Die derzeitige Hochkonjunktur in der österreichischen Wirtschaft ist trügerisch, weil die Geschäfte auch von alleine gut laufen und somit die notwendigen digitalen Umbrüche im Handel nur zögerlich angegangen werden, sagt WKOÖ-Fachgruppenobmann UBIT Markus Roth. Aber nur mit Nischenprodukten, exklusivem Service und Erlebniseinkäufen könne man in der digitalen Handelszukunft erfolgreich sein. Dass die digitale Revolution aber nicht alle Händler verschlafen, zeigen ein Versandlogistiker, ein Start-up und zwei Online-Shops.
Momentan könne man sich aufgrund der Hochkonjunktur nicht über zu wenig Geschäft beklagen. Diese Phase sei aber in Hinblick auf die Digitalisierung im Handel trügerisch, weil man sich genau dann dem Thema der digitalen Revolution für das eigene Geschäft zu wenig widme. „Man kann durchaus eine Analogie zum Schwimmen ziehen: Wenn man aufgrund der Hochkonjunktur quasi über dem Wasser steht, warum braucht man dann jetzt Schwimmflügerl? Wenn diese Phase aber wieder abflaut, kann es schnell passieren, dass einem das Wasser bis zum Hals steht. Dann wäre man froh über eine Schwimmhilfe“, sagt WKOÖ-Fachgruppenobmann UBIT Markus Roth. Man dürfe den Zeitpunkt, sich mit digitalen Geschäftsmodellen auseinanderzusetzen, nicht verpassen. Es brauche einen radikalen Innovationsgeist auf der einen, Nischenprodukte und besonderen Service auf der anderen Seite. Sonst sei man auf Dauer nicht lebensfähig.
Ein Beispiel dafür, wie solch digitaler Innovationsgeist funktionieren kann, ist die E-Commerce-Logistiksoftware von Byrd Technologies aus Wien. Diese verbindet Onlinehändler mit verschiedenen Logistikdienstleistern. „Auf der einen Seite gibt es zum Beispiel den Onlineshop, der Kleidung verkauft und seine Produkte zum Endkunden befördern muss. Auf der anderen Seite gibt es Logistikunternehmen, die mit uns die Aufträge abwickeln. Wir sind das Bindeglied“, sagt Petra Dobrocka, Chief Marketing Officer von Byrd Technologies. Normalerweise müssten solche Softwarelösungen sehr teuer für ein einzelnes System programmiert werden. Byrd ist jedoch für viele Schnittstellen geeignet und trotzdem leistbar. „Wir können nicht nur ein Shopsystem, sondern gleich mehrere unterstützen und die Prozesse des Bestellvorgangs automatisiert abbilden. Wenn der Kunde bestellt, läuft alles vollautomatisch im System und der Status der Bestellung wird laufend aktualisiert. Im Prinzip muss sich der Onlinehändler aktiv um nichts mehr kümmern.“ Beim Versand ist man mit verschiedensten Anbietern wie etwa der Post oder DHL verbunden, Versicherung und Haftung sind inkludiert.
Fahr nicht fort, kauf im Ort
Weitere Faktoren, um im Zuge der Digitalisierung des Handels erfolgreich zu sein, sind Nischenprodukte und besonderer Service. „Früher sagte man ‚Fahr nicht fort, kauf im Ort’. Alles, was in Richtung Patriotismus und Emotion geht, lässt sich auch heute super verkaufen. Je weiter man in die Zukunft schaut, desto mehr zusätzliches Service muss man aber anbieten“, sagt Roth. So wie das etwa ein Verbund aus Geschäften im oberösterreichischen Gmunden macht, die gemeinsam einen Online-Marktplatz eröffnet haben. Das Besondere daran: Mitmachen können nur stationäre Geschäfte mit fixen Öffnungszeiten. „Wir verstehen uns nicht als Onlinehändler und legen Wert darauf, dass unsere Geschäfte offen haben“, sagt Mitinitiator Andreas Paschinger von Lederbekleidung Paschinger. Der Mehrwert für die Kunden liege einerseits darin, dass tatsächlich existierende Geschäfte hinter der Plattform stünden und man somit für die Kunden viel greifbarer sei, als dies bei großen Internetanbietern der Fall ist. Und andererseits, dass Bestellungen bis 17 Uhr noch am selben Tag durch einen Gmundner Taxiunternehmer geliefert werden.
