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Die Angst vor dem Scheitern

Während in den USA Ideen oft einfach umgesetzt werden, ist es in Europa wichtiger, Fehler von vornherein auszuschließen. Die schwach ausgeprägte Kultur des Scheiterns wirkt sich nicht nur auf die Gründerszene, sondern auch die restliche Wirtschaft negativ aus. Was muss sich ändern?

Dusan Milekic weiß, was es heißt, zu scheitern. Direkt nach der HTL tüftelt er gemeinsam mit einem Freund an einem elektronischen Fitnessgerät, das effizientere Workouts ermöglichen soll. Zwei Jahre ihrer Zeit und mehr als 20.000 Euro Erspartes investieren die beiden in das Projekt. „Schließlich hat sich jemand vor uns das Patent geholt und gleichzeitig ist uns das Geld ausgegangen“, erinnert sich Milekic. Der Gründer beschließt, seiner Idee nicht lange hinterherzutrauern. „Wir haben uns gleich umgeschaut, was wir als Nächstes probieren können.“ Die beiden versuchen, den damaligen Crypto-Hype zu nutzen, gründen ein Unternehmen und verkaufen Bitcoin- und Ethereum-Merchandise über Amazon. Erfolglos. „Aus heutiger Sicht weiß ich auch, warum. Wir hatten zu wenig Know-how, wie Amazon funktioniert, und zu wenig Geld in Werbung investiert“, sagt Milekic.

Nach dem zweiten Fehlschlag beginnt Milekic als selbstständiger Vermögensberater bei einer Privatbank – bis er wieder gründet. Die Idee, ketogene Müsliriegel mit wenig Zucker und Kohlenhydraten als gesunden Snack zu produzieren, kommt ihm und seinen beiden Co-Foundern in einer FH-Lehrveranstaltung. Insgesamt vergehen vom Projektstart bis zur Gründung der Ketofabrik eineinhalb Jahre, Milekic stellt sich in die Küche, experimentiert mit Rezepten, sucht nach Herstellern. Genau zum richtigen Zeitpunkt – als das Konzept und Produkt steht – kommt die Einladung zu „2 Minuten, 2 Millionen“, dort gewinnen die Gründer einen Regalplatz bei Rewe für drei Monate. „Nach einem Monat war klar, dass unser Produkt stark nachgefragt wird, wir haben einen neuen Platz direkt bei der Kasse bekommen.“ Im dritten Anlauf ist Milekic endlich erfolgreich, Angst vor einem neuerlichen Fehlschlag habe der Gründer keine gehabt. „Wir haben nie ein großes Risiko durch große Kredite genommen, sondern unser eigenes Geld hineingesteckt“, erzählt er, „gleichzeitig waren wir viel in der Startup-Szene unterwegs, haben uns Videos, Seminare und Vorträge angeschaut und die Unternehmermentalität aus den USA aufgesaugt, wo Scheitern lockerer gesehen wird.“

Wenn ihr für das Projekt brennt, dann traut euch einfach.

Dusan Milekic Gründer, Ketofabrik

Gründergeschichten wie jene von Milekic sind in Österreich tatsächlich die Ausnahme – seine Herangehensweise ähnelt eher jener auf der anderen Seite des Atlantiks. „Der amerikanische Zugang ist es, einfach einmal auszuprobieren, nach dem Motto, der Markt wird schon entscheiden. Wenn es nicht funktioniert, hat man wenigstens Erfahrungen gewonnen“, sagt Rudolf Dömötör, Direktor des WU-Gründungszentrums. Im deutschsprachigen Raum hingegen neige man eher dazu, das Produkt erst perfektioniert auf den Markt zu bringen – auch aus Angst vor Fehlern. In Österreich ist – ähnlich wie in anderen Teilen Europas – die Kultur des Scheiterns schwach ausgeprägt. Während anderswo gescheiterte Gründer:innen aufgrund ihrer Erfahrung bei Investor:innen geschätzt werden, werden Fehler hierzulande generell stärker stigmatisiert. Welche Folgen hat das? „Eine Konsequenz ist die Scheu vor Risiko, Fehler zu machen oder Verluste einzufahren. Fehlervermeidung kann in manchen Berufsbranchen besonders wichtig sein, während in anderen der Umgang mit Risiko mutiger sein müsste, um innovativer und erfolgreich zu sein“, erklärt Wirtschaftspsychologe Erich Kirchler. Die Fehlerkultur in Österreich beeinflusst also nicht nur die Gründerszene negativ, sondern wirkt sich auch in der restlichen Unternehmenslandschaft aus. „Im sozialen Kontext werden Fehler, die sich selbst zugeschrieben werden müssen, oft mit drohendem Gesichtsverlust assoziiert“, erklärt Kirchler. Die Folge: Wenn eine Korrektur nicht möglich ist, kann versucht werden, Konsequenzen zu vertuschen oder die Ursachen externalen Umständen und Personen zuzuschreiben. Möglicherweise ein kostspieliger Vorgang für Unternehmen: Den Ursachen wird nicht nachgegangen, es kommt zu Wiederholungsfehlern. Kirchler: „Wenn Fehler eingestanden werden, systematisch nach Ursachen gesucht wird, dann können Schwachstellen in Entscheidungen sichtbar gemacht werden. Für die Zukunft wird gelernt, genauer auf Fehlerquellen zu schauen.“

