Vielleicht gibt es noch Branchen oder einzelne Bereiche, die den Wandel noch gar nicht spüren. Oder jedenfalls glauben, ihn noch nicht zu spüren. Leugnen lässt er sich dennoch nicht. Weder für Arbeitgeber:innen noch für Arbeitnehmer:innen, weder für junge noch für alte Menschen. Wir fragen die Zukunftsforscherin, wie wir auf diesen Wandel reagieren können und welche Chancen darin versteckt sind.
# Arbeitnehmer:innen
Sich immer wieder auszutauschen, sei das Gebot der Stunde für Arbeitnehmer:innen und Jobsuchende. Und zwar mit Menschen unterschiedlichen Alters, sowohl mit brancheninternen als auch mit branchenexternen Menschen. „Weil sich dadurch der Blick weitet und der Tunnelblick wegfällt. Wird Expertentum zu sehr gelebt, macht es auch zukunftsblind“, erklärt Varga. Eine absolute Triebfeder sei außerdem: „Neugierig sein und neugierig bleiben.“
# Arbeitgeber:innen
„Es wird in allen Branchen darum gehen, Mitarbeiter:innen zu bekommen und sie vor allem auch zu halten, wenn sie gut sind“, sagt Christiane Varga. In einer so global gewordenen Arbeitswelt hat man als Arbeitgeber:in quasi die ganze Welt als Konkurrenz. Die Menschen können mehr denn je in unterschiedlichen Ländern arbeiten und haben eine dementsprechend große Auswahl an Jobangeboten. Hinzu komme, dass die Loyalität einem Betrieb gegenüber früher deutlich größer war. Durch die vielen Optionen und weil die Welt so unübersichtlich geworden ist, entstehe aber auch eine Riesensehnsucht, sich einer Gemeinschaft, einem Betrieb zuzuordnen. „Das könnte man als Unternehmen viel besser nutzen.“ Konzepte am Papier würden aber nichts bringen, wenn sie nicht auch gelebt werden. „Wenn die Leute dann erzählen, wie es wirklich ist, dann ergibt das entweder extrem positive oder extrem negative Mundpropaganda.“
Besonders schwer haben es natürlich jene Branchen, die schwierige Arbeitsbedingungen zu bieten haben. „Da ist es verständlich, wenn die Leute dort nicht mehr arbeiten wollen.“ Deshalb sollte die Frage „Wie kann ich die Arbeitsbedingungen attraktiver machen?“ im Zentrum stehen und innovative Denkansätze zulassen. Wie gut das funktionieren kann, beweisen einige positive Beispiele von Unternehmen, die fern von Ballungszentren und nicht selten auch in Branchen, die besonders vom Fachkräftemangel betroffen sind, angesiedelt sind und dennoch beeindruckend viele Bewerbungen bekommen. „Ich glaube, bei solchen Unternehmen passiert viel auf unsichtbarer Ebene. Man merkt sofort, dass es hier menschlich zugeht, dass man wirklich darauf schaut, dass es den Mitarbeiter:innen gut geht. Diese Leute fühlen sich wohl, reden darüber und arbeiten gerne und viel.“
Generell sollte sich jedes Unternehmen überlegen: Was sind unsere Alleinstellungsmerkmale als Arbeitgeber:in, was sind unsere Ziele? „Es braucht moderne, frische Konzepte – und ein Begegnen auf Augenhöhe“, so Varga. Der globale Konkurrenzkampf bedeute jedoch nicht, dass sich Unternehmen nun alles gefallen lassen müssten. Wichtig sei aber, individuelle Pakete zu schnüren, um damit auf die jeweiligen Bedürfnisse und Lebensphasen der Bewerber:innen einzugehen.