Ein besonderes Service in der Nische der Industrieprodukte bietet Kaindl Industriebedarf aus Leonding mit einem Onlineshop an. Eine radikale, digitale Innovation wollte man bei Kaindl aber bewusst nicht: „Wir sagen ganz klar: Wir sind Digitalisierung 1.0. 2005, als die ersten Onlineshops so richtig groß geworden sind, waren wir bei 20 Millionen Euro Umsatz. Ende 2018 stehen wir bei etwa 50 Millionen Euro. Also haben wir nicht so viel falsch gemacht – noch dazu, wenn man bedenkt, dass dazwischen eine Wirtschaftskrise war“, sagt Kaindl-Prokurist Engelbert Füreder. Der Onlineshop sei kein zweites Standbein, sondern ein besonderer Service für den Kunden. „Wir werden in den nächsten drei Jahren nicht einmal ein Prozent vom Umsatz damit lukrieren. Es geht uns aber auch nur um eine zusätzliche Dienstleistung in einer Nische, in der wir Experten sind. Unsere Produktlebenszyklen sind so, dass unsere Produkte kaum aus dem Sortiment ausscheiden – die gibt es fast ewig, weil man sie in der Industrie immer wieder braucht.“ Der Kunde greift beim Durchstöbern oder Bestellen direkt auf das Warenwirtschaftssystem von Kaindl zu. Zudem gebe es sehr spezialisierte Möglichkeiten, sodass bestimmte Produkte nur für bestimmte Kunden angezeigt werden.
Let me entertain you
Ist man gerade beim Stöbern und Einkaufen in einem Webshop, gibt es laut dem Linzer Start-up Swiftlox häufig ein Problem: 35 Prozent der kaufbereiten Kunden würden wegen der letzten Formalität – der Accounterstellung – vom Kauf abspringen. „Das ist für einen Onlinehändler relativ bitter, denn er hat zuerst erfolgreich Werbung gemacht und die letzte Hürde lässt die Kunden dann abspringen“, sagt Gründer Alexander Fried. Die Konsequenz sei, dass die Leute den Kauf abbrechen und zu einem Händler gehen, wo sie bereits alles hinterlegt haben. Dieses Problem wolle man mit einem passwortlosen Anmeldesystem lösen – die Smartphone-App Swiftlox ersetzt das Passwort. Alle kaufrelevanten Daten müssen nun nur mehr einmal in die App eingegeben werden. „Ich brauche damit meine Daten nicht immer neu eingeben. Ich gehe lediglich auf die Log-in-Seite und scanne den QR-Code mit meiner App.“ Grundsätzlich könne die Technologie überall eingesetzt werden, ob von Größen wie Amazon und Zalando oder von KMU. Der Fokus liege aber darauf, den lokalen Markt zu unterstützen. „Bei den Onlineshops herrscht häufig die ‚The winner takes it all’-Mentalität und da haben es die kleinen Anbieter oft schwierig. Somit ist diese Check-up-Optimierung ein riesiges Thema.“
Neben den erforderlichen digitalen Innovationen und der vermehrten Online-Auslagerung von Produkten gewinnt vor allem der Faktor Erlebnis im stationären Handel an Bedeutung, sagt Daniela Höllerbauer, Geschäftsführerin von Whitebox-Marktforschung. Ein großer Faktor, wie Digitalisierung den Handel verändert, sei die kompetente Fachberatung: „Das ist jetzt und wird in Zukunft einer der entscheidendsten Punkte sein, warum man noch in den stationären Handel geht. Dazu kommt, dass man für das stationäre Geschäft aus dem riesigen Produktsortiment, das man online anbietet, eine perfekte Vorauswahl treffen und diese höchst professionell präsentieren muss.“ Neben dem Faktor Mensch bei der Beratung gehe es darum, ein überraschendes und erlebnisreiches Einkaufen zu ermöglichen. „Es muss immer ein Mehrwert geboten werden, den ich online nicht bekomme. Immer mehr Geschäfte bieten kleinere Kinderecken an, damit die Kinder beschäftigt sind, während die Eltern shoppen können. Eine nette Idee sind auch Männerecken in Bekleidungsgeschäften, in denen die männlichen Begleiter mit einem Kaffee und einer Zeitung versorgt werden, während die Herzensdame sich umschauen kann.“ Einkaufen dürfe stationär also nicht als bloßes To-do abgehakt, sondern soll zur Freizeitbeschäftigung für die ganze Familie werden. Roth ergänzt: „Es kommt auf das Shoppingerlebnis nach dem Motto ‚Let me entertain you’ an. Das Ladenbaukonzept der Zukunft ist auf den Erlebnischarakter ausgerichtet, es geht um den Unterhaltungsfaktor. Ich muss sagen können, ich gehe nicht ins Disneyland, sondern ins Shopping-Center und kann meine Einkäufe nebenbei erledigen.“ Und um diese Punkte zu überprüfen, brauche man laut Höllerbauer das Mystery Shopping gerade in Zeiten der Digitalisierung mehr denn je. „Kompetente Fachberatung, Service und den Erlebnischarakter kann ich nur mit Testkunden optimal überprüfen.“ Natürlich sei Online Mystery Shopping mittlerweile auch ein riesiges Thema, indem man etwa die Überschaubarkeit des Produktsortiments, die Usability des Webshops oder die Herausforderungen des Lieferprozesses testet. Aber auch klassisches, stationäres Mystery Shopping erlebe durch die Digitalisierung eine Hochkonjunktur: „Die Anfragen sind heute drei- bis viermal so hoch wie noch vor zwei Jahren.“_
Die Hochkonjunktur ist für den Handel trügerisch – dadurch widmet man sich der digitalen Revolution für das eigene Geschäft zu wenig.
