Klaus Bauernfeind erinnert sich noch genau an seine Kindheit: Der Most hatte damals schon längst seine frühere Beliebtheit eingebüßt. „Einen Most hab ich als Knecht getrunken, jetzt bin ich ein Bauer, jetzt trinke ich Bier, das hat damals unser Senior gesagt“, erinnert sich der 41-Jährige. Als Inbegriff der Modernität galt damals Keli, die Limonade aus Linz mit verschiedenen Geschmacksrichtungen. Most wird zu dieser Zeit also nicht nur als altmodisch wahrgenommen – es steht viel schlimmer um das ehemalige Lieblingsgetränk der Oberösterreicher. Keinen Most trinken müssen, das ist in den 80er-Jahren ein soziales Zeichen von Wohlstand. „Die Generation damals hat es als Errungenschaft gesehen, keinen Most mehr zu konsumieren und sich etwas Besseres leisten zu können“, sagt Bauernfeind.
Heute hat sich der Ruf des Obstsaftes abermals gewandelt – Most gilt wieder als modernes Produkt. Bauernfeind sitzt auf der Terrasse des Köglerhofs, zahlreiche Gäste genießen den Ausblick über das Donautal bis ins ferne Gebirge bei einer Jause - und einem Glas Most. 2002 entscheidet sich Bauernfeind gemeinsam mit seiner Gattin, die kleine Landwirtschaft im Mühlviertel als Vollerwerbsbetrieb zu führen. „Wir haben uns überlegt, wie wir professioneller werden können und mit unseren Produkten näher zum Kunden kommen“, sagt Bauernfeind. Mittlerweile produziert der Mostheurige jährlich 18.000 Liter Most in modernen Press- anlagen im hauseigenen Keller. Eine überschaubare Menge, betrachtet man den Markt – aber ein Quantensprung im Vergleich zur eigenen Produktion vor zehn Jahren. Man will nachhaltig wachsen und sich von einer gesunden Basis aus weiterentwickeln, der Markt dürfe nicht überhitzt werden. Denn: Jeder Liter Most, der mehr produziert wird, muss auch vermarktet werden, sagt Bauernfeind. Nicht nur die Qualität des Produkts ist wichtig, auch der verkäuferische Aspekt. Da sei das Potential aber gewaltig. „Der Most ist wieder im Alltag eingezogen, es tut sich einiges am Markt“. Ähnlich wie bei Wein wür- den die Konsumenten auch beim Most kleinen Erzeugern zutrauen, das Produkt auf einem höheren Niveau als ein industrieller Betrieb zu produzieren.
35 Liter Most pro Kopf
Mehr als 50 Prozent des österreichischen Mosts wird in Oberösterreich produziert, hierzulande gibt es etwa 1,2 Millionen Streuobstbäume auf rund 15.000 Hektar Fläche. 70 Prozent des Bestandes sind Birnen, der Rest Äpfel, ein Großteil der Bäume ist mehr als 100 Jahre alt. Im Pro-Kopf-Verbrauch trinkt der Oberösterreicher viel mehr Most als der Österreicher. Landesweit liegt der Verbrauch nur bei 1,28 Litern, in Oberösterreich bei 35 Litern, schätzt die Landwirtschaftskammer. Derzeit beschäftigen sich 416 Betriebe mit der Direktvermarktung von Most. Einer davon ist der Mostheurige Pankrazhofer, wo Norbert Eder den landwirtschaftlichen Betrieb mit Mostschank von seinen Eltern übernommen hat. Damals entwickelt sich sein Interesse an qualitativ hochwertigem Most, bei einer Mostsommelier-Ausbildung lernt er gute Produzenten kennen, er kann die Qualität seiner Produkte steigern. „Das hat sich dann in Prämierungserfolgen niedergeschlagen, mittlerweile haben wir den gesamten Betrieb umgestellt – der Mostbereich ist heute ganz besonders wichtig für uns“,sagt Eder.Vor drei Jahren bekommt er die Möglichkeit, am Linzer Südbahnhof eine Koje in erster Reihe zu mieten, dort betreibt er seitdem eine Mosteria, in der nicht nur seine, sondern die besten Mostsorten der Region angeboten werden.
Als der Mostkonsum massiv zurückgeht und das Getränk nicht mit standardisierten Qualitätsansprüchen mithalten kann, geht es nicht wenigen der verbliebenen Mosttrinker nur noch um einen billigen Rausch. „Das waren großteils Leute, die den Most zwecks dem Preis- Leistungsverhältnis gekauft haben“, sagt Eder, „also viel Alkohol um wenig Geld“. Dieses Klientel sterbe aber zunehmend aus. Den klassischen Mosttrinker per se gäbe es nicht mehr. Heute richtet sich der Mostbauer an jene Zielgruppe, die den Most als typisches, oberösterreichisches Produkt wieder- erkennt. „Von außen betrachtet ist das vor allem die klassische Weintrinker- schicht, jenseits der 35 Jahre, gut gebildet und interessiert“, erzählt Eder. Ein Problem hat er aber: Lange schon hadert er damit, dass es Weinbauern in einer Belange viel einfacher haben. „Die haben jedes Jahr die gleichen Sorten und Erträge“, sagt Eder, „bei den Mostobstbeständen gibt es Jahre, wo es kaum Erträge gibt, dann wieder extrem viel“. Die Kunden kommen auf den Ge- schmack einer Sorte, und im nächsten Jahr gibt es davon keine. Mittlerweile sei die Kundschaft aber ohnehin experimentierfreudiger, würde sich durch das Angebot kosten und dann ihre Favoriten heraussuchen. Der klassische Most, wie ihn viele in Erinnerung haben, extrem säurebetont, braungefärbt und oxidativ, hätte dabei keine guten Karten. „Alle, die auf dieses Produkt setzen, werden verlieren, die anderen spüren massiven Aufwind“, sagt Eder.
