenbedingungen und Transparenz sind in hierarchischen 

Strukturen bei weitem nicht so ausgeprägt wie in agilen.“

Ein wesentlicher Punkt dabei war, dass alle Mitarbeiter zu 

jedem Zeitpunkt über den gesamten Projektstatus Bescheid 

wissen müssen. Dazu Bouchal-Gahleitner: „Bei der klassi-

schen Hierarchie gibt es immer die Gefahr eines gewissen 

Silodenkens, jeder erledigt seine Arbeit und gibt diese dann 

zum nächsten in der Prozesskette weiter. Diese Fokussierung 

wollten wir durchbrechen.“ Netural führte interdisziplinäre 

Produktunits ein, die aus Mitarbeitern aus allen Bereichen der 

Wertschöpfungskette bestehen, und ordnete diesen fixe Kun-

den zu. In jeder Unit gibt es wiederum verschiedene Rollen, 

die von den Mitgliedern selbst gewählt werden. Dass dabei 

Führungspositionen verloren gegangen seien, sei laut Ortig 

kein Problem gewesen: „Die ursprünglichen Teamleiter wur-

den stark in die Neugestaltung der Organisation eingebunden 

und entwickelten für sich neue Rollen. Die klassische Karri-

ereleiter gibt’s bei uns nicht mehr, aber dafür können die Leute 

viel mehr Facetten ihres Könnens ausprobieren.“ Das Prob-

lem bei der Vergabe klassischer Führungsaufgaben sei auch, 

dass meist fachliche, organisatorische und Management-

kompetenzen in einer Stelle gebündelt werden. Doch Stärken 

seien unterschiedlich verteilt und wer einmal in eine Position 

aufgerückt ist, könne in klassischen Hierarchien seine Funkti-

on selten ohne Gesichtsverlust wieder aufgeben: „Gute Kräfte 

verliert man dann komplett aus dem Unternehmen, nur weil sie 

zum Beispiel keine geborenen Manager sind. In unserer neu-

en Organisation kann jeder alle Rollen ausprobieren und wie-

der zurückgeben.“ Zwei Mal im Jahr wird gemeinsam im Team 

über eine neue Rollenverteilung diskutiert. Neben den Produk-

tionsunits gibt es weitere Teams mit Mitarbeitern, die für inter-

ne Unternehmensprozesse zuständig sind, wie HR oder Cont-

rolling – diese verstehen sich als Dienstleister für die anderen.  

Zwei Jahre hat Netural mittlerweile eine agile Organisation – 

das Resümee ist mehr als positiv: „Wir haben das große In-

vestment nach dem ersten Jahr bereits kompensiert und nach 

dem zweiten Jahr unsere Erwartungen in allen Parametern – 

etwa Qualität unserer Leistung, Kundenzufriedenheit, Fluktu-

ation – weit übertroffen.“ Die IT-Branche gehöre zwar zu den 

ersten, die Organisationsstrukturen tatsächlich agiler aufstel-

len, aber Ortig ist überzeugt, dass diese Entwicklung auch vor 

anderen Bereichen nicht haltmachen werde: „Wir spüren so-

wohl bei Industriebetrieben als auch bei Handels- und Dienst-

leistungsunternehmen großes Interesse an unseren Erfahrun-

gen.“

Die klassische Karriereleiter 

gibt’s bei uns nicht mehr, 

aber dafür können die Leute 

viel mehr Facetten ihres 

Könnens ausprobieren. 

 

Albert J. Ortig 

CEO, Netural