Modellflugzeuge und Quadrocopter, ferngesteuerte Hubschrauber und Kameradrohnen baumeln an unsichtbaren Fäden von der Decke: Wer am Institut für Luftfahrt an der FH Joanneum in Graz eine Runde „Es fliegt, es fliegt …“ spielt, hat auf jeden Fall gewonnen. „Wir sind momentan die einzige Hochschule in Österreich, die ein Fluggerät wie die Drohne gesamtheitlich unterrichtet“, erklärt Institutsleiter Holger Friehmelt nicht ohne Stolz. „Wir versuchen, anwendungsnah zu forschen und up to date zu bleiben, was die Anforderungen der Arbeitgeber an unsere Absolventen betrifft. Und die heimische Industrie und Politik haben erkannt, dass in autonomen Fluggeräten ein enormes Potential steckt.“
Um diese Möglichkeiten in einem großen Feldversuch auszuloten, startet mit 1. Jänner 2020 AIRlabs: Unter der Führung der FH Joanneum schließen sich 26 Unternehmen von der Softwareschmiede über Drohnenentwickler bis zu Flughäfen zusammen, um mehrere zeitlich begrenzte Teststrecken für unbemannte Fluggeräte zu starten. Unterstützt wurde die Kooperation vom Mobilitätscluster
ACstyria, in dem sich rund 300 Unternehmen aus den Bereichen Automobil, Bahn und Luftfahrt regelmäßig austauschen und vernetzen. „Die Grenzen zwischen den Branchen weichen sich auf“, sagt Pressesprecher Jakob Reichsöllner. „Unsere Kunden denken nicht mehr in Kategorien wie Straße, Schiene oder Luft, sondern sie denken in Mobilität, und so denken wir auch.“
Forschung mal vier
Wie wir in Zukunft unterwegs sein werden, ist offenbar eine Frage, die viel Innovationskraft birgt: Die F&E-Quote (Forschung und Entwicklung) der Mitglieder von ACstyria liegt bei zwölf Prozent – fast viermal so hoch wie der österreichische Durchschnitt. „Es geht um Themen wie Sensorik und Software, Batterietechnologie und Leichtbau, intelligente Produktion und Nachhaltigkeit“, umreißt Reichsöllner einige der zahlreichen Innovationsfelder. „Als Cluster forschen wir nicht selbst, sondern schätzen uns glücklich, dass wir viele Mitglieder haben, die in vielen inhomogenen Bereichen forschen.“
Die Aufgaben des 1995 gegründeten Mobilitätsclusters sieht er vielmehr im Aufspüren neuester Entwicklungen und im Vernetzen: „Unsere Strategiegruppen mit Vertretern der großen Unternehmen bringen internationale Trends ins Netzwerk hinein, auf die man aufspringen sollte. Im nächsten Schritt schärfen wir diese Themen durch Veranstaltungen oder durch Studien, die wir in Auftrag geben. Und dann bringen wir die richtigen Leute an einen Tisch.“
Schau mir in die Augen, Auto!
So ist es zum Beispiel bereits beim Projekt ALP-Lab gelungen: Im Rahmen der „Austrian Light Vehicle Proving Region for Automated Driving“, also der österreichischen Testregion für autonome Pkw, haben sich private Unternehmen der Automobilbranche und öffentliche Forschungseinrichtungen zusammengetan, um die Sensoren und die Software für selbstfahrende Autos weiterzuentwickeln. „Während Oberösterreich als Testregion auf Lkw setzt, geht es bei uns darum, dass der klassische Pkw in der Lage ist, autonom zu erkennen, wie er wo reagieren muss“, beschreibt Reichsöllner die Ziele des Projekts.
„Die TU Graz misst mittels Eye-Tracking, wo der Autofahrer hinsieht und wann er aufgrund seines Blinzelverhaltens aufgefordert werden könnte, eine Pause zu machen“, schildert er ein konkretes Beispiel. Eine weitere Herausforderung sei der hohe Energieverbrauch: „Bei einem autonomen Elektroauto braucht der Antrieb nur die Hälfte der Batterieleistung, die andere Hälfte entfällt auf die Steuerung, die Sensorik und sämtliche damit verbundenen Prozesse. Diesen Wert muss man nach unten bringen.“
Hoch hinaus
Das gelte genauso für fliegende Vehikel: Um sie im Feldversuch erproben zu können, „brauchen die Fluggeräte viel Luft, weil sie schnell fliegen und, wenn etwas nicht ganz korrekt passiert, weiträumig ausweichen müssen“, erklärt Institutsleiter Friehmelt die Idee hinter AIRlabs. „Dafür braucht es einen reservierten Luftraum, damit man ausschließen kann, dass man mit jemandem zusammenstößt.“
Gefördert vom BMVIT und der FFG, koordiniert die FH Joanneum als Konsortialführer die Zusammenarbeit der Partnerunternehmen. „Aber wir haben auch eigene Forschungsschwerpunkte, zum Beispiel das Simulieren von leichten Fluggeräten in Häuserschluchten, wo der Wind ordentlich pfeift, oder in einem Schneesturm.“ Mache man in diesem Bereich seine Hausaufgaben, eröffnen sich vielfältige Einsatzmöglichkeiten, ist Friehmelt überzeugt. „Während des Schneechaos heuer im Jänner konnten Hubschrauber teilweise tagelang nicht fliegen, weil man Gerät und Besatzung nicht gefährden wollte. Unbemannte Fluggeräte können bei der Lawinensprengung oder der Suche nach verschütteten Personen helfen.“ Auch beim Transport von Spenderorganen vom Flughafen zum Krankenhaus können Drohnen ein sinnvoller Ersatz für Helikopter sein, glaubt Friehmelt: „Wegen einer kleinen Kühlbox mit vielleicht zehn Kilogramm Gewicht lässt man einen Zwei-Tonnen-Hubschrauber hin- und herfliegen, der Treibstoff verbraucht, der nur mit Besatzung fliegen kann, der in dieser Zeit nicht für Rettungseinsätze zur Verfügung steht. Warum sollen wir uns nicht das Leben einfacher, preiswerter und umweltschonender machen, indem wir Drohnen einsetzen?“
Auch für autonome Lufttaxis sieht Friehmelt viel Potential als Ergänzung zu den bestehenden Technologien: Für einen Flug von einem städtischen Heliport zum Flughafen rechnet er mittelfristig mit Preisen, „die vielleicht das Doppelte oder Dreifache einer Taxifahrt betragen“. Generell sei es aber die große Herausforderung der Forschung, Mobilität intelligenter und umweltfreundlicher zu gestalten, ist Friehmelt überzeugt. „Wir werden hier technologische Lösungen bieten, wie das in Zukunft gelingen kann.“