Stellen Sie sich vor, Ihr Telefon klingelt. Es ist halb sieben am Abend, im Bürogebäude ist es längst ruhig geworden, der Klingelton Ihres Handys reißt Sie aus Ihrer Konzentration. Eine unbekannte Nummer. Fünf Minuten später sind Sie mindestens einen Kopf größer, tragen unbewusst ein Grinsen im Gesicht und können es kaum erwarten, jemandem von diesem Gespräch zu erzählen. „Die meisten, die wir anrufen, fühlen sich natürlich sehr geschmeichelt“, erzählt Herbert Ecker von der Holding-Gesellschaft Talentor, die sich auf Headhunting spezialisiert hat. Es ist übrigens gar nicht so unwahrscheinlich, dass auch Ihr Telefon schon bald klingelt – vor allem dann, wenn Sie im mittleren bis Top-Management arbeiten oder über wertvolle Fachkenntnisse verfügen, die allerorts gefragt sind. War Headhunting ursprünglich ausschließlich auf die höchste Management-Ebene fokussiert, werden heute viele Talente aus unterschiedlichsten Bereichen und Ebenen auf diese Art und Weise rekrutiert. „Das hat sich in den letzten zehn, zwanzig Jahren eindeutig verändert – wohl auch aufgrund des Fachkräftemangels“, weiß Ecker. Er selbst habe kein Problem mit der Bezeichnung „Kopfjäger“, die meisten aus der Branche bevorzugen aber vielleicht den etwas wohlklingenderen Namen„Executive Searcher“.
Tatsächlich sei Headhunting mehr ein Suchen als ein Jagen. „Es ist eine sehr anstrengende und analytische Tätigkeit“, so der Verantwortliche für den Talentor- Standort Österreich. Seit vielen Jahren hat der gebürtige Vorarlberger seine Heimat in Wien gefunden und von hier aus einen guten Überblick über den österreichischen Arbeitsmarkt. Wobei es bei der Suche nach den besten Mitarbeitern längst keine Grenzen mehr gebe. „Wir haben selbständige Partner in sechzehn Ländern und arbeiten eng zusammen.“ Das sei auch deshalb wichtig, weil die meisten Positionen von Headquarters vergeben werden – und davon sind nur wenige in Österreich angesiedelt.
Im Visier: die gesamte Branche
Wie aber läuft so eine Suche ab, wie angelt man sich die besten Kandidaten aus einem ganzen Meer? „Zuerst gibt es ein ausführliches Gespräch mit dem Kunden. Wonach sucht er, wie ist das Anforderungsprofil und die Stellenbeschreibung der Position und was ist die Strategie des Unternehmens“, erzählt Herbert Ecker. Anschließend wird eine sogenannte Zielfirmenliste erstellt – die Antwort also auf die Frage, wo die potentiellen Kandidaten sitzen. „Man findet sie zumeist in Firmen der direkten Konkurrenz oder Unternehmen, die ähnliche Tätigkeiten wie der Kunde ausüben.“ Dann werden die Headhunter aktiv – die besten Mitarbeiter müssen identifiziert werden. Wobei es nicht nur darum geht, Namen herauszufinden, sondern auch, was diese Personen machen und vor allem, wie sie es machen. Digitale Plattformen wie LinkedIn und Xing können diese Recherche erleichtern, ausschließlich darauf aufzubauen funktioniere aber nicht. „Dazu muss man sich perfekt in der Branche auskennen. Wir arbeiten in sogenannten Practice Groups länderübergreifend zusammen“, erzählt Michael Sarsteiner, CEO von Talentor. Insgesamt gebe es sechs solcher Fokusgruppen – zum Beispiel für die Bereiche Industry, Technology und Life Science. Dabei werden die Mitarbeiter, die im jeweiligen Branchensegment Experten sind, zusammengeführt. „Man muss bei verschiedenen Branchen und Unternehmen auf unterschiedliche Dinge achten – durch diese Gruppen können wir das gesamte Know-how bündeln und Informationen austauschen“, so Sarsteiner.
Ein wesentlicher Erfolgsfaktor bei der Suche nach den besten Kandidaten sei die Regel, jene Personen anzusprechen, die im Moment eine halbe bis eine Stufe unter der zu besetzenden Position eingesetzt werden. „Es muss eine gewisse Entwicklungsmöglichkeit gegeben sein – wenn wir zum Beispiel einen Geschäftsführer suchen, dann kann der perfekte Kandidat dafür durchaus ein Business Unit Leiter von einem anderen Unternehmen sein“, erklärt Ecker. Damit sei ein Attraktivitätsfaktor gegeben, der einen Anreiz für den Wechsel schaffen kann. Würde man in der gleichen Branche Mitarbeiter von A nach B in der gleichen Position verschieben, könnte meist nur das Gehalt diesen Anreiz geben.
