Mythos oder Fakt?
- 01 Primärversorgungszentren schaffen Entlastung für Ambulanzen.
Niedermoser_Wir müssen erst schauen, ob es wirklich so funktioniert. Primärversorgungseinheiten sind ein Modell im niedergelassenen Bereich, aber sicher nicht das einzige. Es wird weiterhin praktische Ärzte geben und auch andere Versorgungsformen und Netzwerke – je nach Region braucht es unterschiedliche Modelle.
Haberlander_Ich bin überzeugt, dass gerade junge Ärzte die Möglichkeit, im Team zu arbeiten, sehr schätzen. So können sie sich bei den Öffnungszeiten abstimmen und auch bei der Diagnose beraten, man muss nicht alles allein schultern.
- 02 Durch die Medizinische Fakultät wird der Ärztemangel hierzulande bekämpft.
Niedermoser_Ich bin überzeugt, dass es ein gutes Projekt ist. Aber ich glaube, die Ausbildung ist der eine Punkt, der zweite Punkt sind die Rahmenbedingungen, die es im Land geben muss, damit die Ärzte auch hierbleiben. Wir haben schon vieles geschafft – etwa die Einführung der Arbeitszeitregelung und eine gute Gehaltsreform. Jetzt geht es darum, zu verhindern, dass der Arzt von Bürokratie erschlagen wird und der Beruf des Allgemeinmediziners muss vor allem in der Peripherie attraktiver gestaltet werden – Stichwort Hausapotheke für jeden Arzt und leistungsgerechte Tarife.
Haberlander_Es ist wichtig, dass wir junge Menschen in Oberösterreich ausbilden, weil wir natürlich hoffen, dass diese dann hier versorgungswirksam werden. Ein Blumenstrauß an Maßnahmen für bessere Rahmenbedingungen wurde schon gesetzt – etwa die Gehaltsreform, womit junge Ärzte ein erhebliches Gehaltsplus haben.
- 03 Als Allgemeinmediziner verdienst du nicht gut.
Niedermoser_Ich glaube, man arbeitet viel und hat ein gutes Auskommen. Aber manche Leistungen sind nicht leistungsgerecht entlohnt, daran müssen wir arbeiten.
- 04 Heimische Ärzte wandern ins Ausland ab, weil sie dort bessere Rahmenbedingungen vorfinden.
Niedermoser_Der Zug nach außen ist schon geringer geworden, weil es uns in den vergangenen Jahren gelungen ist, die Rahmenbedingungen zu verbessern.
Niedermoser_Sie arbeiten fleißig und dafür soll es eine korrekte Bezahlung geben. Aber das hat nichts mit „reich“ zu tun, sondern ist für einen Akademiker, der ein langes Studium hinter sich gebracht hat und hohe Verantwortung trägt – nämlich das Leben und die Gesundheit der Menschen – durchwegs vertretbar. Das schürt immer wieder eine Neiddebatte, aber ich finde, dass man einfach leistungsgerecht bezahlt werden muss.
„Der medizinische Fortschritt ist großartig, stellt uns aber gleichzeitig vor enorme finanzielle Herausforderungen im System.“
Christine HaberlanderLandesrätin für Gesundheit
- 06 Der Arztberuf ist nicht familienfreundlich.
Haberlander_Deshalb müssen wir mit den neuen Systemen Anreize schaffen, dass gerade auch junge Frauen den Beruf ergreifen – dazu braucht es familien-freundliche und flexiblere Arbeitszeiten. Der Zusammenschluss von mehreren Ärzten, zum Beispiel bei Primärversorgungszentren, ist sehr interessant. Auch die 48-Stunden-Arbeitszeit in Krankenhäusern ist familienfreundlicher.
Niedermoser_Die Situation ist heute deutlich besser als noch vor fünfzehn Jahren, was auch an der Arbeits-zeitbegrenzung von 48 Stunden liegt. Und auch durch den ärztlichen Notdienst ist die Belastung für den niedergelassenen Arzt reduziert. Aber natürlich ist er mit Nacht- und Wochenenddiensten nicht unbedingt der familienfreundlichste Beruf.
- 07 Die Privatgelder sind im Krankenhaus ungerecht verteilt: Der Primar streift den Großteil ein, den Rest müssen sich alle anderen Abteilungen teilen.
Niedermoser_Das ist nicht korrekt. Wir haben in Oberösterreich ein klares System und eine klare, transparente Regelung, wie Sondergebühren verteilt werden – abhängig von der Größe der Abteilung. Je mehr nachgeordnete Ärzte der Primarius hat, desto weniger Gebühren bekommt der Chef.
