Man fährt fünf Stunden mit dem Auto, um 150 Kilometer auf der Autobahn zurückzulegen. Dabei begegnen einem nicht nur andere Autos und Lastwägen, sondern auch einmal ein Kamel, ein Fahrrad oder ein Elefant. Was für Österreicher völlig absurd klingt, ist in Indien Realität. Und doch gilt das Land als einer der Top-Zukunftsmärkte für exportierende, heimische Unternehmen. Indien war mit circa elf Prozent unter den zehn Ländern mit den in den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres höchsten Exportsteigerungen.
Zukunftsmärkte in Asien und Amerika
Die eindeutige Mehrheit des Außenhandels mit über 68 Prozent macht Österreich mit den Ländern der Europäischen Union.
Betrachtet man den gesamten europäischen Raum, gehen sogar 80 Prozent der heimischen Ausfuhren dorthin. Deutschland ist mit einem Anteil von über 30 Prozent der österreichischen Exporte der wichtigste Handelspartner. Die anderen Kontinente folgen mit großem Abstand: Rund zehn Prozent der Exporte gehen nach Asien (inklusive Australien und Ozeanien), gefolgt von rund neun Prozent nach Amerika und nur gut ein Prozent nach Afrika. Doch bei der genaueren Analyse der Exportbilanz der Außenwirtschaft Austria zeigen sich große Chancen für Exporte außerhalb Europas. Denn während es bei den Exporten nach Europa in den Jahren 2000 bis 2014 nur eine Steigerung von 71 Prozent gab, wurden die Ausfuhren nach Afrika im selben Zeitraum um knapp 106 Prozent, nach Amerika um 131 Prozent, nach ASEAN (Verband Südostasiatischer Nationen) um fast 146 Prozent, nach Asien um knapp 191 Prozent und in die BRICS-Staaten sogar um 343 Prozent gesteigert. Fast sechs von zehn Euros werden in Österreich durch den Export erwirtschaftet. Die Anzahl der österreichischen Exporteure ist in den vergangenen Jahren linear angestiegen. Während es im Jahr 2000 rund 12.500 Exporteure gab, waren es fünf Jahre später bereits 26.000, noch einmal fünf Jahre später, im Jahr 2010, bereits 40.000 und im vergangenen Jahr schon über 52.000 – davon waren laut Außenwirtschaft Austria rund 9.200 aus Oberösterreich. 2018 soll es 60.000 österreichische Exporteure geben.
Kennenlernen von Kultur und Mentalität
Neben dem bereits erwähnten Zukunftsmarkt Indien, gilt auch Jordanien als eines der Länder in Asien mit großem Exportpotential. Nach Indien haben österreichische Firmen im vergangenen Jahr von Jänner bis Oktober 573 Millionen Euro exportiert, nach Jordanien 55 Millionen Euro. Österreichische Exporte nach Australien wuchsen bereits während des letzten Jahrzehnts meist zweistellig, zuletzt waren es 621 Millionen Euro. In den laut Experten „ostafrikanischen Hoffnungsmarkt“ Kenia wurden von Jänner bis Oktober des vergangenen Jahres 25 Millionen Euro exportiert.
Wenn Unternehmen schnelle Geschäfte machen wollen, sind sie in den Zukunftsmärkten in Asien und Afrika falsch. Ein Markteinstieg benötigt ausreichend Vorbereitung, in jedem Land müssen gewisse Hürden überschritten werden. Die Wirtschaftsdelegierten der vier Zukunftsmärkte nennen als einen häufigen Fehler, dass der Einstieg nicht so schnell wie erwartet funktioniert und sind sich in einem weiteren Punkt einig: Vom Schreibtisch in Österreich aus lässt sich schwer exportieren. Man muss sich mit der Kultur und der Mentalität des Landes beschäftigen und da kann es auch dazugehören, sich die Autobahn mit einem Kamel und einem Elefanten zu teilen._
Kenia
Unternehmen aus den Bereichen Umweltschutz, Energie, Infrastruktur, Bau und Dienstleistungen haben in den nächsten Jahren laut Kurt Müllauer, Wirtschaftsdelegierter in Nairobi, die größten Chancen in Kenia. Aktuell stehen sechs Firmen in Kenia im Eigentum eines österreichischen Staatsbürgers und das Außenwirtschaftscenter kennt 16 österreichische Firmen mit einer Vertriebsniederlassung.