# Eltern
Sich zu sehr um die Zukunft der Kinder zu sorgen und zu versuchen, diese zu kontrollieren, sei keine gute Idee, so Zukunftsforscherin Christiane Varga. Doch genau das würden Eltern gesamtgesellschaftlich häufig tun. „Wir sollten die eigene Zukunftsangst nicht auf unsere Kinder projizieren. Sondern sie vielmehr ermutigen, den eigenen Weg zu finden und zu gehen.“ Man könne ohnehin immer weniger sagen, was in zehn oder 20 Jahren passieren würde, welcher Job da krisensicher sein könnte. „Das ist noch die Logik des Industriezeitalters, aber so läuft es heute nicht mehr.“ Wichtig bleiben Basicskills und die Weiterentwicklung der individuellen Talente. Klar seien auch Sport und Freizeitbeschäftigung für die Entwicklung von Kindern gut, „aber ich würde unbedingt darauf achten, dass es nicht zu viel wird. Freiräume, in denen sich das Kind selbst beschäftigen und auch mal rausgehen muss, sind sehr wichtig. Den überzüchteten Alltag für Kinder halte ich für gefährlich.“ Eine Studie in Dänemark zeige auf, was Kinder glücklich macht: „Ein maßgeblicher Punkt dabei: selbstbestimmt die Welt zu entdecken. Zum Beispiel, dass sie alleine in die Schule gehen.“ Also auf ins Abenteuer!
# Schüler:innen
Die Matura steht kurz bevor. Und jetzt? „Im besten Fall wurde die Person so gut gefördert, dass sich schon Bereiche abgezeichnet haben, die zeigen: ‚Da hab ich wirkliches Interesse‘“, erklärt Varga. Sie hält viel davon, nach der Matura nicht sofort mit einem Studium anzufangen, sondern „zunächst mal ein Jahr lang zum Beispiel ins Ausland zu gehen, ein soziales Jahr zu machen, einen ganz anderen Bereich kennenzulernen – um final selbstständig zu werden“. Bachelor- oder Masterstudien seien oft schon so verschult, „da kommt man von einem System ins andere“. Ein soziales Jahr könne Menschen ein ganzes Leben lang prägen. „Und das ist für mich etwas Allgemeines für die Zukunft: Wir legen den Fokus oft viel zu sehr auf den technologischen Fortschritt. Doch jene Berufe, in denen es um das Zwischenmenschliche geht, sehe ich in Zukunft noch als viel bedeutender an, als sie jetzt wahrgenommen werden“, so Varga.
# Lehrer:innen
„Wer sitzt da vor mir?“ Das sei die wichtigste Frage, die sich gute Lehrer:innen stellen sollten, erklärt die Zukunftsforscherin. „Die Schüler:innen sind alle individuelle Wesen mit einzigartigen Talenten.“ Natürlich gelte es auch, den Kindern eine Struktur zu geben, aber „noch viel mehr geht es darum, wie man sie individuell fördern kann“. Außerdem plädiert sie dafür, auf neue Lernmethoden zu setzen. „Wenn ich etwas spielerisch, mit Neugierde lerne, dann lerne ich das viel besser und es bleibt in meinem Gehirn abgespeichert.“ Die alte Sichtweise „Lernen darf keinen Spaß machen“ müsse dringend reformiert werden. „Spielerisch und kreativ Wissen anzueignen, das halte ich für zukunftsfähig.“ Das bedeute aber keinesfalls, dass diese neuen Lernmethoden vorwiegend digital sein müssten, im Gegenteil: „Jeder Trend hat einen Gegentrend. Wir sind so digital, da ist es wichtig, auch mal rauszugehen, Sachen anzugreifen.“
# Baufamilien und Immobilienentwickler:innen
Früher war es ein linear vorhersehbares Leben: Man blieb oft ein Leben lang in seinem Eigenheim. Genau das wird aber immer seltener. „Die hohe Scheidungsrate, die höhere Lebenszeit, Jobs, die einen Umzug erfordern ... Im Durchschnitt ziehen die Menschen heute viel öfter um“, erklärt Varga. Heutzutage sollten wir daher beim Bauen und Wohnen in Lebensphasen denken: Für welche Lebensphase ist welche Wohnform die passendste? Als Familie mit kleinen Kindern ist es vielleicht perfekt, am Land zu wohnen. „Im Alter von 65 Jahren ziehen aber viele wieder in die Städte rein, weil sie hier die Infrastruktur sehr schätzen. Die Dynamik ist heute viel stärker.“_