Maximilian Carmann greift behutsam in einen Umschlag, holt eine Rolex heraus, klemmt sich seine Uhrmacherlupe ins rechte Auge und öffnet mit einem patentierten Spezialschlüssel das Gehäuse. Dahinter kommen hunderte Teile zum Vorschein, kleine Zahnräder greifen ineinander, man könnte glauben, man betrachtet das Innenleben eines komplexen Lebewesens. Mit diesem Innenleben beschäftigt sich Carmann bereits sein ganzes Berufsleben. Nach seiner Ausbildung in der Karlsteiner Uhrenfachschule, zahlreichen Weiterbildungen und Auslandsaufenthalten gibt es nur eine Hand voll Kollegen im Land, die mit seinem Know-How mithalten können. Als einziger Oberösterreicher besitzt er alle technischen Zertifizierungen von Rolex, arbeitet seit mehr als 20 Jahren für Liedl, trotzdem fasziniert ihn jedes Mal aufs Neue, was die Uhren für Überraschungen bereit halten.
Viertältestes Linzer Unternehmen
Betrachtet man die gesamte Unternehmensgeschichte, sind diese 20 Jahre von Carmann allerdings nur ein kleiner Abschnitt. Der Traditionsbetrieb wurde 1830 von Karl Liedl gegründet und befindet sich seit damals am selben Firmensitz – der Landstrasse 16 im Herzen von Linz. Von Anfang an war das Unternehmen ein Familienbetrieb, widmete sich vor allem dem Verkauf von Wanduhren, Pendeluhren und Taschenuhren.
"Aus solchen langfristigen Kunden zieht man eine besondere Energie, über so einen langen Zeitraum entwickeln sich gute Kontakte und manchmal auch
Maximilian CarmannUhrmachermeister
Freundschaften"
Mit seiner 185-jährigen Geschichte ist Liedl das viertälteste Linzer Unternehmen. Eine Erfindung, die später auch Liedl maßgeblich beeinflussen sollte, wurde 20 Jahre vor der Unternehmensgründung gemacht: Die Armbanduhr. Anfangs war sie aber noch wenig beliebt, sie gewann erst im 20. Jahrhundert an Bedeutung, bis sie dann den Markt beherrschte. Auch, als sie erstmals mit einem einseitig aufziehenden Rotor aufkam – das Patent dafür wurde von Rolex beantragt. Die Geschichte von Rolex ist auch eng mit jener von Liedl verbunden. Liedl ist der älteste Partner in Oberösterreich, Rolex-Gründer Hans Wilsdorf überreichte 1954 persönlich die begehrte Konzession.
Sammler und treue Stammkunden
Mittlerweile entwickelte sich Liedl zur neuesten Rolex-Boutique mit größter Auswahl. Dort können mittlerweile auch die Neuheiten in diesen Segmenten bewundert werden. In Basel präsentierte Rolex ein mit vierzehn Patenten geschütztes mechanisches Manufakturwerk der neuen Generation, das Kaliber 3255. Damit soll ein neuer Leistungsstandard der fundamentalen Eigenschaften von Uhrwerken gesetzt werden – in der Ganggenauigkeit, Gangreserve, Stoßfestigkeit und Unempfindlichkeit. Durch Neuerungen im Federhaus funktioniert die Uhr von Freitagabend bis Montagnachmittag problemlos, auch wenn sie nicht getragen oder aufgezogen wird.
Wer trägt eigentlich eine Rolex – oder wie sind die Kunden von Liedl? Laut Carmann gibt es vorwiegend zwei verschiedene Typen. „Jemanden, der sich eine Uhr fürs Leben kauft, und Rolex-Sammler, die oft auch für die Kinder oder Gattin mehrere Uhren erwerben“, sagt er. Nicht wenige würden die Uhren auch als Wertanlage erstehen. Alle Kunden haben eines gemeinsam: Sie kommen in regelmäßigen Abstanden zurück in den Store, um ihre Rolex warten und pflegen zu lassen. „Der Servicegedanke ist uns besonders wichtig“, erzählt Carmann. Es gäbe Kunden, deren Uhren er bereits seit mehr als 20 Jahren in regelmäßigen Abständen serviciert. „Aus solchen langfristigen Kunden zieht man eine besondere Energie, über so einen langen Zeitraum entwickeln sich gute Kontakte und manchmal auch Freundschaften“, sagt er. Nicht selten käme es vor, dass ein Kunde sich dann nach 15 Jahren doch dazu entschließt, noch ein zweites Modell mit nach Hause zu nehmen. Diese Stammkunden seien die besten Werbeträger für Liedl, sie hätten oft ein großes Umfeld, würden in diesem über ihre Rolex erzählen, und eventuell neue Personen für den Kauf motivieren.
Der abenteuerliche Weg
Dass hochwertige Armbanduhren auch heute noch ein Statussymbol sind und Rolex weiterhin höchst erfolgreich ist – das war zwischenzeitlich nicht in Stein gemeißelt. Gegen Ende der 70er Jahre kam es zur großen Krise der mechanischen Uhr. Carmann erlebte das noch nicht mit, er hat sich aber genau mit dieser Zeit beschäftigt. „Damals wollte jeder eine Uhr mit Digitalanzeige, die gerade neu war“, sagt er. In der Folge mussten zahlreiche kleine Uhrmanufakturen in der Schweiz schließen. Mittlerweile ist der Trend aber längst beendet. „Als ich mit der Uhrmacher-Schule angefangen habe, war die Entwicklung schon wieder vorbei“, sagt Carmann, „mittlerweile steigt der Stellenwert der Uhr seit Jahren wieder stark an, ich merke das, weil die Uhren viel öfters zum Service gebracht werden“. Wie ist es eigentlich möglich, dass sich die Armbanduhr mit einer eigentlich älteren Technologie so gut gegen die genauere Digitaluhr durchsetzt? Der Uhrmacher kennt die Frage und hat einen passenden Vergleich parat. „Man kann eben auch mit einem Flugzeug unspektakulär von A nach B fliegen, man kann aber genauso mit einer restaurierten kleinen Jacht den abenteuerlicheren Weg wählen“, sagt er. Digital oder mechanisch – dahinter steckt für ihn eine philosophische Frage. Welche Prioritäten und Wertigkeiten sind dem Träger wichtig? Ist Zeit nur etwas, das ich ablese, oder will ich mir etwas zulegen, das mich mein restliches Leben begleitet?
Zwischen Tradition und Innovation
Carmann hat sich jedenfalls dafür entschieden, dass ihn die Uhren sein restliches Leben begleiten, er bereut diese Entscheidung nicht. In Österreich selbst gibt es keine Uhrenindustrie. Für jemanden, der das Handwerk lernen will, bedeutet das: Erfahrungen im Ausland machen. „Wer etwas in dieser Branche erreichen will, muss in die Schweiz“, sagt Carmann. Mit einer guten Ausbildung hat man dann freie Wahl.