Fernab der digitalisierten Zivilisation an einem See sitzen und gemütlich fischen, statt selbst Opfer von „Phishing“ zu werden. Nach einem Crashkurs mit Jürgen Weiss klingt das durchaus verlockend. Denn als Geschäftsführer von ARES Cyber Intelligence kennt er die Gefahren, die in digitalen Gewässern lauern, nur zu gut. „Viele schlagen Profit aus der Cyberkriminalität, um sich ihr Leben zu finanzieren. Andere haben geopolitische Interessen wie Russland oder Nordkorea. Aber auch von aktivistischen, terroristischen und am Ende all jenen Täter:innen, die den Nervenkitzel suchen, geht Gefahr aus“, gibt Weiss einen kleinen Vorgeschmack. Seit 2015 ist er selbstständig im Bereich Cyber Security und digitale Strategieberatung tätig. Dank seiner Expertise und um dem wachsenden Bedarf an Präventionsarbeit gerecht zu werden, gründete er 2019 schließlich sein eigenes Unternehmen mit dem Ziel, KMUs leistbare Cyber Security-Services anzubieten.
Aus gutem Grund. Denn was gefühlt immer häufiger in den Schlagzeilen zu lesen ist, ist auch faktisch auf dem Vormarsch: Die Rede ist von Erpressungen, Drohungen und sonstigen Straftaten im Internet, die alles andere als Kavaliersdelikte sind. Das digitale Umfeld biete hierfür eine große Angriffsfläche, so der Experte. „Im vergangenen Sommer wurden 34 Unternehmen gehackt. Damals waren wir die einzigen, die jedes von ihnen unterstützen konnten. Unseren Fokus legen wir dabei auf eine unmittelbare Reaktion, also direkte Hilfe und Schadensminimierung.“
Mehr als „nur“ ein IT-Spezialist
Bei der Betreuung von Unternehmen schützen Weiss und sein Team etwa Social-Media-Profile, monitoren Mailadressen und setzen sich mit eventuellen Drohungen auseinander. „Wir verkaufen keine Firewalls oder Netzwerke. Sondern wir sind Cyber Security-Spezialisten, die versuchen, in der IT-Infrastruktur und in der Operational Technology alles zu tun, um (Produktions-)Stillstände zu vermeiden.“ Modernste KI-Technologien erleichtern hierfür den Arbeitsalltag ungemein. Im Rahmen eines Abomodells werden Kund:innen kontinuierlich betreut und ihre Sicherheitssysteme regelmäßig auf Schwachstellen analysiert. „Es soll so einfach und effizient, aber auch so schonend fürs Budget wie möglich sein“, betont Weiss.
Dafür kümmert er sich zu Beginn um ein internes Kontrollsicherungssystem. Vermeintlich Unangenehmes ist dabei gang und gäbe. Ein Beispiel gefällig? „Wir fragen eingangs: ‚Wissen Sie, was im Internet und Darknet über Ihr Unternehmen kursiert?‘ Anschließend suchen wir, ob Passwörter, Mailadressen oder Betriebsgeheimnisse bis dato geleakt wurden.“ Das Endergebnis: ein Risikoprofil des Unternehmens, das der Fachmann seinen Kund:innen vorlegt.
Wenn die Pflicht ruft
So viel steht fest: ARES ist mehr als „nur“ ein IT-Spezialist. Es ist ein digitaler Bodyguard, der dem unternehmenseigenen IT-Team mit Rat und Tat zur Seite steht, um die Cybersicherheit auf ein neues Level zu heben. „Wie bereits erwähnt sind wir investigativ im Darknet unterwegs, um Angriffe frühzeitig zu erkennen und Personen zu finden, die sich bewusst in der Anonymität verstecken.“ Auch jenseits der privaten Wirtschaft gibt es viel zu tun. „Derzeit befinden wir uns intensiv im Austausch mit den Behörden zum Impfpflichtgesetz. Die exponierten Personen werden hier anonym massiv bedroht.“ Aus Erfahrung weiß er: Nicht immer bleibt es nur bei der Drohung.Im Idealfall werden Weiss und sein Team schon im Vorfeld bei der Prävention von Cyberattacken zu Rate gezogen. Doch im Worst-Case-Szenario ist es für präventive Maßnahmen längst zu spät. Für solche Fälle gibt es bei ARES eine eigene Hotline. Die Profis verschaffen sich dann ein Bild über die Lage der Betroffenen, über das Ausmaß der Tat und darüber, wie der entstandene Schaden bestmöglich minimiert werden kann. „Wir teilen sodann Teams und Tasks ein, kappen die Internetverbindungen und machen uns an die Arbeit.“
Krisenmanagement bedeutet, die Lage zu bewerten und daraus die richtigen Handlungen abzuleiten. Dann heißt es: verhandeln, verhandeln, verhandeln – auch mit Hacker:innen muss das sein. In erster Linie gehe es darum, sich mehr Zeit zu verschaffen, um im Hintergrund Informationen zu sammeln und ein Lagebild zu erhalten. „Wir bewerten die Backups, gehen Schadensszenarien durch und stehen hin und wieder auch vor der moralisch herausfordernden Entscheidung, ob man Lösegeld tatsächlich bezahlt. All das läuft synchron ab.“ Was man sonst nur aus Filmen kennt und zunächst nach spannendem Hollywood-Blockbuster klingt, bedeutet für Weiss ebenso psychischen wie physischen Stress. „Was viele unterschätzen, ist, dass solche Angriffe meist vor dem Wochenende passieren – mit entsprechenden Auswirkungen. Man sitzt dort 20 Stunden täglich, für ein bis zwei Wochen“, gibt der Experte zu bedenken. Wenig Schlaf und ein hohes Stresslevel machen ihm nur bedingt Spaß. „Früher wurden Banken physisch ausgeraubt, heute geht das digital. Man darf nicht vergessen: Ich bringe die Täter:innen um Lösegeldforderungen in Millionenhöhe – die sind keinesfalls gut auf mich zu sprechen.“ In der DACH-Region gehört er zu den wenigen, die sich das (zu-)trauen.