Markus Roth
Fachgruppenobmann UBIT, WKOÖ
Kompetente Fachberatung, Service und den Erlebnischarakter kann ich nur mit Testkunden optimal überprüfen.
Daniela Höllerbauer
Geschäftsführerin, Whitebox Marktforschung
Von digitalen Assistenten und selbstfahrenden Autos
Trendforscher Sven Gabor Janszky, der Chairman des Zukunftsforschungsinstituts „2b Ahead Think Tank“ darüber, wie intelligente Assistenten Webshops ablösen und wie realistisch es ist, dass uns in wenigen Jahren selbstfahrende Autos unsere Pakete liefern werden.
Wie wird sich der Handel aufgrund der Digitalisierung verändern?
Janszky_Die Kundenpyramide wird sich durch die Digitalisierung komplett verändern. Bisher hatte man auf der unteren Ebene den Diskonter, dann den stationären Handel und oben das Premiumsegment. Das untere Massensegment wird in Zukunft komplett mit digitalen Assistenten funktionieren. Dadurch löst sich der stationäre Handel fast auf und wandert in abgewandelter Form in das Premiumsegment. Dort geht es künftig nicht mehr um Preis und Qualität, sondern um die Identität, die man mit den Produkten verkörpert. Die Menschen werden somit zu Identitätsmanagern, die Innenstädte zu Identitätsorten. Der Grund für diese Entwicklung ist die Individualisierung durch die Digitalisierung, die es durch Datenanalyse schafft, die Angebote und Produkte so auf jeden Menschen zuzuschneiden, wie es vorher nie möglich war.
Amazon-Boss Jeff Bezos überraschte zuletzt mit der Aussage, dass sein Webshop wohl nicht mehr lange überlebensfähig sei. Wird es in Zukunft tatsächlich keine Webshops mehr geben?
Janszky_Nichts passiert von heute auf morgen. Aber wir gehen in der Tat davon aus, dass die großen Webshops zukünftig von digitalen Assistenten auf den Endgeräten der User abgelöst werden. Im Augenblick wartet der Webshop noch darauf, dass der Kunde zu ihm kommt, in Zukunft wird man durch Datenanalyse automatisch erkennen, was der Kunde gerade braucht. Im Hintergrund werden Prognosen durch Mustererkennung und Künstliche Intelligenz erstellt. Daraus kann man filtern, wann wer was kaufen wird. Die Wahrscheinlichkeit ist aber natürlich groß, dass so ein künstlicher Assistent auch von den Großen wie etwa Amazon kommt.
Was werden die unmittelbaren Trends im Handel sein?
Janszky_Same Day Delivery ist das Nächste, das kommt, beziehungsweise teilweise ja schon da ist. Der übernächste Trend ist das selbstfahrende Auto. Wir rechnen ungefähr ab 2025 damit, dass sich in den Ballungsräumen selbstfahrende Autos um den Versand von Paketen kümmern. Da dies dann ganze Flotten sein werden, wird auch der Preis dafür in den Keller rasseln. Drohnen sind natürlich auch immer ein Thema, hier sind aber die regulatorischen und technologischen Hindernisse noch zu groß.