Zu negativ besetzt war Philipp Depiereux die Diskussion um den digitalen Wandel – zuviel „Gesuder“ würden wir Österreicher sagen. Dabei gebe es doch so viele positive Beispiele rund um Themen wie Digitalisierung, Transformation und Unternehmensgründung. Mit dem Non-Profit-Projekt „Changerider“ holt der Gründer und Geschäftsführer der deutschen Beratungsagentur Etventure Menschen aus Wirtschaft, Gesellschaft und Politik in sein Auto und lässt sie ihre Geschichten erzählen. „Das ist wie Carpool-Karaoke, nur halt ohne singen“, beschreibt Depiereux seine Idee – der geneigte Fernsehzuschauer kennt das Format vielleicht von Hanno Setteles „Wahlfahrten“ im ORF.
Mehr als 60 Persönlichkeiten hatte er bereits auf dem Beifahrersitz. Im Februar war der Changerider in Linz. Mit dabei: Energie AG-Generaldirektor Werner Steinecker, Wirtschaftslandesrat Markus Achleitner, Universitätsprofessor Sepp Hochreiter und Emporia-Geschäftsführerin Eveline Pupeter-Fellner. Die Gäste werden bedächtig aus den zahlreichen Nominierungen herausgepickt. Und auch das Auto, in dem die Gespräche stattfinden, ein Tesla, ist nicht zufällig gewählt, wie Chauffeur Depiereux erklärt: „Das hat schon eine Symbolwirkung. Jahrelang hat die Automobilindustrie über Tesla gelacht, und wenn man sich jetzt die Verkaufszahlen ansieht und sich vor Augen führt, wie die das hinkriegen, dann ist das schon ein Aufrüttler.“ Wünschen würde er sich trotzdem, seine Changerider-Runden auch mal „in der Weltinnovation einer deutschen oder europäischen Marke“ zu drehen – derzeit bieten die traditionellen Marken leider keine Option für Depiereux. „Ich möchte mich halt ungern in einen Benziner oder Diesel setzen“, erklärt der Elektroauto-Verfechter.
„Rechtzeitig dran sein“
Mittlerweile sind Depiereux‘ Techniker mit der Einrichtung der Aufnahmegeräte im Changerider fertig. Und da ist auch schon Werner Steinecker. Er ist der erste Mitfahrer am heutigen Tag und er erklärt Depiereux auch gleich zu Anfang, wie wichtig es ist, „rechtzeitig dran zu sein“. So sei die Energie AG schon früh an das Thema Digitalisierung herangegangen. Innerhalb des Unternehmens bedeute das vor allem, auch die Mitarbeiter „mitzunehmen“ und sie „sukzessive zu Digital Natives heranzubilden“, wie Steinecker erklärt. Gefragt sei in diesem Prozess auch die Fantasie der Mitarbeiter: In einem internen Ideenwettbewerb sind sie dazu aufgerufen, eigene Projekte zum Thema Digitalisierung am Arbeitsplatz vorzustellen. Eine Jury aus Führungskräften wählt die vielversprechendsten aus, die dann realisiert werden. „Prozesse am Arbeitsplatz sollen schlanker und effizienter werden“, so Steinecker, „am Ende profitiert der Kunde davon.“ Bei aller Begeisterung geht der Energie AG-Chef aber auch auf eine Schattenseite der Digitalisierung ein: „Immer mehr Automatisierung und Prozessoptimierung wird Arbeitsplätze kosten.“ Zwar ist Steinecker wie die meisten seiner Kollegen überzeugt davon, dass gleichzeitig viele neue Stellen entstehen, „ob das genauso viele sind“, werde allerdings erst die Zukunft zeigen. Beruhigen kann er, was das eigene Unternehmen betrifft. So sei die Energie AG ein „Enabler“ der Digitalisierung und damit in der glücklichen Lage, durch den Wandel sogar mehr Leute einstellen zu können.
