… wir schon das Jahr 2021 schreiben würden – wie würden Sie auf 2020 zurückblicken? Was hat sich seither verändert?
Rothmann_Als Unternehmen werden wir wahrscheinlich eine starke Veränderung durchlaufen haben. Kommunikationsprozesse, die oft sehr informell erfolgt sind, laufen nun planmäßiger ab, regelmäßiger und besser vorbereitet, also effizienter. Homeoffice wurde unter gewissen Rahmenbedingungen zur Regel. Diesbezügliche Vorbehalte konnten abgebaut werden. Besprechungen finden häufiger mittels Videokonferenz statt, selbst in großen Runden durchaus diszipliniert. Die Leute haben eine Routine im Umgang mit diesem Medium entwickelt. Hoffentlich werden wir auch einen Ersatz für das gelegentliche Feierabendbier gefunden haben.
… wir Ihre Gedanken lesen könnten – welche Gedanken dominierten seit Mitte März in Ihrem Kopf?
Rothmann_Hoffentlich kommen wir alle möglichst unbeschadet da durch. Und: Welchen Beitrag können wir dafür leisten?
… sich diese globale Krise wiederholen würde? Was hätten Sie als Anwalt daraus gelernt? Was würden Sie Unternehmen raten, um sich für solche Krisen zu rüsten?
Hiersche_Ich glaube, dass man sich nicht gegen alles rüsten kann. Nicht jedes Risiko lässt sich ausschließen und nicht jeder Betrieb ist beliebig wandelbar. Was wir aber gesehen haben, ist, dass viele Unternehmen im Rahmen ihrer Möglichkeiten sehr schnell auf die geänderten Rahmenbedingungen reagiert haben. Auch wir als Anwaltskanzlei haben umgehend versucht, uns in die Lage unserer Mandanten zu versetzen und zu antizipieren, in welchen Bereichen der Beratungsbedarf am größten sein würde, um dort auch proaktiv zu informieren oder zumindest rasch antworten zu können.
… es kein Coronavirus gäbe – wie würden Sie dann heuer den Sommer verbringen?
Rothmann_Da wir eine kleine Tochter mit knapp zwei Jahren haben, würde ich diesen mit meiner Familie am „Hausmeisterstrand“ von Jesolo in einem wunderschönen Apartementhotel verbringen.
Hiersche_Wir hatten für Juni einen Familienurlaub zum 60er meiner Mutter in Österreich geplant. Ansonsten stand ein Italienaufenthalt im Raum. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
… Künstliche Intelligenz das komplette Recruiting übernehmen würde?
Rothmann_Ich sehe die Sache ähnlich wie im juristischen Bereich. Auch hier können digitale Tools eine wertvolle Hilfe vor allem in der Vorauswahl bieten, um Entscheidungsprozesse zu objektivieren und zu verbessern. Letztlich kommt es im Recruiting wie auch im laufenden Betrieb aber auf Zwischenmenschliches an, auf emotionale Qualitäten. Das Recruiting läuft bei uns nicht mechanisch über Formeln. Wir suchen Personen, die lernen und mitgestalten wollen, die sowohl unseren Mandanten als auch unserem Unternehmen helfen möchten, in jeder Hinsicht noch besser zu werden. Es ist schwierig, diese Eigenschaft an Dingen festzumachen, die Bewerber üblicherweise in ihre Bewerbungen schreiben würden.
… Sie sich heute bei einem Unternehmen bewerben würden – wie würde sich das Bewerbungsverfahren von Ihrer ersten Bewerbung unterscheiden?
Rothmann_Klassische Bewerbungen wie damals gibt es heute praktisch nicht mehr. Meine erste richtige Bewerbung, abgesehen von Praktikumsstellen, war so im Jahr 2004. Mit der Post versendete ich eine richtig schöne Bewerbungsmappe. Automatisierte und datenbankbasierte Bewerbungspages gab es noch nicht. Auch Social-Media-Plattformen wie LinkedIn oder Xing waren noch kein Thema, ganz abgesehen von Datenschutzrichtlinien und Bewerbungsvideos auf der einen oder Unternehmensvideos auf der anderen Seite, die schon vorab wesentliche Informationen bieten können. Der größte Unterschied aus meiner Sicht ist aber, dass sich im Jahr 2004 der Bewerber „gut verkaufen“ musste und sich das Unternehmen aussuchen konnte, welcher Kandidat den Vorzug erhält. Heute müssen Unternehmen ihre Vorzüge gegenüber der Konkurrenz bewerben und präsentieren. Dies mag sich zwar jetzt durch die Krise wieder kurzfristig ändern, dieser Trend wird sich jedoch, davon bin ich allein wegen der demografischen Entwicklung in unserem Land überzeugt, mittelfristig wieder einstellen.
… Sie Bewerber und Klienten nicht mehr mit dem klassischen Handshake begrüßen dürften? Wie würden Sie einander begegnen?
Rothmann_Der Bundespräsident hat’s mit einer leichten Verneigung und vor dem Körper gefalteten Händen vorgemacht. Ein Nicken würde für viele ebenso in Ordnung gehen, ein „Foot Bump“ könnte unangemessen wirken. Aber man kann’s ja auch mit ein wenig Humor nehmen und sich mit dem Gegenüber über die Art der Begrüßung verständigen. Das lockert die Atmosphäre und zeugt gleichermaßen von Wertschätzung.
… Sie die drei wichtigsten Soft-Skills, die für einen guten Anwalt unbedingt notwendig sind, aufzählen müssten?
Hiersche_Wichtig – und zugleich schwierig –
erscheint mir die Eigenschaft, sich in andere Menschen einzufühlen und ihren Zugang zu Themen zu verstehen. Das können Mandanten sein, aber auch Mitarbeiter und sogar Richter. Daneben glaube ich, dass eine Eigenschaft, die man Anwälten nicht oft zuschreiben würde, eine Rolle spielt: Bescheidenheit. Hier geht’s mir darum, zu reflektieren, sich eigene Schwächen einzugestehen, auf ausgesprochene oder implizite Kritik von außen zu hören und Optimierungspotential zu erkennen. Bescheidenheit muss jedoch mit dem Ehrgeiz verbunden sein, sich zu entwickeln und an Schwächen zu arbeiten. Das ist ein unaufhörlicher Prozess. Aber Anwälte gelten ja gemeinhin als arbeitsam._