Lust auf ein frisches Croissant in der Pariser Vormittagssonne? Dann lohnt es sich, heute Abend noch in den Nachtzug zu steigen. Vom eleganten Städtetrip über die Geschäftsreise bis zur entspannten Fahrt ans Meer – das Zugreisen erlebt eine Renaissance. Es wird investiert wie schon seit Jahren nicht, die Ticketverkäufe schnellen nach oben. Ist es der Klimaschutz, das „Chauffiert-Werden“ oder hat es mit dem Hauch Abenteuer zu tun, den einst Indiana Jones auf seinen Reisen gesucht hat? Wir sind mit erfahrenen Zugreiseprofis quer durch Europa gereist. Und konnten nicht anders, als echte Fans zu werden.
Linz, 22.45 Uhr. Am Bahnsteig fünf steigt die Vorfreude. „Der Nightjet nach Hamburg fährt ein“, ertönt es aus dem Lautsprecher. Los geht die Reise an die Nordsee. Marco Vanek hält die Tickets bereit, prüft, ob alle seine Schäfchen eingestiegen sind, und klettert in den Zug. Der Reiseführer aus Steyr fährt seit Jahrzehnten durch ganz Europa. Seine erste Strecke war Linz – Paris in den 70er Jahren mit seiner Mutter. „Ich war noch ein kleiner Bub. Es war so aufregend! Ich würde sagen, seit damals hat mich das Zugfieber nicht mehr losgelassen.“ Klein-Marco studierte Fahrpläne wie andere Kinder ihre Comichefte, er stellte Routen zusammen, zeichnete alles sorgfältig auf und träumte in seinem Kinderzimmer im Ennstal von der großen weiten Welt. „Heute werde ich dafür bezahlt, zu reisen“, schmunzelt er. Und dabei geht es schon lange nicht mehr nur nach Paris und andere leicht erreichbare Orte. „Sagen wir so, es kann schon vorkommen, dass ich in einem Zug sitze, in dem die Fensterscheiben fehlen.“
Ist es nur wegen des Klimas? Die neue Lust am Zugreisen
Spätestens 2018 hat sich ein neuer Trend bemerkbar gemacht, der durch „Fridays for Future“ und ein gestiegenes Umweltbewusstsein an Fahrt aufgenommen hat: auf den Billigflieger zu verzichten und stattdessen mit der Bahn zu fahren. Schon vor der Coronapandemie kletterten die Reisendenzahlen nach oben. Auch bei den ÖBB war dies zu spüren – mit etwa 1,5 Millionen Nächtigungen in den Nachtzügen wurde 2019 ein neuer Spitzenwert erreicht, im Sommer 2021 waren viele Züge ausgebucht. Das neu anvisierte Ziel in den nächsten Jahren ist es, die Drei-Millionen-Marke zu übertreffen. „Die ÖBB haben 2016 die richtigen Entscheidungen getroffen, als sie in das Nachtzuggeschäft eingestiegen sind. Zu einem Zeitpunkt, als andere es aufgaben“, so Pressesprecher Bernhard Rieder von den ÖBB.
Und man baut weiter aus. Neue Nightjet-Garnituren im Wert von 600 Millionen Euro wurden bestellt, die ersten supermodernen Wagen dieser neuen Generation starten ihre Reise im Frühjahr 2023. Neben dem Klimabewusstsein spielen weitere Faktoren eine Rolle. Die Bahnhöfe in den europäischen Großstädten befinden sich in der Regel mitten im Zentrum, mit dem Nachtzug spart man sich zudem das Hotelzimmer, und außerdem gibt es wenig Schöneres als in komfortablen Waggons durch die Landschaft chauffiert zu werden.
Im Anzug quer durch Europa
Dies gilt auch besonders für Geschäftsreisende. Die Zeit bis zum Meeting kann für den Feinschliff am Projekt genutzt werden oder für einen „Powernap“, ganz ohne den Stress des Autofahrens. Auch Verkehrsministerin Leonore Gewessler ist Fan und Förderin von Zugreisen und nimmt selbst 27-Stunden-Anfahrten in Kauf, wie etwa zum Klimagipfel in Glasgow im November vergangenen Jahres.