Im Dienst der digitalen Sicherheit
Wie es um seine persönliche Sicherheit steht? Nun, dank seiner bulligen Statur und seines selbstsicheren Auftretens gäbe er wohl auch „offline“ einen ziemlich guten Bodyguard ab. Doch digital sieht sich Weiss regelmäßig mit einem gewissen Drohpotential konfrontiert. Cyberangriffe auf sein Unternehmen oder sogar private Social Media Accounts stehen für ihn mittlerweile schon fast an der Tagesordnung. Kein Wunder also, dass der griechische Kriegsgott Ares bei der Namensfindung seines Unternehmens eine entscheidende Rolle spielte. „Ursprünglich war es der erste Projekttitel und es ist in meinen Augen nach wie vor das beste Synonym, um der ‚dunklen Seite der Macht‘ den Krieg zu erklären.“
Die Botschaft ist klar. Und dass es ihm in diesem Kampf in erster Linie um die Sache geht, ist Weiss ein großes Anliegen. Konkurrenzdenken sei hier fehl am Platz. „Wir unterstützen die Behörden in der Strafverfolgung, wobei ich uns explizit nicht als Konkurrenten verstehe. Vielmehr versuchen wir kollektiv, den entstandenen Schaden zu minimieren, damit die Strafbehörden währenddessen in Ruhe ermitteln können.“ Egoismus? Bringe niemanden weiter. Denn die kritische Infrastruktur leide unter massiven Bedrohungen. „Ein Blackout hätte enorme Konsequenzen. Nach zwei Tagen Stromausfall wäre beispielsweise in Wien das Trinkwasser kontaminiert“, warnt der Experte.
Alles, nur nicht aufgeben
Umso wichtiger sei es, gegen Cyberattacken bestmöglich gerüstet zu sein. Besonders gefährlich sind inzwischen zwei Faktoren. Zum einen die Gefahr von innen heraus: „Aktuelle oder ehemalige Mitarbeiter:innen, die einem Unternehmen schaden wollen, leaken immer häufiger sensible Daten und verkaufen ihre Passwörter. Das kann fatale Folgen haben“, warnt Weiss. Zum anderen sind es die einfachen Möglichkeiten für ein breites Feld an Kriminellen. „Es bedarf keines großen technischen Know-hows mehr. Ransomware und Viren kann man im Darknet kaufen, das ist wie ein großer Onlineshop und funktioniert wie ein Franchisesystem. Man kauft sich einen Virenstamm, macht eine Mutation daraus und entwickelt noch ein Add-on. Ein Teil ist bereits erledigt, um den anderen kümmert man sich selbst – die Entwickler:innen werden dafür am Umsatz beteiligt.“
Was tun also? Die Flinte ins Korn werfen und schon mal nach Blockhütten fernab der digitalisierten Zivilisation suchen? Im Gegenteil. Für Weiss geht es um Aufklärung. Darum, ein Bewusstsein zu schaffen. „Viele Schäden müssten gar nicht sein. Es wird nur leider im Vorhinein oft nachlässig gearbeitet und aus Kostengründen zu wenig Fokus auf die Sicherheit gelegt.“ Ganz verhindern lasse sich die Gefahr zwar nie, da selbst im sichersten System der Mensch einen Unsicherheitsfaktor darstellt. Dennoch zählt für den Profi noch immer die Verhältnismäßigkeit: Denn für ihn überwiegen die Sonnenseiten der Digitalisierung die Schattenseiten. Vor allem dann, wenn man sich das Thema Cybersicherheit zu Herzen nimmt._