Politiker zu sein ist oft eine Gratwanderung. Einerseits will man das Vertrauen, das die Wähler in einen setzen, nicht enttäuschen, andererseits muss man mit konträren ideologischen Politikerkollegen zusammenarbeiten und sachliche Kompromisse finden. Dabei wird man häufig an getätigten Aussagen und Statements gemessen. Die Aussage von Rudi Anschober bei unserem letzten Interview vom 17. September 2015 ist eine solche: „Wenn wir den Mut haben, einen aufrechten Gang an menschlicher Politik zu gehen, dann wird es auch gelingen, dass die Bäume der FPÖ nicht in den blauen Himmel wachsen.“
Mut zu menschlicher Politik
Seitdem ist eine Bundespräsidentenwahl mit dem Sieger Alexander Van der Bellen geschlagen, ein Kapitel der österreichischen Innenpolitik, bei dem sich niemand mit Ruhm bekleckert hat. In Oberösterreich gibt es seit Ende 2015 zudem eine schwarz-blaue Koalition und die FPÖ liegt bei den Sonntagsfragen in Führung. Bei der Frage, ob der Mut zu menschlicher Politik gefehlt habe, überlegt Anschober lange und genau, gehe es doch in dieser Frage um eine Richtungsentscheidung, die wir sowohl in den USA als auch in Europa erleben. „Die Bundespräsidentenwahl war gekennzeichnet von dieser Richtungsentscheidung: Wofür steht man? Für eine solidarische Gesellschaft, für ein europäisches Miteinander oder für Spaltung und einen Rückfall in nationalstaatliche, kleinstaatliche Strukturen? Das Risiko ist sehr groß, dass es in vielen Ländern Europas diesen Rückfall gibt. Das ist eine Grundsatzentscheidung, die auch mit Schwächen der Europäischen Union zu tun hat. Rechtspopulistische Parteien wie die FPÖ machen Stimmung aus diesen Schwächen und aus den Sorgen und Ängsten der Bevölkerung. Wir müssen daher imstande sein, klare Alternativen und Antworten auf diese Sorgen zu geben. Wir müssen die FPÖ auch als das benennen, was sie ist: eine Gefahr für ein gemeinsames Europa und eine solidarische Gesellschaft.“ Im Kontext der politischen Mutfrage ist das Asylthema eines, das die Politik noch über Jahre beschäftigen wird. Christoph Hofinger vom SORA-Institut sagt, das Stimmungsbild in Oberösterreich bezüglich der Migranten sei differenziert. Der SORA-Integrationsmonitor hat gezeigt, dass je kleinräumiger die Ebene ist, desto besser wird die Arbeit bewertet. Während demnach also in Oberösterreich die Stimmung positiv überrascht, wird die Arbeit der Bundesregierung und der EU in diesen Fragen als sehr negativ gesehen. Woran das liegen könnte? Anschober meint: „Ich bin überzeugt, wenn du Menschen persönlich begegnest und kennenlernst, hast du ein anderes Bild von der Lage, als wenn du anonyme Ängste hast.“ Zudem habe man auf europäischer Ebene genau jenen Grundwert vernachlässigt, der die Europäische Union auszeichne, nämlich ein solidarisches Miteinander: „Ich bin nicht verwundert, dass wir in der EU eine negative Stimmung haben, da die Solidarität von einem Gutteil der Mitgliedsstaaten nicht gelebt wird. Das zeigt sich in der Asylfrage gravierend. Eine Aufteilung zwischen den Mitgliedsstaaten wäre paktiert gewesen. Ich glaube vier oder fünf Staaten haben es tatsächlich gemacht. Das kann nicht sein. Ich sehe es überhaupt nicht ein, dass beispielsweise Italien, Österreich oder Deutschland Solidarität leben, Menschen aufnehmen und gleichzeitig auch noch die Kosten dafür zahlen müssen. Das ist absurd.“
Arbeitsplatzkiller Sozialstaat?
