Katrin Mayrhofer-Schmirl stapft in Burberry-Gummistiefeln durch ihren Garten, in der linken Hand ein kleiner Plastiksack mit Vogelfutter. Sie will nicht etwa Spatzen oder Meisen bei ihrer Nahrungssuche unterstützen, nein, die Körner sind quasi ein Investment in die hauseigene Nahrungsmittelproduktion. Denn seit kurzem kümmern sich Luna, Pepita und Felix um das tägliche Frühstück der Mayrhofer-Schmirls. Die drei Hühner leben in einem einige Quadratmeter großem Käfig mit kleiner Holzhütte und Wasserspender. „Wir haben eine sehr tierliebende Tochter, und nachdem sie schon jede Menge Spielsachen hat, haben wir uns für ihren Geburtstag etwas anderes überlegt“, sagt Mayrhofer-Schmirl und öffnet den Stall, um die Tiere herauszulocken und zu füttern. Immerhin ein Ei findet sie – keine schlechte Ausbeute, denn Luna, Pepita und Felix sind noch nicht ausgewachsen und legen dementsprechend seltener. „Die Eier sind aber momentan noch alle meiner Tochter vorbehalten“, sagt die Unternehmerin und lacht.
Trendumkehr Anfang 2000
Der Aufwand für die drei Tiere hält sich in Grenzen. Füttern, bei Dämmerung das Hühnerhaus abschließen. Die Trinkanlage ist beheizt, um die Wassertemperatur auch im Winter konstant bei einem Grad zu halten. Neben Körnern freuen sich die Hühner auch über übriggebliebene Nudeln, Salatreste und Reis. Bei der Anschaffung haben sich die Mayrhofer-Schmirls vom näheren Umfeld inspirieren lassen. „Wir sind damit quasi einem Trend gefolgt“, sagt Mayrhofer-Schmirl, „meine Tochter hat Hendln schon bei ihrer Patentante gesehen.“ Hendln seien die neuen Hunde in ihrem Bekanntenkreis.
Marktforscher und Geschäftsführer der Integral Markt- und Meinungsforschungs GmbH, Bertram Barth, beobachtet schon seit Jahren einen Trend, den er Regrounding nennt. Das nächste Umfeld, das häusliche Glück in den eigenen vier Wänden, der Garten und die Regionalität werden in Zeiten zunehmender Digitalisierung und Globalisierung immer wichtiger. „Man kann von einem Rückzug reden, der geografisch definiert ist“, sagt Barth. Eine neue bürgerliche Mitte entstünde, deren Idealbild ein klar definierter Lebenslauf und ab 30 Jahren Kinder, ein Eigenheim mit Garten und Haustieren wäre. Der Grund: „Die Sehnsucht nach einem festen Boden unter den Füßen, ausgelöst durch globale Krisen“. Seit der Dotcom-Blase und dem 11. September gäbe es eine Trendumkehr. „Das Bedürfnis nach Sicherheit und Verlässlichkeit ist größer geworden“, sagt Barth. Mehr als 2.000 Interviews hat Integral seit 2011 geführt. Das Ergebnis: 62 Prozent der Befragten stimmen mittlerweile der Aussage „Ich suche Halt im Leben“ zu – das sind neun Prozent mehr als noch 2011. Bei den unter 30-Jährigen ist die Zustimmung in diesem Zeitraum besonders gestiegen, und zwar gleich um vierzehn Prozent auf insgesamt 68 Prozent.
Die Flucht ins Kontrollierbare
Einen Rückzug in die Alltäglichkeit, eine „Neo-Biedermeier-Zeit", beschreibt der Immobilienreport 2015 des Zukunftsinstituts mit Sitz in Wien, München und Frankfurt. Wie schon im 19. Jahrhundert gäbe es auch jetzt durch politische Restriktionen, gesellschaftliche Turbulenzen und Umwälzungen einen Rückzug des Bürgertums in die „scheinbare Sicherheit“ des Heims. „Die Menschen schaffen sich in ihren eigenen vier Wänden ein Umfeld, dass sie wieder kontrollieren können“, sagt Christiane Varga vom Zukunftsinstitut. „Man fängt wieder an, Marmelade einzukochen und zu garteln“. Die Reaktion auf Kriege und den NSA-Skandal ist also die Flucht in das Bewährte. Dieser Trend zeigt sich in Deutschland bereits auf dem Wohnungsmarkt. Wäre der Großstadtmensch bisher ein Individualist gewesen, könne man mittlerweile eine verstärkte Gruppenbildung beobachten. Während der Bau gewerblicher Gebäude und Verwaltungsgebäude leicht zurückging, stieg 2013 besonders stark die Zahl der neu gebauten Wohnungen in Mehrfamilienhäusern und Doppelhäusern.
Weitere Ursache für den zunehmenden Rückzug ist für Barth die steigende Wahrnehmung von internationalen Krisen und komplexen Ereignissen. „Die Informationsaufnahme über soziale Medien ist oftmals sehr zugespitzt und verdichtet, sodass bei den Menschen ein Gefühl des Kontrollverlusts aufkommt“, sagt er. Überforderung muss aber nicht unbedingt die Ursache für den Rückzug ins eigene Heim sein. „In einer sehr komplex gewordenen Welt wird der eigene Garten, das eigene Heim auch bewusst dazu genutzt, um Kraft zu tanken und die Batterien aufzuladen“, sagt Varga.
Kontrollverlust ist kaum der Grund, warum Mayrhofer-Schmirl in ihrem Garten nun Hühner hält. Aber die Motivation dazu begründet sie auch etwa in Lebensmittelskandalen. „In Zeiten von spanischen Gemüseskandalen und wo niederländische Nutztiere bereits auf Containerschiffen gehalten werden, damit die Ställe nicht ausgemistet werden müssen, ist es sehr wichtig für mich, genau zu wissen, wo unsere Nahrungsmittel herkommen“, sagt sie. Im Garten finden sich nicht nur Hühner, sondern auch ein Hoch- und Kräuterbeet sowie Beerensträucher. Auch viele ihrer Freunde hätten sich bereits einen großen Gemüsegarten zugelegt. Für die Unternehmerin ein Statement gegen den Billig- und Massenkonsum und für ein bewussteres Leben. Mayrhofer-Schmirl studierte im Ausland und lebte in Großstädten. „Ich schätze zwar die Nähe zu solchen Zentren, aber würde mittlerweile nicht mehr in einer Stadt wohnen wollen“, sagt sie, „dazu genieße ich das ländliche Umfeld und die Ruhe an einem lauen Sommerabend im Garten zu sehr“. Der Garten soll übrigens bald ein paar neue Bewohner bekommen – noch weitere Hühner. Diesmal wahrscheinlich Grünleger, also Haushühner, die Eier mit grüner Eierschale legen. Der Vorteil: Das morgendliche Spiegelei enthält dann weniger Cholesterin._
"Es gibt eine zunehmende Sehnsucht nach festem Boden unter den Füßen und Regionalität – ausgelöst durch globale Krisen."
Bertram BarthMarktforscher & Geschäftsführer, Integral Markt- und Meinungsforschung
"Es ist sehr wichtig für mich, genau zu wissen, wo unsere Nahrungsmittel herkommen."
Katrin Mayrhofer-SchmirlUnternehmerin, Katrins Kulinarik