- 08 Die goldenen Zeiten für Kassenärzte sind vorbei.
Niedermoser_Ich weiß nicht, ob sie immer goldene Zeiten hatten. Aber ich glaube, wenn man in unserem System gut und engagiert arbeitet - und das machen Ärzte - dann hat man ein ganz korrektes Auskommen. Ganz klar, dass dort und da noch Verbesserungen kommen müssen, weil manche Leistungen durch Limits noch ungerecht bezahlt sind. Daran müssen wir arbeiten.
- 09 Wir haben eine Zweiklassenmedizin in Österreich.
Niedermoser_Wir haben definitiv keine Zweiklassenmedizin in dem Sinn, dass der Patient zusätzliches Geld braucht, um gut behandelt zu werden. Jeder, der eine Behandlung braucht, bekommt diese – und wenn nötig, auch sofort, unabhängig von zusätzlichen Geldleistungen. Wer eine Zusatzversicherung bezahlt, hat die Möglichkeit der Wahl des Krankenhauses oder des Arztes und natürlich eine bessere „Hotelkomponente“. Ich sehe kein Problem darin, dass es hier Unterschiede gibt. In der medizinisch-fachlichen Behandlung gibt es keinen Unterschied, da sind in Österreich aus meiner Sicht alle gleich. Völlig egal, wie viel Geld oder welche Hautfarbe jemand hat.
- 10 Das Wahlarzt-System nimmt überhand.
Niedermoser_Es nimmt zu. „Überhand“ ist negativ besetzt. Es ist ganz klar: Wenn staatliche Institutionen, egal ob Spitäler oder Kassensysteme, überfordert sind durch den Ansturm der Patienten, dann weichen diese auf das Wahlärztesystem aus. Das nimmt demnach zu, aber es besteht weiterhin die Möglichkeit, sich im Sozialsystem zu bewegen.
- 11 Privatversicherte liegen bis zu fünfmal öfter auf dem OP-Tisch als Normalversicherte und erhalten mehr Behandlungen als medizinisch indiziert.
Niedermoser_Das kann ich nicht bestätigen. Der Arzt kann ja nur aus indizierten Gründen operieren, alles andere wäre Körperverletzung. Es gibt klare Indikationsstellungen und Regelungen, wie operiert wird. Natürlich gibt es immer wieder – wie in jedem Beruf – vereinzelt Ärzte, die sich nicht korrekt verhalten. Aber sie werden sich damit selbst nichts Gutes tun. Der zusatzversicherte Patient hat ja die Möglichkeit, sich seinen Arzt im Krankenhaus auszuwählen – er wird natürlich jenen wählen, zu dem er Vertrauen hat. Aber der ausgewählte Vertrauensarzt wird ihn nicht fünfmal öfter operieren, weil sonst ist er das nächste Mal nicht mehr sein Vertrauensarzt.
- 12 19 verschiedene Krankenkassen sind Geldverschwendung.
Niedermoser_Das behauptet die Politik immer. Aber der Hauptverbandspräsident sagt, es sei sinnlos, diese zusammenzulegen und besser, sie gut aufeinander abzustimmen. Das ist ein politisches Werk, das ewig lang dauern wird und nicht so viel bringt. Unsere GKK ist ein gutes Vorbild – man hat Verwaltungskosten eingespart und wenn noch mehr zusammengearbeitet wird, macht das Sinn. Jede Regionalität ist positiv. Es ist nicht gut, wenn alles von einer Zentrale aus gesteuert wird, weil dann hat man die regionalen Probleme selten im Griff.
Haberlander_An der Systemoptimierung wird gearbeitet.
- 13 Die Digitalisierung bringt viele Gefahren im Gesundheitswesen mit sich – Stichwort Datenschutz.
Haberlander_An sich ist die Digitalisierung eine große Chance – wir müssen aber sowohl den Mitarbeitern als auch den Patienten Ängste nehmen. Datenschutz ist wichtig, aber der Zugriff auf bestimmte Daten, etwa Unverträglichkeiten und Allergien, kann lebensrettend sein. Und ein MR-Bild muss auch nicht alle drei Tage gemacht werden. Die Digitalisierung kann wahnsinnig viel im Gesundheitsbereich ermöglichen – von selbstfahrenden Autos und damit raschen Transportmöglichkeiten bis hin zu Big Data: Ich gebe die Daten in eine Maschine ein und die spuckt die Diagnose aus.
„Wir haben keine Zweiklassenmedizin.“
Peter NiedermoserPräsident der Ärztekammer für OÖ und Pathologe