Früh angefangen habe man auch beim Breitbandausbau, wie Steinecker erklärt: „Da haben wir unser Lehrgeld gezahlt. Aber gerade Dinge, die anfangs mühsehlig erscheinen, haben absolut das Potential, zu einer totalen Success-Story zu werden.“ Heute sei Oberösterreich dafür wahrscheinlich die Region mit der größten Breitband-Backbone-Dichte Europas. Dass man in Sachen Breitbandausbau „schon sehr weit“ sei, habe man auch den „außerordentlich guten Rahmenbedingungen“ im Land zu verdanken. Nur in der Bevölkerung müsse das Bewusstsein noch stärker gefördert werden. Vielerorts werde schlicht die Geschwindigkeit unterschätzt, mit der der „Breitbandhunger“ weiterwachsen werde, sagt Steinecker.
Nach einer kleinen Runde durch Linz sind wir zurück beim Power Tower. Die Zeit drängt, KI-Spezialist Sepp Hochreiter wartet schon, klatscht Steinecker quasi ab und schwingt sich zu Depiereux ins Auto.
„Alles intelligent machen“
„Ich hab ja einen richtig großen Promi hier“, zeigt sich dieser beeindruckt, als Hochreiter Platz nimmt. An der Johannes Kepler Universität in Linz leitet er das Institut für Machine Learning und das Artificial Intelligence Lab. Seinen Promistatus hat Hochreiter einer Erfindung zu verdanken, die er vor rund 20 Jahren an der Technischen Universität München gemacht hat. Das sogenannte „Long Short Term Memory“ ist ein Algorithmus, der grundlegend für die Funktion von Siri und Co. ist. Thematisiert wird während der Fahrt auch die angebliche Technologieführerschaft seitens den USA und China, die Hochreiter nicht ganz so drastisch sieht wie viele andere. Es wäre jetzt genau die richtige Zeit, so der gebürtige Bayer, die Künstliche Intelligenz in den Maschinen- und Anlagenbau zu bringen. So könnten Österreicher und Deutsche ihre Erfahrung auf diesem Gebiet ausspielen – mit Hochreiters Worten: „Überall Sensoren rein, alles intelligent machen.“
#2 „Was Nutzen generiert, wird bleiben“
Im Gespräch mit „Changerider“-Initiator Philipp Depiereux erklärt Oberösterreichs Wirtschaftslandesrat Markus Achleitner unter anderem, warum die Menschen keine Angst vor der Digitalisierung haben sollten, was für Unternehmer in den kommenden Jahren besonders wichtig sein wird und wie ein Maultrommelhersteller sein Geschäft zukunftsfit machte.
„Die Fahrt mit dem Changerider war ein tolles Erlebnis“, meint Wirtschaftslandesrat Markus Achleitner unmittelbar danach, „aus gutem Grund bezeichnen die deutschen Medien ihn als Messias der Digitalisierung.“ Andere Sichtweisen und Ansätze seien immer wieder eine wichtige Bereicherung für seine Arbeit, so der Landesrat. Und genau das ist es auch, was Depiereux will: Die positiven Aspekte der Veränderung beleuchten, neue Herangehensweisen und andere Blickwinkel zeigen und damit andere motivieren, ein Teil des digitalen Wandels zu werden – ein thematisches Umfeld, in dem auch der erst kürzlich ins Amt getretene Landesrat sichtlich aufgeht.
So erzählt Achleitner von persönlichen Erlebnissen mit Unternehmern, beschreibt, was die unaufhaltsam voranschreitende Digitalisierung für ihn bedeutet und wie sie unser aller Leben von Grund auf verändern kann. Er spricht von den Sorgen der Firmenchefs und von denen der Bürger, geht auf den Stellenwert von Bildung ein und erklärt anhand einer kleinen Anekdote, warum die Digitalisierung für ihn ein verdammt spannendes Thema ist. Wir erfahren, wie es um das Projekt „Digitales Amt“ steht und warum die Datenschutzgrundverordnung in vielen Fällen über das Ziel hinausschießt. Und das alles zwischen zwei Terminen auf dem Beifahrersitz eines Tesla Model X.