Das Abenteuer liegt auf dem Weg
Das Reisen mit dem Aktenkoffer in klimatisierten Abteilen ist das eine, doch „das andere“ zieht immer mehr Menschen an: das Reisen in Gegenden abseits der touristischen Massen. Bei Zugreisen, besonders, wenn es sich um weiter entfernte Destinationen handelt, gehe es immer auch um das Bahnfahren an sich, das Abenteuer auf dem Weg. Das Gefühl, mittendrin zu sein anstatt darüber hinwegzufliegen. Auch für Reisejournalistin Cindy Ruch. In ihrem Buch „Europa mit dem Zug“ betont sie gleich zu Beginn, wie sie nach der ersten Begeisterung für das Zugfahren im eigenen Land immer längere Strecken suchte, immer mehr Abenteuer. „In Indien lernte ich bei offenem Fenster, ratternden Rädern und surrenden Ventilatoren zu schlafen und konnte das ab sofort überall.“ Was für die einen ein unzumutbarer Zustand wäre, ist für echte Abenteuerfans ein Teil des Erlebnisses. Auch Marco Vanek erinnert sich noch sehr gut an eine Zugfahrt in Albanien, wo manche Fenster gänzlich fehlten und einem der Wind stramm um die Ohren blies. Wer schon länger mit dem Zug durch die Welt fährt, weiß Geschichten zu erzählen – von brennenden Bahndämmen, Umleitungen wegen Überschwemmungen, von Loks, die den Geist aufgeben. Auch das kann mit einer geringen Wahrscheinlichkeit passieren. Würde Vielfahrer Vanek deswegen aufs Zugreisen verzichten? „Niemals“, sagt er prompt. Auch nicht, wenn es um das Gegenargument Nummer eins beim Duell zwischen Zug und Flugzeug geht: den Zeitfaktor.
Könnte es nicht auch Korfu sein? Der Zeitfaktor Landreise
Eine Tatsache ist: Nicht alle Urlaubsziele sind auf dem Landweg in kurzer Zeit zu erreichen. „Freunde von mir wollen heuer mit dem Zug nach Kreta“, erzählt Marco Vanek. Die Tour dorthin hat es in sich, stellte er schnell fest. Sie führt von Linz mit dem Nachtzug nach Venedig, mit der Fähre nach Patras und von dort mit Taxis und Fähren bis nach Kreta. Die Fahrt dauert ganze vier Tage. „Hier wird die Anreise zum gewichtigen Teil des Urlaubs – oder man wählt den Plan B.“ In diesem Fall empfiehlt der Zugreiseprofi die Alternative. Zum Beispiel, indem man bei Reisezielen auch deren Erreichbarkeit berücksichtigt. Die griechische Insel Korfu zum Beispiel erfordert nur zwei Tage Anreise. Es lohnt sich, hier offen zu sein. Die Plattform Rome2rio bietet dafür erste gute Hilfe. Einfach den Startpunkt und den Zielort eintippen und man erfährt in Sekunden die Fahrtdauer und mögliche Transportmittel.
Mit der Badehose im Gepäck bequem ans Meer
Schneller am Meer und im Urlaub ist man mit der Bahn nach Kroatien oder Italien. Wer sich an das internationale Bahnreisen herantasten will, könnte auch mit einer Städtereise beginnen, zum Beispiel nach Amsterdam, Paris oder Hamburg. Man steigt am Abend in den Zug ein und kommt am frühen Vormittag komfortabel im Zentrum dieser Metropolen an.
Der Indiana Jones in dir
Moderner Komfort ist das eine, die Sehnsucht nach Abenteuer das andere. Wohin soll man reisen, wenn man neue Eindrücke sammeln will? Wie wäre es mit Osteuropa? Wenn man nach Bukarest fährt, kann man entlang der Strecke nach Belieben aussteigen, denn man ist überall mittendrin im besonderen Flair von Rumänien, mit seinen weiten, grünen Landschaften, den Schafherden, einem Hauch Transsilvanien und der Gastfreundschaft der Menschen. Gute Reisetipps bietet hier das Buch „Europa mit dem Zug“. Die Zugverbindungen und Reisemöglichkeiten sind bequem nach Ländern aufgelistet und machen ein individuelleres Reisen leicht. Wer zudem in den Genuss von vergünstigten Zugtickets kommen will, sollte rechtzeitig im Voraus buchen. Diesen Sommer geht es für Reiseführer Marco Vanek übrigens nach Lappland, zur Mitternachtssonne. Mit Anreise über Wien – Linz – Rostock, mit der Fähre nach Nynäshamn und dann über Stockholm bis nach Lappland hinauf. Er freut sich schon auf die Zugreise durch die Wälder der Tundra, auf die Mitternachtssonne und seine bunt zusammengewürfelte Reisegruppe. Einige wenige Plätze sind noch frei._
Meine erste Zugreise war als kleiner Bub in den Siebzigern nach Paris. Seit damals hat mich das Zugfieber nicht mehr losgelassen.
Marco Vanek
Reiseführer, Planet Reisen
Die ÖBB haben die richtigen Entscheidungen getroffen, als sie 2016 in das Nachtzuggeschäft eingestiegen sind.
Bernhard Rieder
Pressesprecher, ÖBB
20 neue Zuglinien ab Wien, eine Auswahl:
# NJ Wien – Amsterdam und Innsbruck – München – Amsterdam
# NJ Zürich – Frankfurt – Amsterdam
# NJ Wien – München – Straßburg – Paris (in Kooperation mit DB und SNCF)
# Wien – Livorno
# Wien – Split ( Reisetipp: Der Bahnhof Split liegt direkt neben dem Hafen.)
Mit dem Schlafwagen in den Osten:
Wien – Budapest – Sibiu – Bukarest
Die ÖBB-Nachtzüge auf einen Blick: www.nightjet.com