Die Anreise aus Österreich dauert inklusive einer Zwischenlandung zehn bis zwölf Stunden. Kenia habe sich zur wichtigsten Volkswirtschaft, sowohl in der ostafrikanischen Union (Kenia, Tansania, Uganda, Ruanda und Burundi) wie auch in der Region Ostafrika entwickelt. Mehr als zwei Drittel der Kenianer leben von der Landwirtschaft, rund 50 Prozent der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Müllauer beschreibt die Kenianer als „weltoffen, ausländerfreundlich und geduldig“.
Unterschiedliches Zeitempfinden, fehlende Infrastruktur und Korruption nennt Müllauer als die größten Herausforderungen für heimische Unternehmen: „Das wirtschaftliche Risiko ist in Entwicklungsländern immer höher, dafür winken neue Geschäfte.“ Es könne schon einmal passieren, dass man wochenlang auf seine Autonummerntafel warten müsse oder ein Versorgungsunternehmen keine Rechnung schickt, aber bei Zahlungsverzug plötzlich Wasser oder Strom abdreht.
Australien
Als die „lockereren Engländer“ beschreibt Karl Hartleb, Wirtschaftsdelegierter in Sydney, die Australier. Sie seien durchaus patriotisch, aber auch sehr offen, weil die Einwanderung sehr stark ist und daher rund 40 Prozent der Australier Verwandte im Ausland haben.
Wenn eine Firma den Schritt in den englischsprachigen Raum bereits gemacht hat, liege auch Australien als Exportmarkt auf der Hand. Wer Flüge mit kurzen Umstiegszeiten erwischt, reist in 23 Stunden von Österreich nach Australien. „Australier haben sehr gerne einen persönlichen Kontakt“, weiß Müllauer. „Österreicher sind es nicht gewohnt, so große Entfernungen zu überwinden – sie müssen ihre mentale Sperre im Kopf aufheben.“ Firmen könnten aber auch die Reisetätigkeit der Australier für einen persönlichen Kontakt nutzen.
Australiens BIP-Wachstum liegt weit über dem OECD-Durchschnitt, die knapp 24 Millionen Einwohner sind sehr konsumfreudig. Hartleb sieht große Chancen für österreichische Firmen im gesamten Agrar- und Landwirtschaftsbereich, im Bauwesen, in der Fertigung und im Energiesektor. Die 150.000 bis 200.000 jährlichen Einwanderer brauchen Wohnraum und Infrastruktur. Jährlich halten sich auch 350.000 ausländische Studenten in Australien auf, die hohe Studiengebühren zahlen und ein dementsprechend kaufkräftiges Publikum sind. Australien hat außerdem nach London und New York den drittwichtigsten Fondsmanagementplatz der Welt.
Indien
Korruption, hohe Bürokratie und schlechte Logistik stehen in Indien an der Tagesordnung und doch ist es einer der Top-Zukunftsmärkte für österreichische Unternehmen. Indiens Wirtschaft ist im dritten Quartal 2015 mit 7,4 Prozent erstmals schneller als China gewachsen, bis 2020 soll Indien auch das menschenreichste Land der Erde werden.
Das ist auch der Hauptgrund, warum die Greiner Gruppe Indien als Zukunftsmarkt bezeichnet, erklärt Vorstandsvorsitzender Axel Kühner: „Wir sind an allen Mittelstands-Märkten der Welt interessiert, wo es einen entsprechenden Markt für unsere Produkte wie Joghurtbecher, Matratzen oder Pipetten gibt.“ In den nächsten Jahren erwarte man in Indien ein Anwachsen des Mittelstandes auf 300 Millionen Menschen und damit die Größe von den USA. Für Greiner war es daher wichtig, frühzeitig am Markt mit einer eigenen Niederlassung tätig zu sein: „Wir haben klein begonnen, um den Markt kennenzulernen und mitzuwachsen.“
Greiner ist seit zehn Jahren am indischen Markt vertreten, davon seit drei Jahren mit einem eigenen Unternehmensteil der Medizinsparte Greiner Bio-One mit fünfzehn Mitarbeitern. Es wurde zuletzt ein Jahresumsatz von zwei Millionen Euro erwirtschaftet. „Die Greiner Bio-One ist als eine unserer fünf operativen Sparten als erste am indischen Markt und legt die Rutsche für weitere Sparten“, sagt Kühner, dass an einem weiteren Markteintritt in näherer Zukunft gearbeitet werde. Genaueres könne er dazu aber noch nicht sagen.
