Der Arbeitsmarkt hat sich gedreht. Hin zum Arbeitnehmermarkt. Vor allem in der Technik- und IT-Branche können sich die Talente heute aussuchen, wo und auch wie sie arbeiten möchten. Mit alten Methoden gewinnt man diese Menschen daher nicht mehr. Bettina Kern, Gründerin und Geschäftsführerin von KERN engineering careers, weiß, wie sich das Rad trotz Fachkräftemangels weiterdreht und vor allem, wie es sich in Richtung Zukunft dreht. So viel vorweg: „Um im internationalen Wettbewerb mithalten zu können, müssen wir ordentlich in die Pedale treten!“
Sie schwingt sich auf ihr Rennrad und tritt in die Pedale, als wäre es das Einfachste der Welt, im Businessoutfit Sport zu machen. Aber von schwierigen Herausforderungen hat sich Bettina Kern noch nie abhalten lassen. „Wie heißt es so schön? Raus aus der Komfortzone! Genau da lernt man das meiste“, sagt sie. Ohnehin seien die Fehler, die sie gemacht hat, enorm wichtig für ihre persönliche Entwicklung gewesen.
Dass sie anfangs immer wieder unterschätzt wurde – als eine von sehr wenigen Frauen in der Technikbranche –, hat sie immer als Vorteil gesehen. „Das hat mich stärker gemacht.“ Bettina Kern sieht sich gern als Role Model für andere Frauen, ihr wichtigster Tipp: „Wir müssen nicht männlich werden, um in dieser von Männern dominierten Branche erfolgreich zu sein.“ Sie schätze die Technik- und IT-Branche vor allem deshalb, weil „hier alles so klar strukturiert ist. Was man sich ausmacht, hält. Es ist unkompliziert, da wird nicht lange um den heißen Brei geredet. Außerdem arbeite ich wirklich gerne mit Männern“, sagt sie und lacht. Natürlich sei die Branche besonders schnelllebig – Forschung und Entwicklung hätten einen enorm wichtigen Stellenwert, ständig tue sich etwas Neues auf. „Das ist anstrengend, aber genau das ist das Salz in der Suppe.“
Keine Suppe, sondern Wasser (genau genommen die Donau) fließt unter uns, als wir Bettina Kern auf ihrem Rennrad fotografieren. Und die neue Eisenbahnbrücke in Linz als Kulisse ist ein schönes Symbol. Denn Brücken verbinden. Genau das macht Bettina Kern auch. Sie verbindet Talente und Unternehmen, die eben diese Talente (dringend) brauchen. Das macht sie genauso leidenschaftlich, wie auf ihrem Rennrad zu fahren. Und eigentlich finden sich dabei auch einige Parallelen zwischen Radsport und Recruiting in Zeiten des Fachkräftemangels.
#1 Neue Wege finden
Da tritt man voller Tatendrang in die Pedale und plötzlich muss man abbremsen. Weil die Straße gesperrt ist. So in etwa fühlt sich das für so manche Unternehmen im Moment an, weil sie nicht genügend Personal finden, um alle Aufträge annehmen zu können. „Man kann die aktuelle Situation durchaus mit Streckenunterbrechungen vergleichen. Natürlich kann ich warten, bis sie behoben sind. Das hab ich allerdings nicht selbst in der Hand. Ich kann mich aber auch nach Alternativrouten umschauen“, erklärt Bettina Kern und meint damit neue Wege im Recruiting. „Wenn ich das wirklich mit Schwung mache und mir eine gute Alternativroute suche, komme ich vielleicht sogar viel schneller ans Ziel.“ Sie sehe sich mit ihrem Unternehmen kern engineering careers als Spezialistin, Unternehmen diese Alternativrouten aufzuzeigen.
#2 Flexibel bleiben
Der Wettkampf um die besten Köpfe ist hart. Und scheint immer härter zu werden. Kaum bietet man mehr, bietet ein anderer Arbeitgeber noch mehr. Werden die Schnellsten gewinnen? Oder am Ende alle verlieren, weil sich irgendwann keiner mehr Mitarbeiter:innen leisten kann? „Ich glaube, am Ende des Tages werden die Flexibelsten gewinnen“, ist Kern überzeugt. Und damit meint sie jene Unternehmen, die sich am besten auf ihre Talente einlassen können. „Natürlich kann ich zum Wunscherfüller werden und den Mitarbeiter:innen jeden Wunsch von den Lippen ablesen. Nur wird sie das nicht halten.“ Viel wichtiger und nachhaltiger sei es, individuell auf die Menschen einzugehen. „Das ernsthafte Interesse ist ganz, ganz wichtig! Mitarbeiter:innen zu fördern, aber auch zu fordern, wirklich mit ihnen zu arbeiten, sie die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit spüren zu lassen – darum geht‘s.“
Raus aus der Komfortzone! Genau da lernt man das meiste.
Bettina Kern
Gründerin und Geschäftsführerin, kern engineering careers
#3 Worum es wirklich geht
Die Zeiten sind vorbei. Die Zeiten, als Mitarbeiter:innen bis zur Pension im selben Unternehmen blieben. „Wenn im Unternehmen etwas nicht 100-prozentig passt, dann wissen die Kandidat:innen, dass sie schnell einen anderen Job bekommen.“ Geld spiele dabei nicht die alleinige Hauptrolle, es gehe oft um Kleinigkeiten, die für jemanden ausmachen, ob er oder sie sich am Arbeitsplatz glücklich fühlt oder nicht. „Wir hatten vor Kurzem einen Kandidaten, der das Angebot nicht angenommen hat, weil er Sakko und Hemd hätte tragen müssen, er aber seinen legeren Kleidungsstil auch im Job beibehalten wollte“, erzählt Kern. Viele IT-Expert:innen würden auch nicht mehr zwingend in einem Angestelltenverhältnis arbeiten wollen. „Die möchten sich ihre Projekte aussuchen und arbeiten lieber als Freelancer:innen.“ Das bedeute natürlich eine Umstellung für Unternehmen.
