Das Wort Titanaluminid geht Rektor Wilfried Eichlseder so locker über die Lippen, als würde er es täglich tausendmal verwenden. „Das ist ein spezieller hitzebeständiger Werkstoff für das Triebwerk im neuen Airbus A320neo“, beschreibt er das konkrete Beispiel einer Innovation, die von den Grundlagen über die Verarbeitung bis zum fertigen Produkt an der Montanuniversität Leoben entwickelt wurde. „Außerhalb der wissenschaftlichen Welt wird unsere Forschung nur selten wahrgenommen. Daher müssen wir aktiv hinausgehen – auch zu den Firmen.“
Seit der gebürtige Steyrer 2011 das Rektorat der Montanuniversität übernommen hat, hat er die ohnedies intensive Kooperation mit der Wirtschaft noch wesentlich ausgebaut. Mittlerweile kommt etwa ein Drittel des Gesamtbudgets aus Drittmitteln – der höchste Anteil unter allen heimischen Universitäten. „Aus der Wirtschaft kommen viele Anregungen, welche bestimmten Themenfelder man grundsätzlich bearbeiten kann, und wir liefern die Grundlagen, die das Potential für Innovationen haben“, beschreibt Eichlseder die befruchtende Zusammenarbeit. „Zugleich dürfen wir nicht die verlängerte Werkbank der Firmen sein und nur den aktuellen Problemen in der Wirtschaft nachlaufen, sondern müssen bewusst die Grundlagen beachten.“
Enge Vernetzung
Das rege Interesse der Unternehmen liegt sicher auch an den Forschungsschwerpunkten der Montanuniversität, die seit ihrer Gründung 1840 als Lehranstalt für Berg- und Hüttenwesen, also Bergbau und Metallverarbeitung, eng mit der steirischen Wirtschaft verknüpft ist. Heute umfasse die Forschung sämtliche Bereiche rund um Werk- und Rohstoffe – von Maschinenbau über Energietechnik bis hin zu Recycling und Umwelttechnik. „Energie, Ernährung und Wasser sind große Zukunftsthemen“, ist Eichlseder überzeugt. Hier schaffe man mit der universitären Forschung die Basis, auf der Unternehmen innovative Lösungen entwickeln können.
Wie intensiv die Kooperation zwischen den beiden Seiten sei, sehe man allein schon an der Anzahl der Betriebe und Forschungsstätten, die sich rund um die Montanuniversität angesiedelt haben, schildert Eichlseder. In den Comet-Zentren (kurz für Competence Centers for Excellent Technologies) forschen Universität und Unternehmen gemeinsam zu Themen wie Kreislaufwirtschaft, Reststoffverwertung oder Polymer-Chemie.
Hinzu kommen Stiftungsprofessuren: Während es in Deutschland und der Schweiz heftige Zweifel an der Freiheit der Forschung gegeben hatte, wenn große Unternehmen wie Audi, Nestlé oder Syngenta Lehrstühle gesponsert haben, teilen sich hierzulande die Privatwirtschaft und das Bundesministerium über die Forschungsförderungsgesellschaft FFG die Finanzierung. „So wird sichergestellt, dass die Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich sind“, unterstreicht Eichlseder die Vorteile des österreichischen Systems. „Die Universität muss sich stets eine gewisse Unabhängigkeit bewahren.“
Wer innovativer ist
Dass die Partnerschaft zwischen öffentlicher und privatwirtschaftlicher Forschung in und rund um Leoben so gut funktioniert, liegt wohl auch daran, dass Rektor Eichlseder beide Seiten aus erster Hand kennt: Nach seinem Maschinenbaustudium an der TU Graz war er jahrelang in der Forschungsabteilung von Steyr-Daimler-Puch tätig, bevor er als Professor an die Montanuniversität berufen wurde. „Die Wirtschaft ist innovativer, wenn es um die Umsetzung einer Idee in ein Produkt oder eine Dienstleistung geht. Kernaufgabe der Universitäten ist aber Innovation in dem Sinn, flexibel zu sein und disruptiv Erneuerung zu schaffen. Da haben wir auch mehr Möglichkeiten, weil wir Sachen ohne einen wirtschaftlichen Hintergedanken verfolgen können, egal ob da jemals was dabei herauskommt. Es kommen auch bei weitem nicht alle Ergebnisse der Unis zu einer wirtschaftlichen Umsetzung.“
Auch der Zeithorizont sei ein anderer – insbesondere in der Lehre: „Unsere Aufgabe ist es, deutlich weiter nach vorne zu schauen als die Wirtschaft. Die Leute, die wir heute ausbilden, entfalten erst in zehn bis 20 Jahren ihre volkswirtschaftliche Wirkung. Die müssen wir entsprechend befähigen, neu zu denken, Ideen aufzugreifen und Probleme zu lösen, die heute noch gar nicht gedacht werden können.“
Das Wissen der Zukunft
Dafür brauche es nicht so sehr aktuelle Forschungsergebnisse, sondern solides Grundlagenwissen: Neben den naturwissenschaftlich-technischen Disziplinen wie Mathematik, Physik, Chemie und Mechanik zählt Eichlseder überraschenderweise auch Ethik dazu. „Innovation darf nicht zum Selbstzweck werden. Wir müssen auch die technischen, soziologischen und politischen Auswirkungen mitdenken.“ Die Vorlesungen zum Thema Ethik würden von den derzeit 4.000 Studierenden gerne besucht, freut sich Eichlseder.
Wissenschaft habe genauso wie die Wirtschaft eine Verantwortung für das Wohl aller Menschen, argumentiert Eichlseder weiter: „Unseren heutigen Wohlstand haben nicht wir geschaffen, sondern er basiert darauf, dass frühere Generationen bereit waren, dafür Geld in die Hand zu nehmen. Wir sind die Nutznießer und müssen unsererseits nun die Grundlagen schaffen, dass die Menschen auch im Jahr 2500 noch gut leben können“, ist der 63-Jährige überzeugt. „Dazu brauchen wir Neugier und ein gutes Bildungssystem, damit wir Leute haben, die mit wissenschaftlichen Methoden neue Antworten finden. Da dürfen wir ruhig ein paar Generationen vorausdenken.“