Die Greiner Gruppe ist eine von 150 österreichischen Firmen, die bereits in Indien Fuß gefasst haben. Oskar Andesner, der Wirtschaftsdelegierte in New Delhi, sieht zukünftig große Chancen für Firmen aus dem Maschinen- und Anlagenbereich und der Automobilindustrie, die sich aktuell erst am Anfang befinde. Derzeit werden jährlich 3,6 Millionen Autos verkauft, diese Zahl werde in den nächsten zehn Jahren um das Vier- bis Fünffache erhöhen. Weiters bietet Indien mit dem zweitgrößten Eisenbahnnetz der Welt viele Möglichkeiten, Smart Cities und erneuerbare Energien seien ein großes Thema. Wie die Greiner Gruppe in den indischen Markt eingestiegen ist, empfiehlt es Andesner auch anderen Unternehmen: „Die Firmen sollten es langsam angehen, nicht gleich allzu viel erwarten. Ein lokaler Partner kann beim Einstieg helfen.“ Man müsse sich mit Land und Leuten auseinandersetzen: „In Indien sind die Menschen sehr persönlich und emotionell.“ Die Gesellschaft sei durch die vielen Götter nicht ganz einfach zu verstehen. Kühner beschreibt die Inder im Vergleich zu den Chinesen als „sehr offen“, ein Vorteil sei auch die hohe Verbreitung der Sprache Englisch.
Demgegenüber sei Indien ein besonders herausfordernder Markt aufgrund der schlechten Logistik und der hohen Bürokratie. „Es gibt keinen einheitlichen indischen Markt“, erzählt der Vorstandsvorsitzende von sehr schlechten Transportwegen und Zollbeschränkungen zwischen den einzelnen Bundesstaaten. Kühner hat auch noch nirgends solch eine „komplexe, aufwändige und langwierige Visumvergabe“ wie in Indien erlebt. Und auch der Wirtschaftsdelegierte Andesner hat die Bürokratie bereits am eigenen Leib erfahren: „Alleine für den Wasseranschluss in meinem Haus habe ich bei fünfzehn verschiedenen Stellen Genehmigungen gebraucht.“ Firmen sollten bei Auslandsinvestitionen mit mindestens 45 verschiedenen Unterschriften rechnen.
Ein weiteres Problem sei für Kühner die Korruption: „Als global agierender Konzern können wir es uns nicht leisten, Geschäfte zu machen, die nicht in Ordnung sind.“ Andesner erwartet sich bei diesen Themen Verbesserungen durch den neuen Premierminister, der erstmals die absolute Mehrheit hat: „Das neue Regierungsprogramm ist eine historische Chance für Indien. Die österreichischen Firmen hatten noch nie solche guten Voraussetzungen, um den Schritt nach Indien zu wagen.“
"Die Greiner Bio-One ist als eine unserer fünf operativen Sparten als erste am indischen Markt und legt die Rutsche für weitere Sparten."
Axel KühnerVorstandsvorsitzender, Greiner Holding
Jordanien
„Die europäische Mentalität ist in den wenigsten Fällen zielführend“, gibt Harald Deller, Geschäftsführer von Backaldrin The Kornspitz Company, einen klaren Rat für den Markteinstieg in Jordanien. Ein Markt, der laut der Wirtschaftsdelegierten Isabel Schmiedbauer zur „stabilen, ruhigen Insel“ in einer der krisenreichsten Regionen der Welt zählt.
Der letzte Zwischenfall liege über zehn Jahre zurück, Schmiedbauer könne sich frei mit ihrem Auto bewegen und mit Englisch komme man im täglichen Geschäftsleben gut aus. Von Österreich beträgt die Reisezeit mit einem Direktflug unter vier Stunden. Die große Zahl von offiziell 1,2 Millionen Flüchtlingen sei eine große Herausforderung bei einer Bevölkerung von 9,5 Millionen, die langfristigen Auswirkungen für die Unternehmen könne man noch nicht abschätzen. Deller bekräftigt, dass man vom Krieg in den Nachbarländern wenig spürt und die Flüchtlingsthematik nichts an den Perspektiven für Backaldrin ändert: „Jordanien ist mit seiner geringen Bevölkerungszahl ein begrenzter Markt, aber gleichzeitig eine hervorragende Drehscheibe für andere Aktivitäten in der Region.“
Schmiedbauer sieht zukünftig besonders gute Chancen für Firmen im Bausektor, im Bereich Gesundheit und Medizintechnik. Ebenso aufstrebend ist der Sektor der erneuerbaren Energien. Jordanien müsse aktuell bis zu 97 Prozent seiner Energie importieren und möchte den Wert der erneuerbaren Energien bis 2020 von aktuell unter fünf auf zehn Prozent erhöhen. Es gebe viele regionale Touristen, die für Operationen und Untersuchungen nach Jordanien kommen würden.