#4 It’s a match!
Herauszufinden, was die Kandidat:innen wirklich wollen, um dann genau jenen Arbeitgeber zu finden, der zu ihnen passt, sei die Kernkompetenz von kern engineering careers, gleichzeitig aber auch die größte Herausforderung: „Unser Leitmotiv ist: Potential in Wirkung bringen. Das ist definitiv nicht der einfachste Weg, aber der nachhaltigste und langfristig erfolgreichste“, erklärt die Gründerin. „Früher wurde schnell ein Jobangebot angenommen, Hauptsache der Verdienst war gut. Das ist aber nicht nachhaltig.“ Liefert man hingegen jenes Jobangebot, das wirklich zu jemandem passt, dann profitiere einerseits der Kandidat oder die Kandidatin davon, genauso aber natürlich auch das Unternehmen.
#5 Eine Frage der Empathie
Doch wie findet man genau das heraus? „Um wirklich nahe an den Menschen dran zu sein, braucht es natürlich sehr viel Empathie. Man muss sich in die Kandidat:innen einfühlen. Das bedeutet viel Aufwand und Recherche.“ Dazu nutzen sie unterschiedlichste Plattformen, um über die Profile der jeweiligen Kandidat:innen bereits einige Informationen herauszufinden. „Es funktioniert heutzutage nicht mehr, die Kandidat:innen einfach anzuschreiben. Man muss sich für sie ernsthaft interessieren.“ Die spannendsten Kandidat:innen seien für sie übrigens jene, „die noch gar nicht wissen, dass sie wegwollen“, sagt Bettina Kern und lacht. „Genau die wollen wir haben.“ Nicht selten würde zwischen dem Erstkontakt und dem tatsächlichen Wechsel ein Jahr vergehen.
#6 Internationaler Wettbewerb
Der Kampf um die besten Mitarbeiter:innen ist längst kein regionales Rennen mehr, es ist ein internationaler Wettkampf. „Wenn wir es mit einem Radrennen vergleichen, dann könnte man sagen, dass die Spitzengruppe schon ein Stückchen vorne ist. Es ist nicht so, dass Österreich diese nicht mehr einholen kann, aber dafür müssen wir ordentlich in die Pedale treten.“ Erstens: „Arbeit wird hierzulande hoch besteuert. Gerade wenn ich an die Top-Leute denke, die natürlich auch gut verdienen –
da sind die Steuersätze in anderen Ländern attraktiver.“ Zweitens sei die Sprache Englisch ein großes Hemmnis. „Das ist banal und wir wissen das schon lange. Als Rückmeldung bekomme ich immer, dass die Leute halt stattdessen Deutsch lernen sollen. Aber Deutsch lernt man nicht von heute auf morgen.“ In den nordischen Ländern sei es ganz normal, dass die Unternehmenssprache Englisch ist. Das bringe ihnen einen enormen Wettbewerbsvorteil im Kampf um High Potentials. Als dritten wichtigen Punkt im internationalen Wettbewerb nennt Bettina Kern die bürokratischen Hemmnisse. „Daran müssen wir dringend arbeiten. Die letzten Babyboomer werden 2030 den Arbeitsmarkt verlassen, wir hätten jetzt die Möglichkeit, hier viel zu bewegen.“ Und dann spricht sie noch den vierten Punkt an und appelliert dringend an die Politik und die Gesellschaft: „Eine gezielte Zuwanderung ist dringend notwendig. Dazu müssen wir unbedingt die mentalen Vorbehalte in der Gesellschaft auflösen. Die Zuwanderung zum Arbeitsmarkt wollte man ja deshalb früher nicht, weil wir eine höhere Arbeitslosenrate hatten. Aber das ist jetzt schon lange vorbei und völlig veraltet.“
#7 Teamsport
Wenn die Waden brennen, die Luft auszugehen droht und der Berg kein Ende nimmt, dann ist besonders wichtig: nicht allein auf der Straße zu sein. Weder beim Radfahren noch beim Lenken eines Unternehmens. Bettina Kern führt kern engineering careers gemeinsam mit ihrem Lebenspartner Christian Geissler. „Wichtig ist, dass wir uns ergänzen. Wir haben sehr unterschiedliche Stärken –
er ist der analytische Typ, der sich in Themen total tief reindenken kann. Ich bin die schnelle, operative Umsetzerin. So haben wir auch unsere Teams organisiert. Christian ist für die internen Bereiche zuständig, und ich für die operativen.“ Was sie beide gemeinsam haben: den Kampfgeist – sowohl im Unternehmen als auch beim Sport. „Verlieren gibt‘s nicht!“ Davon sind beide überzeugt und treten weiter kräftig in die Pedale._
Bettina Kern und Christian Geissler
Motivieren sich gegenseitig und ergänzen sich: Bettina Kern und ihr Lebenspartner Christian Geissler (beide Gründer:in und Geschäftsführer:in von kern engineering careers) besuchen auch an Wochenenden Workshops, um vorwärtszukommen. Und dann schwingen sie sich auf ihre Rennräder, um den Kopf freizubekommen.