„Wir haben in Europa ein Mindset, wo es eher darum geht, Fehler zu vermeiden, wo im Vorhinein darüber geredet wird, was alles schief gehen könnte“, sagt Dejan Stojanovic. Der Entrepreneur beschäftigt sich seit mehr als neun Jahren mit dem Thema Scheitern und brachte die „Fuck-up-Nights“ nach Österreich. „In diesem Format sprechen Gründer:innen, Manager:innen, Unternehmer:innen, aber auch Angestellte auf der Bühne über ihre Fuck-ups und was sie daraus gelernt haben“, sagt Stojanovic, „und jedes Mal aufs Neue beweisen wir, dass Scheitern Teil des Erfolgs ist.“ Gefeiert werden nicht die Fuck-ups an sich, sondern die Lehren, die daraus gezogen wurden – und dass sich jemand getraut hat, etwas zu probieren. Wie können wir lernen, entspannter mit Fehlern und dem Scheitern umzugehen? Für Stojanovic ist es wenig sinnvoll, Forderungen an die Politik zu stellen. „Wir können viel mehr erreichen, wenn wir uns als Zivilgesellschaft selbst auf das Wesentliche konzentrieren.“ Er wünscht sich eine höhere Akzeptanz für sinnvolle, smarte Fehler. Anstatt, wenn nach Rat gefragt, sich über Ideen anderer gleich negativ zu äußern oder nach Fehlern zu suchen, sollte man sich manchmal lieber zurücklehnen. „Den Menschen muss wieder mehr zugestanden werden, etwas zu versuchen – diese Chance dürfen wir ihnen nicht nehmen.“ Es brauche eine Kultur, in der Menschen für ihre Ideen Zuspruch bekommen und unterstützt werden. Das Unternehmertum, der Mut müsste stärker gefeiert werden. „Als Kinder konnten wir Fehler machen, nur so sind wir gewachsen, das sollte wieder stärker verinnerlicht werden“, sagt Stojanovic. Schlüsselrolle hat für ihn die Bewusstseinsbildung – die langsam besser werde. Vor neun Jahren hätten Unternehmen und Medien noch vorsichtige Distanz zu den „Fuck-up-Nights“ gehalten, mittlerweile gibt Stojanovic regelmäßig Interviews und unterstützt Betriebe dabei, intern eine positivere Fehlerkultur zu etablieren. Auch für Dömötör ist die Bewusstseinsbildung von elementarer Bedeutung. „Wir müssen fast schon prophetische Arbeit im Gründungszentrum leisten, dass es noch etwas anderes gibt, als eine tolle Karriere bei einem multinationalen Konzern anzustreben, und dass es auch seinen Reiz haben kann, ein eigenes Projekt zu wagen.“ Andererseits brauche es mehr Anreize, damit privates Kapital stärker in innovative, mutige Ideen investiert werde. Die in den USA stark ausgeprägte Bereitschaft vermögender Menschen, in private Unternehmen zu investieren, fehle hierzulande. Zurück zur Ketofabrik: Das Team zählt aktuell sechs Personen, 2024 werden voraussichtlich etwa zwei Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet. Milekic ist sich sicher, dass die beiden davor gescheiterten Projekte ihm mehr geholfen als geschadet haben. „Ich konnte viele Learnings mitnehmen.“ Was kann der Gründer Menschen empfehlen, die mit dem Gedanken spielen, sich selbstständig zu machen, die aber die Sorge vor einem Scheitern zurückhält? „Man sollte sich fragen, ob die Leidenschaft für das Projekt da ist, ob man für sein Ziel wirklich brennt und bereit ist, durch schwierige Zeiten zu gehen. Wenn die Antwort ja ist, dann traut euch einfach.“_

Als Kinder konnten wir Fehler machen, nur so sind wir gewachsen.

Dejan Stojanovic Gründer, Fuck-up-Nights

Die Konsequenz einer Stigmatisierung von Fehlern ist eine Scheu vor Risiko.

Erich Kirchler Wirtschaftspsychologe

Die Rechtsanwaltskanzlei Haslinger/Nagele mit Sitz in Linz und Wien unterstützt Startups von der Gründung weg, durch eine Kooperation mit diversen Gründungsnetzwerken können Gespräche vergünstigt angeboten werden. Mit einer frühen Begleitung durch Expert:innen können Risiken minimiert werden, sagt Julia Goth, Rechtsanwältin und Partnerin der Kanzlei.

Wie wichtig ist eine Begleitung durch Expert:innen von der Gründung weg?