Acht österreichische Firmen sind bereits mit Niederlassungen in Jordanien vertreten, Backaldrin ist eine der größten davon. Der Hersteller von Backgrundstoffen hatte bereits 1996 den ersten Kontakt mit einem Geschäftsmann in Jordanien. „Wir haben großes Potential in anderen arabischen Ländern erkannt und wegen des Golfkrieges konnten wir von Österreich nicht mehr liefern“, erklärt Deller den Auslöser für den Bau des Produktionswerkes mitten in der Wüste. Das Werk wurde mittlerweile drei Mal erweitert. Weitere Produktionsstätten hat Backaldrin am Stammsitz in Asten, in Mexiko, der Schweiz und neuerdings in Südafrika – von denen aus in über 100 Länder weltweit exportiert wird. Von Jordanien aus wurden zuletzt 35 Länder beliefert. „Diese Zahl gilt es aber zu hinterfragen. In manchen Krisenländern ist der Markt für uns völlig zum Erliegen gekommen. Wir versuchen das mit anderen Exportaktivitäten von Jordanien aus zu kompensieren“, so Deller.
Als eine gewisse Hürde im Vergleich zum Markteinstieg im europäischen Raum nennt Schmiedbauer die Kultur: „Unternehmen müssen sich auf die kulturellen Unterschiede im arabischen Raum einlassen.“ Der Geschäftsführer von Backaldrin, der auch Honorarkonsul des Haschemitischen Königreiches Jordanien für Oberösterreich ist, schalte bei der Grenze um: „Ich definiere mein Verhalten und meine Sprachregelungen anders.“ Bei der Begrüßung gehöre es dazu, sich zu küssen und ein paar Floskeln auszutauschen. Vertrauen sei sehr wichtig. „Die Araber definieren den Zeitfaktor anders, darauf muss man sich einstellen“, erklärt Deller, dass man nicht gleich zum Thema kommen, sondern zu Beginn etwa einmal Kaffee trinken oder vielleicht auch einmal Wasserpfeife rauchen würde. Ganz wesentlich sei es aber, die vielen Unterschiede unter „den Arabern“ zu berücksichtigen: „Die lokalen Kulturen sind zum Teil komplett verschieden, jedes Land hat seine eigenen Sitten und Bräuche.“
Araber schätzen den persönlichen Kontakt. Schmiedbauer rät Unternehmern zum Aufbau von persönlichen Kontakten und Deller ergänzt: „Ein E-Mail zu schreiben ist sinnlos.“ Die Menschen seien ganz wesentlich für den Erfolg in arabischen Ländern. Backaldrin hat die Philosophie, sich in den jeweiligen Ländern die passenden Mitarbeiter zu suchen: „Wir senden keine Mitarbeiter aus Österreich in ausländische Niederlassungen. Wir arbeiten auf Basis der Menschlichkeit und da gehört es dazu, den Menschen vor Ort die Verantwortung zu übertragen.“
In Jordanien gebe es keine bürokratischen Hürden, es sei für Unternehmen sehr einfach, Fuß zu fassen, weiß Deller: „Der König hat Jordanien zu einem Tor im Mittleren Osten aufgebaut und gute Systeme für Wirtschaftstreibende geschaffen.“ Der König ist übrigens ein großer Österreich-Fan, weiß Deller als Honorarkonsul, und die Königsfamilie hat eine sehr enge Verbindung zu Österreich. Produkte aus Österreich stehen für hohe Qualität, sind sich Deller und Schmiedbauer einig.
"Jordanien ist mit seiner geringen Bevölkerungsanzahl ein begrenzter Markt, aber gleichzeitig eine hervorragende Drehscheibe für andere Aktivitäten in der Region."
Harald DellerGeschäftsführer, Backaldrin