Ein ganz besonderes Taxi
Es ist kaum etwas los in der Linzer Herrenstraße an diesem klirrend kalten Vormittag. Die Leute in den kleinen Lokalen hier im historischen Zentrum von Linz verstecken sich hinter ihren Kaffeetassen und harren aus – bald werden zumindest ein paar wärmende Sonnenstrahlen auch in die enge Gasse vordringen. Hören kann es keiner, als der Changerider vollelektrisch vorfährt. Trotzdem dauert es nicht lange, bis sich die ersten Neugierigen nähern und uns mustern: „Was macht der Deutsche mit dem Luxusauto in der Fußgängerzone?“, denken sie sich vermutlich. Doch als Markus Achleitner zur Gruppe stößt, ist das Eis gebrochen – der gesellige Neu-Landesrat kennt einfach jeden. Seine Entourage entlässt ihn in die Obhut von Philipp Depiereux, der Achleitner zu seinem 12-Uhr-Termin nach Traun bringen wird. Wir schmeißen uns auf die Rückbank des mit Kameras und Mikrofonen gespickten Elektro-SUV – auf den „billigen Plätzen“ wird mitgeschrieben. Also, (Flügel-)Tür zu und Abfahrt…
Depiereux_Was sind die großen Themen für die nächsten Jahre?
Achleitner_Die großen Gamechanger sind die Digitalisierung, die alle Lebensbereiche verändern wird, die Demografie und der große Fachkräftebedarf sowie die Energiefrage. Wichtig wird auch die Mobilitätsfrage – da wird sich sehr viel tun und es wird sehr spannend.
Depiereux_Haben wir die Schlacht um einzelne Bereiche der Digitalisierungschon zum Teil verloren?
Achleitner_Europa war immer ein Produktions- und Industriestandort und da sind wir nach wie vor absolut top. Im neuen Geschäft der digitalen Revolution, da war Europa nicht vorne dabei, um es vorsichtig auszudrücken – da reicht ein Blick darauf, wo die Internetriesen Amazon, Google und Alibaba zu Hause sind.
Depiereux_Wo ist Oberösterreich gut aufgestellt?
Achleitner_Wenn ich in die großen heimischen Betriebe schaue, dann sehe ich sehr wohl, dass die Digitalisierung mit Industrie 4.0 dort angekommen ist. An der Johannes Kepler Universität in Linz entsteht derzeit eine Pilotfabrik, in der Wirtschaft und Wissenschaft künftig im Industrie-4.0-Standard experimentell produzieren werden. Oder auch der Softwarepark Hagenberg, der zu einem Zentrum für IT-Sicherheit ausgebaut wird. Hier konnten wir mit Gerhard Eschelbeck, dem langjährigen IT-Sicherheitschef von Google, einen der renommiertesten Experten in diesem Fachbereich als „Visionärsprofessor“ gewinnen, der mit seinen Kontakten internationale Gastprofessoren und Experten nach Hagenberg holen wird. Oberösterreich ist das Industrie- und Wirtschaftsbundesland Nummer eins. Ein Viertel aller Exporte Österreichs kommt aus unserem Bundesland. Oberösterreich ist der Motor dieser Republik.
Depiereux_Was sind die großen Herausforderungen für die CEOs?
Achleitner_Man muss als Firmenchef verstehen, dass bisherige Geschäftsmodelle nicht so bleiben werden. Das ist die Grunderkenntnis. Dass diese Awareness noch nicht ganz da ist, merke ich immer wieder, bis hin zum Großunternehmer. Zu glauben, jetzt waren wir die letzten hundert Jahre erfolgreich und das bleibt auch so, ist das größte Risiko. Das heißt: wachsam und flexibel bleiben.
Depiereux_Gibt es da ein Beispiel aus deinem Alltag?
Achleitner_Erst kürzlich hat mir ein Maultrommelhersteller aus Molln erzählt, dass ihm die Digitalisierung sein Geschäft gerettet hat. Er exportiert mittlerweile in 40 Länder weltweit – von Australien bis zu den indigenen Völkern in Amerika. Dieses Beispiel zeigt vor allem auch, dass Tradition und Digitalisierung kein Widerspruch sind, sondern synergetisch wirken können. Und das finde ich so spannend an der ganzen Sache, nämlich dass Dinge entstehen, die man vielleicht nie für möglich gehalten hätte – das finde ich geil.
Depiereux_Was kann die Politik machen, um den Wandel positiv zu begleiten?
Achleitner_Viele Gesetze und Verordnungen passen mit der digitalen Geschäftswelt überhaupt nicht zusammen. Es wird eine Challenge werden. Das Arbeitszeitgesetz ist nicht mehr zeitgemäß. Die ganze Besteuerung passt in keinster Weise. Wir gehen in Österreich jetzt wahrscheinlich einen Alleingang bei der Digitalsteuer, weil es bei den EU-27 mit Einstimmigkeitsprinzip scheinbar nicht durchsetzbar ist. Wir müssen digitale Umsätze letztlich auch besteuern, damit wir die digitalen Netze finanzieren können.
