Sind Erstgeborene erfolgreicher, wohlhabender und klüger, wie dies so mancher Forscher behauptet? Und welche Stärken haben ihre Brüder und Schwestern? Erst-, Zweit- und Drittgeborene erzählen, was sie dank ihrer Geschwister gelernt haben und wie diese familiäre Prägung ihren Führungsstil bis heute beeinflusst.
Ein neugeborenes Kind erstmals in Händen zu halten, ist „eine unglaubliche, emotionale, überwältigende Erfahrung“, erinnert sich Martin Hertkorn. Gerade beim ersten Baby ist jedes Glucksen ein Glücksmoment, jeder Schluckauf ein kleines Drama, jeder Entwicklungsschub eine Sensation, schwärmt der Soziologe und Führungskräfte-Coach, selber Vater dreier Kinder. Doch bei jedem weiteren Kind ist „dieses Staunen nicht mehr so groß“ und macht einer gelassenen Routine Platz. „Der Erstgeborene bekommt eine ganz andere Aufmerksamkeit und ständig das Gefühl, besonders zu sein. Das stärkt das Selbstbewusstsein – eine wesentliche Kompetenz, um später Führungskraft zu werden.“
Seit mehr als 100 Jahren streitet die Wissenschaft über den Einfluss der Geschwisterfolge auf die Persönlichkeit: Sind Erstgeborene die besseren Führungskräfte oder werden sie bloß durch eine antiquierte Erbfolge begünstigt? Unterscheidet sich der Charakter von Sandwichkindern und Nesthäkchen, und wenn ja, wie? Auch wenn die Studien mitunter zu völlig entgegengesetzten Ergebnissen kommen, so ist sich die Forschung doch in einem Punkt einig: dass Geschwister den Charakter und somit den späteren Führungsstil wesentlich prägen.
Klüger, wohlhabender, erfolgreicher?
Einer der ersten, der den Einfluss der Geschwisterfolge untersucht hat, war der Wiener Psychiater Alfred Adler: Der Begründer der Individualpsychologie sprach zum Beispiel vom Entthronungstrauma, wenn das älteste Kind seine privilegierte Rolle als Einzelkind durch die Geburt eines Geschwisterkindes plötzlich verliert. Eine aktuelle Studie aus Norwegen behauptet, Erstgeborene seien erfolgreicher und wohlhabender, weil sie früh Verantwortung für ihre kleinen Brüder und Schwestern übernehmen müssen. Nicht nur das: Sie hätten auch einen höheren Intelligenzquotienten und eine bessere Ausbildung, will die Ökonomin Feifei Bu von der Universität Essex nachgewiesen haben. „Alles Schmarrn“, entgegnet der Münchner Familienforscher Hartmut Kasten: „Das mag vielleicht früher so gewesen sein, als das Patriarchat noch galt und die Erstgeborenen die Thronfolger, Hoferben oder Praxisnachfolger waren.“
Auch wenn diese traditionelle Erbfolge überholt scheint, hat Martin Hertkorn in seinen 20 Jahren als Leiter des Inqua-Instituts für Coaching die Beobachtung gemacht, dass drei Viertel der Führungskräfte Erstgeborene sind. „Das sagt aber noch lange nicht, dass sie die besseren Chefs sind. Ein Letztgeborener kann genauso gut und in manchen Aspekten sogar eine bessere Führungskraft sein, auch wenn ihm vielleicht nicht die Chance geboten wird.“
„Wenn man oft mit älteren Jugendlichen zusammen ist, lernt man schnell, sich auf die Füße zu stellen.“
Ulrike Rabmer-Koller
Geschäftsführerin, Rabmer Gruppe, Jüngste von drei Geschwistern,