Nach über 24 Jahren als Abgeordneter im Europäischen Parlament wurde Paul Rübig Anfang Juli in den achtköpfigen Verwaltungsrat des Europäischen Innovations- und Technologieinstituts (EIT) berufen. Das EIT fördert die Zusammenarbeit von Bildung, Forschung und Wirtschaft innerhalb der Union. Im Interview kritisiert Rübig das aktuell vorgeschlagene Forschungsbudget des europäischen Rates der nationalen Staats- und Regierungschefs und erklärt, wie die EU künftig ihre Innovationskraft stärken sollte, um international wettbewerbsfähig zu bleiben.
Wie war Ihre Reaktion, als Sie erfahren haben, dass Sie von der EU-Kommission für den Verwaltungsrat des EIT auserwählt wurden?
RÜBIGDer gesamte Bewerbungsprozess hat ein Jahr gedauert. Als ich im Jänner erfahren habe, dass ich auf der Shortlist bin, fühlte ich mich schon sehr geehrt – immerhin haben sich insgesamt 185 hochrangige Wissenschaftler und Forscher für diese Aufgabe beworben. Die endgültige Zusage Anfang Juli war dann natürlich ein unglaubliches Gefühl. Ich weiß, dass ich für das EIT einiges bewegen kann. Schließlich war ich über 20 Jahre lang im Europäischen Parlament für die Bereiche Forschung und Innovation zuständig. Das EIT ist die ideale Plattform, um die Wettbewerbsfähigkeit auf europäischer Ebene zu stärken. Vor allem jetzt, durch die Covid-19-Krise, ist die Bedeutung einer starken Zukunftsagenda noch einmal enorm gestiegen.
Das erklärte Ziel des EIT ist es, durch die Einbeziehung von Unternehmen sowie Bildungs- und Forschungseinrichtungen Lösungen für dringliche globale Herausforderungen hervorzubringen. Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf?
RÜBIGDas EIT ist in acht Bereiche untergliedert: Climate, Digital, Food, Health, InnoEnergy, Raw Materials, Manufacturing und Urban Mobility – sogenannte Wissens- und Innovationsgemeinschaften. In allen dieser acht Bereiche gibt es zentrale Herausforderungen, die einen starken Einfluss auf die Gestaltung unserer Zukunft haben. Allerdings ist der Klimawandel dabei besonders hervorzuheben, weil er in allen dieser acht Bereiche eine gewichtige Rolle spielt. Hier bietet beispielsweise die Mobilität viele gute Ansätze. Um die Feinstaubbelastung zu reduzieren, ist es wichtig, den Verkehr möglichst fließend zu gestalten. Beim Bremsvorgang entstehen Millionen von Tonnen an Feinstaubpartikeln, die von den Reifen und den Bremsbelegen abgerieben werden. Wir brauchen also innovative Ampelsysteme, die für Grüne Wellen mit mehr Energieeffizienz in den Städten sorgen. Ein weiterer Aspekt sind etwa intelligente Parksysteme, sodass das Fahrzeug automatisch den nächstgelegenen Parkplatz ansteuert. Da gibt es einige Konzepte, die uns im Klimawandel ganz enorm helfen können.
Welche Position kann Österreich im Kampf gegen den Klimawandel einnehmen?
RÜBIGEinen großen Hebel gibt es auch bei den Rohmaterialien und der Energie. Wir importieren derzeit ungefähr 200 Milliarden Euro an Rohmaterialien und 400 Milliarden Euro an fossiler Energie in die EU. Es gibt durchaus Möglichkeiten, einige dieser Ressourcen selbst zu produzieren. Das sind Größenordnungen, die auch die Zahlungsbilanzen der EU enorm entlasten würden. In diesem Bereich kann Österreich eine entscheidende Rolle spielen. In Österreich gibt es besonders im Bereich der Energiespeicherung enormes Potential – speziell bei der Wasserkraft! Hier könnte und muss sich das Land in Zukunft noch stärker profilieren. Deshalb lautet mein Ruf an die Regierung: grünes Licht für Speicherenergie!