Die Besten am Silbertablett
Das Ergebnis der aufwändigen Analyse ist schließlich eine Auswahl von zehn bis fünfzehn Kandidaten, die zum persönlichen Gespräch mit dem Berater des Headhunter-Unternehmens eingeladen werden. „Dabei beschreiben wir vorerst die Position sehr genau, ohne unseren Kunden zu benennen. Wir sind der verlängerte Arm des Unternehmens, sodass wir idealerweise 90 Prozent der Fragen, die ein potentieller Kandidat stellt, beantworten können. Danach erzählt der Kandidat über sich. Und da liegt es in der Kompetenz des Beraters, hier bereits herauszufinden, ob er tatsächlich zum Unternehmen passen könnte. Wenn ja, dann erfährt er den Namen des Unternehmens und man kann sehr konkret miteinander reden“, erzählt Herbert Ecker. In der Regel kristallisieren sich am Ende drei Kandidaten heraus, die schließlich dem Kunden präsentiert werden. Zunächst in einem schriftlichen Report und dann persönlich – entweder direkt im Unternehmen oder beim Headhunter. „Bei diesem ersten Aufeinandertreffen sind wir als Berater fast immer dabei. Dabei präsentiert sich nicht nur der Kandidat, sondern auch die Firma – es ist von beiden Seiten ein Verkaufsgespräch.“ In der nächsten Runde kommen unterschiedliche Leute aus dem Team des Unternehmens, aus Fachabteilungen zum Gespräch dazu – der Headhunter bleibt zwar Partner bis zur Vertragsunterzeichnung, steht mit beiden Seiten in Kontakt, übernimmt eine Koordinationsfunktion (etwa bei Gehaltsfragen), ist bei tiefer gehenden Gesprächen meist aber nicht mehr dabei.
Klingt nach wenig Aufwand und zugleich vielversprechendem Ergebnis für den Arbeitgeber. Man gibt vor, wen man sucht und bekommt die besten Kandidaten am Silbertablett serviert – in Zeiten wie diesen, wo Begriffe wie Fachkräftemangel und „War for talents“ Teil des täglichen Sprachgebrauchs sind, Gold Wert. Und ja, der Wert ist tatsächlich hoch. Als Honorar für den Headhunter wird für gewöhnlich ein Prozentsatz des Jahreszielgehaltes des Kandidaten vereinbart – meistens sind es circa 30 Prozent des Bruttogehaltes. Ein Preis, den manche Unternehmen nicht bereit sind, zu bezahlen. „Meine Wahrnehmung ist, dass da oft an der falschen Stelle gespart wird. Der Kunde bekommt schließlich nicht einfach eine Rechnung, sondern auch die Garantie, die Position bestmöglich zu besetzen: Wenn wir einen Auftrag bekommen und annehmen, dann garantiere ich, dass ich mindestens drei Kandidaten präsentiere, die zu den besten, verfügbaren Kandidaten am Markt gehören“, verspricht Ecker. Der erfahrene Headhunter geht sogar soweit, dass er dem Kunden auch nach der Besetzung der Stelle eine Garantie ausstellt: Sollte sich herausstellen, dass der Kandidat doch nicht passt, wird nachjustiert.
Wer suchet, der findet
In der Bundeshauptstadt setzt bereits eine Vielzahl an (vor allem großen) Unternehmen auf die Akquirierung durch Headhunter. „In Oberösterreich erleben wir hingegen oft, dass Unternehmen nicht die besten Mitarbeiter auswählen, sondern – weil es vordergründig weniger Kosten für einen Berater verursacht – die aktuell verfügbaren Mitarbeiter“, weiß Michael Sarsteiner, selbst gebürtiger Oberösterreicher. Dabei ist es gerade in einem Industrieland wie Oberösterreich schwierig, in Bereichen wie Technik, IT und Gesundheit an die richtigen Leute zu kommen, wenn man ausschließlich auf die klassische Suche setzt. „Es heißt immer, es gebe zu wenige Arbeitskräfte in diesen Bereichen – das kann ich nicht bestätigen. Wer den Markt perfekt analysiert, wird definitiv fündig“, ist Ecker überzeugt. „Die Direktansprache ist die effizienteste Methode bei der Suche, Auswahl und Beurteilung von Führungskräften, Managern und Experten“, bestätigt auch Sarsteiner.
Vom Gejagten zum Jäger
Effizient kann die Methode aber auch für die Kandidaten, die Gejagten also, sein. Selbst wenn sich das Unternehmen am Ende für einen anderen Kandidaten entscheidet, könnte der Karriereweg trotzdem noch eine Wendung nehmen. „Wenn ein Kandidat für ein bestimmtes Projekt dann doch nicht in Frage kommt – sei es wegen diesen und jenen Rahmenbedingungen oder warum auch immer – ist es natürlich nicht ausgeschlossen, dass er für ein anderes Unternehmen perfekt passen könnte. Deshalb wird alles dokumentiert, damit wir wissen, wofür diese Person geeignet wäre“, erzählt Michael Sarsteiner. Das sei einer der Motivationsfaktoren, warum sich die meisten Talente, die vom Headhunter angesprochen werden, auf ein Gespräch einlassen. „Sie wissen natürlich, dass immer wieder spannende
Jobs zu vergeben sind.“ Jobs, die weder im Anzeigenteil einer Zeitung zu finden sind, noch im weltweiten Netz.
Beweggründe für den Jobwechsel
Nicht auf der suche und dennoch interessiert? „Die Beweggründe für einen Jobwechsel sind meist sehr individuell“, weiß Michael Sarsteiner, CEO beim Headhunter Talentor. „Wenn sich der potentielle Kandidat auf ein Gespräch einlässt, dann reizen ihn unterschiedliche Dinge an dem neuen Job – wobei das Gehalt nur selten an erster Stelle steht. Vielmehr sind es persönliche Befindlichkeiten.“
- der Wunsch nach neuen Herausforderungen
- begrenzte Entwicklungsmöglichkeiten in der aktuellen Firma – im Gegenzug dazu neue Perspektiven und Karrieremöglichkeiten in der neuen Firma
- Fähigkeiten, die man in der aktuellen Position nicht ausspielen kann
- Das gute Image des neuen potentiellen Arbeitgebers
- praktische Gründe wie etwa der Umzug in ein anderes Land oder die Rückkehr in die Heimat