Depiereux_Welche Rolle spielt die Bildung?
Achleitner_Wir können nicht glauben, mit Bildungskonzepten aus dem vorigen Jahrhundert die heutigen Bildungserfordernisse bedienen zu können. Der Kern ist, dass so wie jeder Mensch schon früh lesen, schreiben und rechnen lernt, jeder Mensch auch Basiskenntnisse im digitalen Bereich braucht, die es ihm ermöglichen, sich in der digitalen Welt zurechtzufinden. Ich war kürzlich in einem oberösterreichischen Unternehmen mit 1.000 Mitarbeitern, das ab 2019 all seinen Beschäftigten zumindest einen halben Tag pro Jahr ein digitales Basistraining bietet – und das machen dann alle, auch die Reinigungkräfte. Das ist der Weg, der uns in die Zukunft führt.
Depiereux_Sind gesetzliche Regelungen wie etwa Datenschutzgesetze ein Standortnachteil gegenüber den USA oder China?
Achleitner_Grundsätzlich hat die Europäische Union mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) einen gemeinsamen, wichtigen und prinzipiell richtigen Schritt gesetzt. Das einzige Problem dabei ist, dass nicht zwischen Facebook & Co. und dem kleinen Schreiner mit fünf Mitarbeitern im Nachbarort unterschieden wird. Es dürfen nicht die, die lokal ihr Business machen, benachteiligt sein gegenüber jenen, die international im Handel die Digitalisierung nutzen können. Gerhard Eschelbeck geht aufgrund seiner Erfahrungen als IT-Sicherheitschef bei Google davon aus, dass Maßstäbe, wie die DSGVO sie vorschreibt, 100-prozentig auch in Amerika kommen werden – weil Datensicherheit letztlich die Grundlage für digitale Geschäftsmodelle ist. Schade ist hingegen, dass es bei der Digitalsteuer voraussichtlich zu keiner EU-weiten Lösung kommen wird.
Depiereux_Was tut Oberösterreich als Region, um die jungen Menschen zu halten und Start-ups zu fördern?
Achleitner_Wir haben allein in Oberösterreich 18 Gründerinitiativen. Die ehemalige Tabakfabrik in Linz beispielsweise haben wir zu einem Start-up-Zentrum gemacht. Mittels der Initiative Creative Region Linz & Upper Austria bringen wir die Kreativwirtschaft mit der Digitalisierung und der produzierenden Industrie zusammen. Ein sehr offenes und hippes Thema, das es sonst nur in wirklichen Großstädten gibt. Das erzeugt einen Sog für junge, kreative Leute.
Depiereux_Wie weit ist Oberösterreich mit dem Thema Digitalisierung von Behördenwegen?
Achleitner_Wir sind in der Umsetzung. Im gesamten Förderwesen haben wir etwa ein Drittel volldigitalisiert. Das reduziert den Aufwand der öffentlichen Verwaltung und damit Kosten und Budget und wir können das Geld dort investieren, wo wir es brauchen, nämlich in die Zukunft.
Depiereux_Wie geht man mit möglichen Vorbehalten um?
Achleitner_Mein Credo ist immer: „Was Nutzen generiert, wird bleiben“, und es ist de facto ein Nutzen für den Bürger, den Reisepass oder den Führerschein rund um die Uhr online beantragen zu können, ohne dazu auf die Gemeinde gehen zu müssen, wo die Öffnungszeiten noch dazu eingeschränkt sind. Dass diese Veränderung nicht von heute auf morgen passieren kann und es Gruppen gibt, die Berührungsängste haben, ist vollkommen klar.
Depiereux_Hast du zum Abschluss vielleicht eine peinliche Geschichte für uns?
Achleitner_Da gibt es viele (lacht). Ich bin bei einem Wirtschaftstermin – ich muss dazu sagen, es war ein langer Abend – am Tisch sitzend während der Diskussion eingeschlafen. Da gibt es tolle Bilder. Einige Kollegen meinten daraufhin, sie hätten Fotos von mir, die mir gefährlich werden könnten. Das Gute ist, mittlerweile ist das den meisten von diesen Leuten auch schon passiert._