Julia Goth:  Anfangs haben Gründer:innen vorwiegend Angst vor steuerrechtlichen Problemen und setzen daher auf Steuerberater:innen, aber auch rechtliche Expertise und Beratung sind wichtig, etwa bei der Abklärung von marken- und datenschutzrechtlichen Problemen. Eine Ein-Personen-GmbH kann zwar unkompliziert über das Internet gegründet werden, dabei sollte man aber keine rechtlichen Aspekte übersehen. Etwa, wenn die Allgemeinen Geschäftsbedingungen kopiert werden und sich später herausstellt, dass die Regelung für das eigene Unternehmen gar nicht passend ist. 

 

Was hindert Gründer:innen an einer frühen Begleitung durch Expert:innen?

Julia Goth:  Wir versuchen immer, möglichst bald begleitend einzusteigen. Ein großes Hindernis für viele Gründer:innen sind die befürchteten hohen Kosten. Wir haben durch eine Kooperation mit diversen Gründungsnetzwerken (zum Beispiel Akostart) auch vergünstigte Tarife und können im Einzelfall für bestimmte Leistungen Pauschalpreise vereinbaren. Natürlich ist es von Vorteil, wenn ein Unternehmen von Anfang an auch von Jurist:innen begleitet wird. So kann direkt an der Wurzel angesetzt werden, bevor womöglich in der Zukunft Probleme daraus entstehen.

 

Welche klassischen Fehler passieren immer wieder und könnten vermieden werden?

Julia Goth: Man sollte sich gut überlegen, mit wem man zusammenarbeiten will. Eine Gruppe von Freund:innen macht etwa noch nicht automatisch ein gutes Team aus. Es gilt, genau abzuklären, was im Streitfall passiert. Neben der wertvollen Unterstützung durch Gründerzentren und Inkubatoren ist es auch wichtig, dass jemand den Gesamtüberblick behält, was rechtliche Themen betrifft – da reicht eine Basisunterstützung nicht. Ein Vorteil von Haslinger/Nagele ist es, dass wir bei der Beratung alle Rechtsgebiete abdecken können. Generelle Checklisten für Gründer:innen sind allerdings schwierig: Beratung sollte niemals nach dem Schema F stattfinden, sondern an die jeweilige Situation angepasst sein.

Beratung sollte nie nach Schema F durchgeführt werden.

Julia Goth Partnerin, Haslinger/Nagele

Risiken vermeiden bei der Investorenwahl

Dorda Rechtsanwälte beraten als Anwaltskanzlei für Wirtschaftsrecht mit Sitz in Wien Gründer:innen. Lukas Herrmann und Georg Durstberger klären auf, welche Risiken und Fehler Gründer bei der Investor:innenwahl vermeiden können.

Was sind die klassischen Fehler, die bei der Investorenwahl passieren?

Lukas Herrmann:  Gründer:innen müssen sich im Klaren sein, ob sie nur finanzielle Mittel, oder auch ein Netzwerk brauchen. Gefährlich ist es, sich einen Investor nur wegen des Namens an Bord zu holen. Immer wieder sehen wir, dass ein Venture-Capital Fonds investiert und die Gründer:innen einen guten Kontakt mit dem zuständigen Investmentofficer haben. Wenn der dann aber nach zwei Jahren wechselt und sein Nachfolger wenig Interesse am Startup hat, kann die nächste Investmentrunde schwieriger werden.

Georg Durstberger:  Was mir schon öfters untergekommen ist: Gründer:innen lernen bei einer Veranstaltung einen Investor kennen, es passt menschlich und vom Finanzierungsvolumen her, man setzt sich zusammen, ein Term Sheet wird ausgearbeitet und schnell unterschrieben. Oftmals sind die Term Sheets dann sehr investorenfreundlich, was von Gründer:innen nicht erkannt wird. Nachverhandeln einzelner Punkte ist dann problematisch – da merkt man schnell, mit welcher Art von Investor man es zu tun hat.

Inwiefern kann der Cap-Table – also die Liste der Anteilseigner:innen am Unternehmen – die Investorenwahl beeinflussen?

Georg Durstberger:  Wenn sehr viele Personen in der frühen Gründungsphase einsteigen und dann einen hohen Prozentanteil halten, wird es für Investor:innen unattraktiver, einzusteigen. Vielleicht hat der oder die Gründer:in nicht einmal mehr 50 Prozent des Unternehmens, dafür gibt’s dann mehrere Familienmitglieder/Freund:innen, die vom Geschäftsmodell oder Markenumfeld keine Ahnung haben – mit denen muss man sich dann auch noch beschäftigen. Daher: Gründerteams lieber klein halten. Außerdem sollten die Gründer:innen von Beginn weg nicht zu wenige Anteile halten. Auch aus Motivationsgründen sollte eine zu große Verwässerung der Anteile gleich von Beginn weg verhindert werden.

Was gilt es bei der Bewertung des eigenen Unternehmens zu beachten?

Lukas Herrmann:  Vor einiger Zeit wurde fast alles von Investor:innen gekauft, weil man der Meinung war, man dürfe das nächste potentielle Unicorn nicht verpassen. Nun ist wieder mehr Realitätssinn eingekehrt, die Geschäftsmodelle und Businesspläne werden genau geprüft. Daher ist es wichtig, mit realistischen Einschätzungen an die Sache heranzugehen und gute Begründungen für die Bewertung zu haben.

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