Das Presshaus des Gasthofs Freiseder am Linzer Pöstlingberg gibt es seit dem 18. Jahrhundert, die Gastronomie wird „erst“ seit drei Generationen betrieben. Besitzer Michael Schöllhammer veranstaltet regelmäßig Mostverkostungen oder Gruppen-Führungen durch das geschichtsträchtige Presshaus. Der Most wird in der hauseigenen Gastronomie, aber auch ab Hof an Gäste im deutschsprachigen Raum verkauft. Der Mostausschank ist für ihn auch wichtig zur Image-Bildung. „Es ist schön, wenn wir mit Naturprodukten arbeiten können, die Leute wissen das wieder zu schätzen, wenn man gute, heimische Produkte anbietet“, sagt er. Diese Produkte seien seinen Gästen auch wieder etwas wert. „Jahrelang war es trendig, importiertes industrielles Zeugs zu konsumieren, jetzt geht der Trend wieder in Richtung Ursprung, Regionalität und Gesundheitsbewusstsein“.
Kooperation und Aufbruchsstimmung
Oberösterreich ist Österreichs Most- produzent Nummer eins, zahlreiche
Mostbauern bringen qualitativ hochwertige Produkte auf den Markt. „Konkurrenzdenken gibt es aber nicht“, sagt Schöllhammer. Ganz im Gegenteil: Regelmäßig gibt es Treffen, es werden gemeinsame Qualitätsstandards festgelegt. „Für eine gemeinsame Kooperation sollen die Kräfte jetzt gebündelt werden“, sagt Eder. Es bestehe Aufholbedarf, Most sei 15 bis 20 Jahre hinter dem Wein. „Es gab Zeiten, da gab es in Österreich nur zwei Sorten Wein, heute sind für die meisten auch nur zwei Sorten Most bekannt“, sagt Eder, „und zwar guter und schlechter“. Das soll sich än- dern, man will die Produkte in den Vor- dergrund stellen. Schöllhammer: „Wir haben ein gewaltiges Potenzial, wenn wir alle guten Most produzieren, wird sich das Image weiter verbessern – und wenn dann immer mehr Endkunden hin und wieder gerne ein Glas Most trinken, ist das für uns alle positiv.“
Fakten
1,2 Millionen Streuobstbäume auf rund 15.000 Hektar Fläche sind in Oberösterreich zu finden.
110.000 Tonnen Streuobst werden im jährlichen Schnitt geklaubt
3,5 Millionen Liter Most werden in OÖ jährlich produziert
416 Betriebe beschäftigen sich mit der Direktvermarktung von Most
***35 Liter Most trinkt der Oberösterreicher jährlich
Die vier Most-Grundgeschmacksrichtungen
Milde 5,0-6,5 Promille Säureanteil oder hohen Restzucker, geeignet für Neueinsteiger, leicht und frisch
Halbmilde Säuregehalt für 6,5 bis 7,9 promille, geeignet für Neueinsteiger, leicht und frisch
Kräftig Deutlich spürbarer Gerbstoffgehalt, trotz hohem Restzucker- Gehalt und niedrigem Säuregehalt, ideal als Begleiter zu bodenständigen, kräftigen Hauptspeisen.
Resch Ab einem Säurewert von 8 Promille, im reschen Most befindet sich oft das Mostobst in ursprünglicher Form.
Obstklaub'n mit Leo Windtner
In Oberösterreich gibt es zahlreiche Vollerwerbs-Mostbauern. Darunter aber auch Landwirte und Privatpersonen, die für den Eigengebrauch als Hobby ihren eigenen Most anbauen.
Einer von ihnen ist Energie AG Chef und ÖFB Präsident Leo Windtner. Das hat er uns beim Interview zur Coverstory unserer Frühlingsausgabe 2013 von DIE MACHER verraten. „Ich besitze 100 Obstbäume - da kann ich natürlich helfende Hände zum Obstklaub‘n sehr gut gebrauchen“, sagte er damals und schmunzelte. Nun ja, gesagt getan. Zu dritt reisten wir eines sonnigen Samstages im Oktober 2013 nach St. Florian. Und waren erst einmal freudig überrascht, als uns einer der mächtigsten Männer Österreichs am Traktor in der Arbeitskluft empfing. Da war klar: Er ist ganz offensichtlich nicht nur für rund 7.800 Mitarbeiter verantwortlich. Sondern auch dafür, dass sich seine kleine Landwirtschaft als ein wunderschön gepflegtes Plätzchen Natur entpuppt.