13
eine alternde Bevölkerung sind. Natürlich hat das
Bildungssystem keinen Einfluss auf die demogra-
phische Entwicklung und es wird auch das Pro-
blem des Fachkräftemangels nicht alleine lösen
können. Aber das Bildungssystem verfügt noch
über einiges an Potential, um Teil der Lösung zu
sein. „Bis auf wenige Ausnahmen kann man in
Österreich immer noch alles studieren, was man
möchte. In Summe gibt es für zu wenige Studi-
enrichtungen Aufnahmeprüfungen oder andere
Lenkungsmaßnahmen. Stattdessen gibt es immer
noch Knock-out-Prüfungen. Deshalb haben wir
auch so hohe Drop-out-Quoten und lange Stu-
dienzeiten“, sieht Haindl-Grutsch erheblichen
Verbesserungsbedarf. Einerseits bleiben diese
Menschen dem Arbeitsmarkt über Jahre hinweg
fern und andererseits wird dadurch in manchen
Bereichen ein Überangebot an Arbeitskräften
produziert. Daher fordert Haindl-Grutsch: „Hier
müssen mehr Regeln gesetzt werden, um das
Bildungssystem effizienter zu machen!“ Als Zu-
kunftsforscher auf dem Fachgebiet „Zukunft der
Arbeit“ hat auch Franz Kühmayer diese Entwick-
lungen im Blick: „Im Bereich der Bildung sind
die skandinavischen Länder die internationale
Benchmark. Besonders das finnische Bildungssys-
tem wird immer wieder als Vorbild herangezogen.
Während in Österreich immer noch der Spruch
‚Herkunft ist Zukunft‘ gilt, ist die soziale Durch-
lässigkeit in Finnland wesentlich höher. Soll hei-
ßen: Das Bildungssystem reproduziert dort die
soziale Herkunft nicht so stark.“ Bei Vergleichen
mit anderen Regionen sei allerdings Vorsicht ge-
boten, denn die Kopie eines guten Konzepts ist
kein Erfolgsgarant. „Der Zusammenhang mit der
lokalen Kultur ist ein entscheidender Faktor, der
in die Gleichung miteinbezogen werden muss.
Man muss sich immer fragen: Welche Denkhal-
tung liegt einem guten System zugrunde? Und
wie würden wir diese Denkhaltung durch unsere
Brille interpretieren? Nur so kann man analysie-
ren, welche Aspekte sich davon überhaupt sinn-
voll auf unseren Lebensraum übertragen lassen.“
Jemand, der hautnah von den Besonderheiten des
finnischen Bildungssystems berichten kann, ist
Michael Schernthaner. Nachdem er von seinem
Studium in Österreich nicht sonderlich begeistert
war, hat er zusätzlich ein Studium in Finnland
absolviert: „Für mich war das eine unglaubliche
Erweiterung des Horizonts. In Österreich wird
noch immer sehr mechanisch gelernt und scha-
blonenhaft ausgebildet. Die Finnen haben eine
ganz andere Herangehensweise. Der Fokus liegt
viel mehr darauf, unterschiedliche Lösungswege
für Aufgabenstellungen zu finden und Aufgaben-
stellungen nicht nach Schema F zu lösen. Insge-
samt fördert das finnische Bildungssystem soziale
Kompetenzen und individuelle Fähigkeiten viel
stärker.“ Doch was kann sich Österreich davon
konkret abschauen? „Wir sollten von diesem ge-
neralisierten Gesamtunterricht weggehen und
einen Schritt in Richtung eines individualisierten
Unterrichts machen. Man sollte schon viel früher
die Möglichkeit von freien Wahlfächern bieten,
die Kinder darauf vorbereiten, agil zu arbeiten
und verstärkt Social Skills vermitteln. Fachliche
Defizite kann man nämlich als Unternehmen in
drei bis fünf Jahren ausgleichen – für persönli-
che Defizite reicht nicht einmal ein ganzes Leben
aus“, so Schernthaner.
WERTEWANDEL ERFORDERT
RADIKALES UMDENKEN
Bestätigt wird Schernthaner in seinen Aussagen
auch von der Zukunftsforschung. Denn, wie
Kühmayer verrät, beobachtet sie einen Werte-
wandel in der Gesellschaft. Die Digitalisierung
Bildungsentschei-
dungen müssen im
österreichischen
Schul- und Hoch-
schulbereich besser
gelenkt werden.
Joachim Haindl-Grutsch
Geschäftsführer,
OÖ Industriellenvereinigung