„Philipp Hochmair plus Band quälen mich und treten näher, als mir lieb ist. Aber ich kann nicht aufhören zu lauschen – er zieht mich in den Bann, der Jedermann.“ Das ist nur eine (brokensilence) von vielen begeisterten Kritiken zur Jedermann-Reloaded-Performance von Philipp Hochmair. Er macht dabei Hugo von Hofmannsthals Stück zu einem mehrstimmigen Monolog, eingebettet in die Elektrobeats seiner „Elektrohand Gottes“ – oder anders erklärt: Er macht aus dem hundert Jahre alten Mysterienspiel etwas, das so niemand erwartet hätte. Und genau darum gehe es, ist Hochmair überzeugt: „Aufmerksamkeit gewinnst du, indem du irritierst.“ Aber dazu später. Wir warten im WerkX, einer Theaterbühne am Petersplatz in Wien, auf jenen Mann, den wir alle als Verkehrsminister Joachim Schnitzler aus der ORF-Serie „Vorstadtweiber" kennen. Und seit Sommer 2018 als den gefeierten Schauspielstar, der quasi über Nacht bei den Salzburger Festspielen für den erkrankten Tobias Moretti als Jedermann eingesprungen ist – die Antwort darauf: Standing Ovation von Publikum und Presse.
Es ist der 13. April. Ein Samstag. Nicht irgendein Samstag. Es ist der Tag der Romy-Verleihung. Aber noch weiß Philipp Hochmair nicht, dass er in ein paar Stunden den österreichischen Publikumspreis überreicht bekommen wird. Um Punkt 11 Uhr springt er aus dem Taxi. Und dann ist er plötzlich da. Also so richtig da, im Sinne von präsent. Er nimmt den Raum für sich ein, als wäre dieser ein Land, das er regiert. Als wären wir sein Volk, das ihn wählen soll. Und ja, wir werden ihn wählen, es bleibt uns gar nichts anderes übrig, denn er macht das, was er auch auf der Bühne macht: Er zieht uns in seinen Bann. Wie das geht? Wir fragen ihn. Zuvor bittet er den Visagisten, ihm doch ein paar Stunden Schlaf zu schminken, davon bekomme er im Moment zu wenig. Von einem Drehort geht’s zum nächsten. Man sieht ihn neben Kinofilmen in den Serien „Blind ermittelt“, „Vorstadtweiber“ und in der Freud-Thriller-Serie für Netflix. „Fast ein halbes Jahr ohne Pause drehen, das war schon sehr intensiv“, sagt er, gähnt dabei aber nicht, sondern grinst.
Woher kommt all diese Energie?
HochmairAus der Begeisterung für die Sache. Da werden Körperkräfte wach, die man vielleicht im ruhenden oder zufriedenen Zustand so nicht mobilisieren kann.
Zufrieden und ruhig, das sind Sie also nicht. Das ist jetzt keine Frage, mehr eine Feststellung.
HochmairSagen wir so: Ich strebe keinen Zustand an, in dem ich „zu-Frieden“ bin, sondern eben „be-Geistert“. Innerer Frieden ist etwas ganz Kostbares, aber im kreativen Prozess für mich nicht brauchbar. Die Geister wachrufen! Wenn alles geschafft ist, sehr gerne, aber währenddessen sieht das anders aus.
Wenn Sie Ihre ersten Bühnenauftritte mit jenen von heute vergleichen, wie haben Sie sich weiterentwickelt?
HochmairMan lernt sich mit der Zeit immer besser kennen und immer besser mit seinen Geistern, also mit seiner Angst und seiner Freude umzugehen … auch mit dem eigenen Wahn. Schauspiel hat sicher viel mit Wahn zu tun. Und diesen Wahn positiv einzusetzen, für sich zu nutzen, zu zähmen, ist bestimmt eine wichtige Aufgabe. Jetzt bin ich fast 25 Jahre in dem Beruf – und die Umwandlung von Talent in Können ist ein entscheidender Schritt. Man muss das Talent erst erkennen und dann anwenden lernen. Die richtige Umsetzung und Platzierung dieser inneren Kräfte ist entscheidend.
Warum hat Schauspiel etwas mit Wahn zu tun?
