Von einer abrupten Bremsung, die er in dieser Dimension noch nicht gesehen habe, spricht Bernd Winter, wenn er die aktuelle Lage am Immobilienmarkt einschätzt. „Vor zwei Jahren hat noch niemand die massiv schnell steigenden Zinsen und die momentane Entwicklung für möglich gehalten.“
Dunkle Wolken ziehen auf. Der Blick aus dem Fenster des Wiener Büros von Bernd Winter passt rein zufällig perfekt zur Stimmungslage bei den Immobilienentwicklungen im Land. „Allein die Rückgänge des ausgegebenen Volumens im privaten Bereich, egal ob im Hausbau oder für den Wohnungsankauf, sind alarmierend.“ Für BDO Österreich ist der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater als Leiter des Branchencenters Immobilien tätig und blickt besorgt auf die derzeitige Stimmung am Markt. „Zinsen, die in einer so kurzen Zeit in dieser Dimension steigen, sind mir historisch seit dem Zweiten Weltkrieg nicht bekannt.“ Abgesehen von wenigen Ausnahmen sei die Zinslandschaft der vergangenen 40 Jahre stets attraktiv für Investitionen gewesen. Und heute? Gibt es bedenkliche Entwicklungen, aber auch Lichtblicke, über die der Experte im Interview spricht.
Investor:innen sind verunsichert, steigende Kosten haben mehr Risikoaversion bei den Banken und weitere Konsequenzen zur Folge. Erreicht das Betongold seinen Schmelzpunkt?
Bernd Winter: Developments rechnen sich für klassische Immobilienentwickler:innen immer schwieriger, da die Baukosten hoch bleiben, selbst wenn die Zinsen wieder sinken. Durch die neuen Kollektivverträge ist der Faktor Arbeit allein heuer um zehn Prozent teurer geworden. Zwar pendeln sich Ziehharmonika-Effekte, wie die „Rohstoffrallye“ durch die Lieferkettenproblematik, wieder ein. Die grundsätzlichen Gestehungskosten sind dennoch höher denn je, das Betongeld büßt also an Glanz ein. Wo weniger Immobilien entwickelt werden, gehen lukrative Aufträge für Bauträger zurück und es entsteht weniger Wohnraum. Allein die Stadt Wien hat jährlich einen Zuzug von rund 20.000 Menschen, bei lediglich rund 7.000 Baubewilligungen jährlich entsteht zwangsläufig ein Ungleichgewicht.
Welche Unterstützung leistet die Beratung von BDO in Krisenzeiten?
Bernd Winter: Zum einen leisten wir Unterstützung bei der Adaption der Geschäftsmodelle – da gehen wir intensiv in die Beratung. Denn was in Zeiten von niedrigen Zinsen noch funktioniert hat, tut dies in der jetzigen makroökonomischen Phase vielleicht nicht mehr. Zum anderen ist natürlich der Stress, den die aktuelle Lage auslöst, durchaus spürbar. Wir sehen es als unsere Aufgabe, so gut wie möglich und vor allem auch menschlich zu unterstützen. Einfach da zu sein, Ansätze gemeinsam mit unseren Kund:innen zu erarbeiten und Wege aufzuzeigen, wie man eine Krise bewältigen kann. Redimensionierungen der Volumina, die gebaut werden oder die auf den Markt kommen, Restrukturierungen sowie Freisetzungen von Personal sind sensible Themen, die eine Menge Fingerspitzengefühl verlangen.
Neben der Digitalisierung hält auch die KI vermehrt Einzug in die Immobilienbranche. Ein Schreckgespenst oder Heilbringer?
Bernd Winter: Dieser Zug ist gefühlt nicht zu bremsen. Effizienz und Intelligenz gehen Hand in Hand. Schon bei der Errichtung von Gebäuden sind Digitalisierung und der Einsatz intelligenter Systeme ein zentrales Thema. Aber auch für die nachhaltige, effektive und günstige Bewirtschaftung von Büros. Wir reden hier von effizienter Haustechnik, dem gezielten Einsatz von Sensoren und energetisch sinnvollen Lösungen.
An einem Tag sind selbst große Büros überfüllt, an anderen Tagen herrscht dank Homeoffice gähnende Leere. Gibt es Lösungen für dieses Dilemma?
Bernd Winter: Auf der einen Seite gilt es mittlerweile als selbstverständlich, Homeoffice anzubieten. Auf der anderen Seite zeichnet sich der Trend ab, den eigenen Mitarbeitenden attraktive Arbeitsplätze bieten zu wollen, obwohl man die Büroflächen reduzieren könnte. Ich glaube, die Mischung macht’s. Das Büro hat als gemeinsamer Arbeitsort nicht ausgedient, vielleicht sieht es in Zukunft einfach nur anders aus – man achtet etwa mehr auf emotionale Bindung, Kreativität und Freiräume. Aber, wie auch das Wohnen, bleibt es ein Grundbedürfnis. Co-Working-Spaces funktionieren zwar in einigen Bereichen, werden jedoch vermutlich nicht durchgängig die Lösung sein. Zumindest zeichnet sich hier kein eindeutig positiver Trend ab.
Wie helfen Sie persönlich dabei, heute schon zu verstehen, wie wir morgen leben?
Bernd Winter: Flexibilität und Anpassungsfähigkeit sind für mich zur Kernaufgabe eines guten Managements geworden, um Unternehmen dabei zu helfen, sich rasch an ständig neue Gegebenheiten anzupassen. In den letzten Jahren ging es vom Regen in die Traufe – wir mussten etwa aus der Coronakrise lernen oder die Lieferkettenproblematiken und steigenden Rohstoffpreise bewältigen. Diese eruptiven Ereignisse verlangen vor allem eines: hohe Geschwindigkeit. Und die flexiblen Betriebe und Unternehmer:innen, die sich schnell an neue Situationen und ungewohntes Terrain anpassen, haben mit Sicherheit die Nase vorn._
Wir sehen ein noch nie dagewesenes abruptes Bremsen am Immobilienmarkt.
Bernd Winter
Partner & Leiter Branchencenter Immobilien, BDO
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