Welchen Stellenwert haben Forschung und Innovation in der EU? Immerhin hat sich der Europäische Rat für Kürzungen ausgesprochen …
RÜBIGFaktum ist, dass Forschung und Innovation innerhalb Europas sehr hohe Priorität haben und die Zusammenarbeit zwischen den Nationalstaaten ausgesprochen gut funktioniert. Aktuell befinden wir uns allerdings in den Verhandlungen für das Budget des Forschungsprogramms der nächsten sieben Jahre, des Horizon Europe. Das aktuelle Forschungsprogramm, Horizon 2020, läuft Ende des Jahres aus und hatte eine finanzielle Grundlage von 80 Milliarden Euro. Es hat sich gezeigt, dass wir damit nur knapp sieben Prozent der eingereichten Forschungsprojekte finanzieren konnten – obwohl es noch viele weitere förderungswürdige Projekte gegeben hätte. Mehrere volkswirtschaftliche Analysen haben gezeigt, dass wir in Europa den größten Fortschritt erreichen könnten, wenn das Budget für die nächsten sieben Jahre von 80 auf 160 Milliarden verdoppelt wird. So könnte man den größten Effekt auf das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigungssituation erzielen. Da wir aber auch Realisten sind und wissen, dass die Staats- und Regierungschefs sowie die zuständigen Finanzminister über hohe Steigerungsraten nie sonderlich erfreut sind, haben wir diese Forderung auf eine 50-prozentige Erhöhung reduziert. Die nationalen Staats- und Regierungschefs möchten nun sogar Kürzungen durchführen, was aus meiner Sicht völlig kontraproduktiv ist.
Für welche Forschungsbereiche würden Sie sich mehr finanzielle Unterstützung wünschen?
RÜBIGWir haben in der Europäischen Kommission evaluieren lassen, wo finanzielle Mittel am effizientesten einzusetzen wären. Dabei zeigte sich vor allem die Zugänglichkeit zu Forschungsinfrastruktur als enorm bedeutsam. Es gibt viele Geräte, die mehrere Millionen Euro kosten und das kann sich eben ein KMU meist nicht leisten. Daher ist einer unserer großen Leitsätze: Open World, Open Science und Open Access Innovation.
Was verstehen Sie konkret unter Open Science?
RÜBIGWenn die EU derartig kostspielige Forschungsstruktur finanziert, muss für Dritte das Recht bestehen, diese Geräte gegen Entgelt zu nutzen. Darüber hinaus bedeutet Open Science, dass alle Studien, die von der EU finanziert werden, öffentlich zugänglich sein müssen – auch wenn das viele Forscher und Betriebe nicht wollen. Aber die europäische Forschung ist in erster Linie eine vorwettbewerbliche Forschungsförderung und um Fortschritte zu erreichen, ist Geschwindigkeit zu diesem Zeitpunkt sehr entscheidend. Deshalb soll Open Science die Forschung öffnen. Wenn es dann um die Endausgestaltung der Produkte und Dienstleistungen geht, tritt ohnehin der normale Wettbewerb ein, wo sich entscheidet, wer den größeren Markterfolg hat.
Was sind Ihre Ziele mit dem EIT? Wo soll das Institut stehen, wenn Sie Ihr Amt niederlegen?
RÜBIGDas Entscheidende ist eigentlich die Kommunikationsstrategie. Ich bin davon überzeugt, dass es enorm wichtig ist, Wissen transparent aufzubereiten und wissenschaftliche Ergebnisse schnell zu kommunizieren. Darin sehe ich eine der Hauptaufgaben des EIT. Und natürlich muss sich das auch volkswirtschaftlich rechnen – das ist eine ganz entscheidende Positionierung. Die Wertschöpfungskette vom einzelnen Erfinder bis zum weltweit börsennotierten Konzern ist eine große Herausforderung und deshalb ist auch diese Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung extrem wichtig. Und dieses Netzwerk werden wir kontinuierlich vorantreiben._
„Es ist enorm wichtig, Wissen transparent aufzubereiten und wissenschaftliche Ergebnisse schnell zu kommunizieren.“
Paul Rübig
Verwaltungsratsmitglied, Europäisches Innovations- und Technologieinstitut (EIT)
# about EIT
Seit der Gründung im Jahr 2008 konnte das EIT einige Erfolge verzeichnen:
# 8 erfolgreiche Wissens- und Innovationsgemeinschaften
# Über 60 Innovationszentren in ganz Europa
# Unterstützung von über 3.200 Start-ups und Scale-ups
# Beschaffung von 3,3 Mrd. Euro externem Kapital durch vom EIT unterstützte Unternehmen
# Schaffung von über 13.000 Arbeitsplätzen
# Ausbildung von über 3.100 Absolventen von Master- und Promotionsstudiengängen
# Schaffung von über 1.170 neuen Produkten und Dienstleistungen