HochmairAuf der Bühne muss eine Energie entstehen, die die Leute in den Bann zieht. Aber wie geht das? Die Zuschauer wollen vielleicht wie im Zoo oder auf Safari wilde Tiere sehen. Und die Bühne ist vielleicht eine Art Arena, wo die wilden Tiere aus dem Käfig gelassen werden. Und ich suche dieses wilde Tier in mir und möchte ihm da freien Lauf lassen. In meinem Projekt „Jedermann Reloaded“ suche ich jedes Mal aufs Neue dieses wilde Tier in mir. Diese Performance hat es bis in den Stephansdom und ins Burgtheater geschafft. Ich interpretiere das alte Stück „Jedermann“ ganz auf meine Art und Weise. Mir liegt da etwas besonders am Herzen und das will ich dann verkörpern. Wenn man also seine eigene Begeisterung rauslässt, dann zieht es andere in den Bann. Und ich kann über mich sagen: Ich will Geschichten erzählen, die was mit mir zu tun haben, und damit die Zuhörer und Zuseher in den Bann ziehen.
Und wenn Sie selbst im Publikum sitzen, wann zieht Sie jemand in den Bann?
HochmairMich ziehen Menschen in ihren Bann, die eine Sache lieben, die sich für etwas begeistern, die voll hinter einer Sache stehen. Meine Aufmerksamkeit bekommen sie dann, wenn sie mir etwas zeigen, das ich nicht kenne und das mich ... irritiert.
Irritiert?
HochmairJa, Irritation ist, glaube ich, ein wichtiges Stichwort. Das versuche ich auch permanent. Wenn ich „Jedermann“ mit meiner Rockband inszeniere und alleine alle Rollen spiele, das ist sicher für viele erstmal nur irritierend. Und dann kann man in diese Irritation hinein die Geschichte vom Jedermann ganz neu erzählen. Langweilend finde ich hingegen, wenn Auftritte zu vorhersehbar sind. Wenn alles richtig gemacht wird und den Erwartungen entspricht. Das wilde Tier pfeift doch auf die Erwartungen der Zoobesucher, und darum schauen wir es vielleicht gerne an.
Was raten Sie einem Start-up-Gründer, der auf der Bühne seine Idee präsentieren soll, wenn er Sie als Bühnenprofi fragt?
HochmairDass er seine persönliche Verbindung zu der Idee ganz pur und ehrlich erzählen soll. Ich glaube, nur das ist wirklich interessant. Nur darüber kann man Leute „be-geistern“.
Was war in Ihrer bisherigen Karriere das Extremste, wozu Sie sich überwinden mussten?
HochmairAm Theater Pause zu machen, um zum Film zu gehen. Das war eine radikale, bewusste Entscheidung, die hart war, aber wichtig! Sonst wäre das alles wahrscheinlich nicht passiert. Ich war am Burgtheater erfolgreich und es gab eigentlich keinen Grund wegzugehen. Aber dann hätte sich meine Welt nicht erweitert. Dann gäbe es jetzt zum Beispiel keine „Vorstadtweiber“ und keinen „Jedermann Reloaded“.
Die Angst vorm Scheitern. Kennen Sie die?
HochmairJa, sicher. Die ist ja der Grundmotor.
Die Angst ist der Grundmotor. Ehrlich jetzt?
HochmairJa klar, ich denke immer, dass alles schieflaufen könnte. Aber nicht negativ. Wenn eine Aufführung im Stephansdom angesetzt wird, denk ich mir, die wird eh nicht klappen. Und bin dann richtig überrascht, dass sie klappt. Wenn ich zum Casting gehe, erwarte ich mir nicht, dass ich die Rolle bekomme. Im Gegenteil … und freu mich, wenn’s dann klappt. Das ist vielleicht die Erfahrung der letzten 25 Jahre. Man muss schon viel Kraft investieren und etwas wollen, aber Verbissenheit bringt einen nicht weiter.
Und was machen Sie mit der Angst vor einem großen Auftritt?
HochmairEin Bühnenauftritt ist wie spontan kochen. Du weißt, da kommen um 20 Uhr die Gäste und du musst aus dem, was da ist, etwas machen. Da ist man nicht entspannt. Man ist wach und will, dass alle gutes Essen bekommen. Also klar ist da Stress und Angst dabei. Das braucht man, damit man die nötige Spannung bekommt. Ich erinnere mich an die Jedermann-Aufführung in Salzburg. Ich sitze auf der Bühne und warte, was passiert. Da sind 3.000 Leute. Ich weiß nur, dass ich diesen alten Text kann, weil ich ihn fünf Jahre lang mit meiner Band performed habe, aber wo’s hingehen soll an diesem Abend ... das weiß ich nicht. Und genau dann muss man sich fallenlassen.