Heftige Reaktionen löste in letzter Zeit auch die Diskussion um die zu gering erscheinende Diskrepanz von Einkommen aus Erwerbsarbeit und arbeitslosem Einkommen aus. So errechnete im Jänner dieses Jahres eine alleinerziehende Bürokraft, dass ihr mit einem gut bezahlten 30-Stunden-Job auch nicht unwesentlich mehr zum Leben bleibt, als dies als Bezieherin der Mindestsicherung der Fall wäre. Der Leiter der Abteilung Sozial- und Rechtspolitik der WKOÖ, Erhard Prugger, spricht in diesem Zusammenhang wiederum vom „Arbeitsplatzkiller Sozialstaat“, da zum Teil verhindert werde, dass Leute Jobs annehmen und der Sozialmissbrauch gefördert werde. Wird Leistung tatsächlich nicht mehr ausreichend belohnt? „Ich bestreite, dass wir eine leistungsgerechte Gesellschaft sind“, so Anschober, „Ich bin der Meinung, dass Leute, die hart arbeiten, oft nicht ausreichend dafür entlohnt werden. Das hat mit der Verteilung der Steuerlast, der viel zu starken Besteuerung der Arbeit und dem Mindestlohn zu tun, der meines Erachtens in Österreich viel zu gering ist.“ Den Unterschied zwischen der Mindestsicherung und jenen, die in nicht sehr gut entlohnten Jobs tätig sind, zu schaffen, könne man auf zwei Arten. Dabei gehe es immer um die Faktoren Arbeitsanreiz und Menschenwürde. „Entweder man reduziert die Mindestsicherung, die aber eigentlich als letzte Absicherung und Chance gedacht ist, bis die Menschen nicht mehr davon leben können. Das halte ich für ein – nach OECD-Standards – reiches Land wie Österreich für menschenunwürdig. Die zweite Option ist: Ich schaffe eine menschenwürdige Mindestsicherung und erhöhe gleichzeitig dazu den Mindestlohn. Das wäre mein Zugang: Mindestlohn schrittweise erhöhen“, so der Integrations-Landesrat. Die Tatsache einer nicht leistungsgerechten Gesellschaft beruhe auf einem Verteilungsproblem, nicht auf einem Sozialstaat, der Arbeitsplätze vernichten würde: „Wenn sieben Menschen so viel verdienen wie die Hälfte der Weltbevölkerung, dann glaube ich nicht, dass die sieben so viel leisten wie die Hälfte der Bevölkerung. Das Kämpfen für mehr Fairness und Gerechtigkeit hat nichts Klassenkämpferisches, sondern etwas Notwendiges.“ Notwendige, langfristige Visionen hat Anschober auch nach vierzehn Jahren in der Landespolitik noch genügend, die Maxime sei, einen kleinen Schritt nach dem anderen zu tun: „Ich träume von einer zukunftsfähigen, solidarischen Gesellschaft. Es sind winzige und sehr kleine Schritte, um die es hier geht. Wenn ich nach ein paar Jahrzehnten Politik sagen kann, ich habe mich ein paar Meter in Richtung meines Traumes bewegt, dann stehe ich als 80-Jähriger vor dem Spiegel und denke mir, das hat jetzt wenigstens Sinn gemacht.“_
Persönliches
Sie haben die pädagogische Akademie in Salzburg abgeschlossen und waren lange als Volksschullehrer tätig. Hilft das im Umgang mit schwierigen Politikerkollegen?
So anmaßend bin ich nicht (lacht). Ich war ja Volksschullehrer und Journalist, eine spannende Mischung. Am Vormittag in der Volksschule hatte ich mit Kindern zu tun, die sehr geradlinig und lebensfroh sind. Am Nachmittag habe ich dann gesehen, was eigentlich noch an Veränderung in der Gesellschaft notwendig wäre.
Was sind die persönlichen Lehren, die Sie aus Ihrer Burn-Out-Zeit gezogen haben?
Dass du nicht mit dem Kopf durch die Wand kannst.
Was würden Sie einem Jungpolitiker am Anfang seiner Karriere raten?
Es zu tun, Politik zu wagen.
Was bewegt Sie im Moment am meisten?
Das Gefühl, dass wir an einer historischen Weggabelung sind.
Was ist das Verrückteste, das Sie bisher in Ihrem Leben gemacht haben?
Kein Kommentar (lacht).
Welche drei Dinge würden Sie als Bundeskanzler sofort ändern?
Mit dem Regierungspartner eine andere politische Kultur vermitteln. Gemeinsam mit den Schulsprechern das Bildungssystem verbessern. Nach Brüssel fahren und schauen, welche solidarische Rolle Österreich in Europa einnehmen kann.