„In der ersten Führungsebene gibt es keine Schonfrist“, warnt Karoly Pataki. Jede Entscheidung, die eine Führungskraft trifft, habe rechtliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen. Pataki weiß das. Er hat selbst 25 Jahre Erfahrung als Führungskraft, war unter anderem Vorstandsvorsitzender einer international agierenden Unternehmensgruppe. Und hat sich nun mit der Gravitas GmbH auf die Entwicklung von Führungskräften spezialisiert. Er bereitet diese vor, den globalen Anforderungen der heutigen Welt gerecht zu werden – nämlich sozial, wirtschaftlich, gesellschaftlich und auch umwelttechnisch. Keine einfachen Anforderungen, die in der obersten Führungsetage auf einen zukommen. Deshalb solle man sich wirklich gut überlegen, ob man die Herausforderung annehmen möchte. „Man sollte sich ethisch, moralisch nicht verstellen, um eine Führungskraft zu werden. Man darf der Firma und auch sich selbst nicht schaden, nur um weiterzukommen.“ Genau das sei aber oft schwierig. Denn „die drei Buchstaben CEO glänzen. Die sind wie der Olymp, wo die Ehrgeizigen hinwollen“. Doch diesen Gipfel dürfe man nicht mit Kompromissen erklimmen. Man müsse sorgfältig abwägen, was die wirtschaftlichen, rechtlichen, gesellschaftlichen und sozialen Interessen der Stakeholder sind. Stimmen diese mit den eigenen Vorstellungen überein? „Eine Führungskraft ist kein Ja-Sager. Sie muss auch den Mut haben, zu begründen, warum sie anders entscheidet, als es von ihr vielleicht erwartet wird.“
Die ersten 100 Tage beginnen demnach meist schon vor dem (eventuellen) Arbeitsantritt. Entscheidet man sich schließlich für die Stelle, beginnt die Zeit, in der man als Manager die Weichen für die Zukunft des Unternehmens stellen kann. In der man Vertrauen aufbauen und Respekt gewinnen muss. Während man von Kollegen, Mitarbeitern, Eigentümern, Aufsichts- und Betriebsräten mit Argusaugen beobachtet wird. Worauf es ankommt in dieser aufregenden Zeit:
Wie man als neue Führungskraft Vertrauen, Respekt, Anerkennung gewinnt.
01 100 Tage Vorbereitung.
So schnell wie möglich zeigen, was man kann, rasche Entscheidungen treffen und auf einen „quick win“ hinsteuern – „das würde ich nicht empfehlen“, warnt Karoly Pataki. „Bevor man überhaupt Entscheidungen treffen kann, muss man sich über die Kultur des Unternehmens informieren und die Auswirkung jeder Entscheidung gezielt abwägen.“ Um dann in Ruhe, aber ganz konsequent, Entscheidungen zu treffen. Außerdem rät der Experte von Ankündigungen großer Reformschritte ab. „Weil es bei der Ankündigung bleibt und nie umgesetzt wird. Zur Umsetzung muss man zuerst das Team gewinnen – denn das sind die Fachleute, die schließlich operativ etwas umsetzen können.“
02 Vertrauen aufbauen, Respekt erarbeiten.
Vertrauen erntet man dann, wenn man glaubwürdig ist. Und glaubwürdig ist man dann, wenn Worte und Taten übereinstimmen. „Dazu braucht die Führungskraft wirtschaftliche sowie soziale Kompetenz“, erklärt Pataki. Ist man nach einer guten Vorbereitung überzeugt von einer Entscheidung, dann müsse man dazu stehen. „Man muss den Mut haben, auch unsympathische Entscheidungen zu treffen, und davon überzeugt sein. Provokant formuliert: Jemand, der harmoniebedürftig ist, ist fehl am Führungsplatz.“ Eine Führungskraft müsse nämlich nicht unbedingt beliebt sein, die Organisation müsse ihr vertrauen und folgen können. Ein wichtiger Baustein beim Aufbau von Vertrauen: Offenheit. „Alles, was heimlich passiert, kommt irgendwann an die Öffentlichkeit“, ist Pataki überzeugt. „Vertrauen aufbauen heißt, transparent kommunizieren.“
03 Klare Richtung vorgeben.
„Eine neue Führungskraft muss eine klare Richtung vorgeben und deren Umsetzung einfordern“, erklärt Pataki die Erwartungshaltung der Stakeholder an den neuen Chef. Mit unsicher formulierten Zielsetzungen könne niemand etwas anfangen. „Die Organisation erwartet von der Führungskraft, dass sie aktiv handelt. Unsicherheit lässt sich mit durchdachten, klar formulierten Entscheidungen vermeiden – einem unsicheren, verwirrten Chef kann man nicht folgen.“
04 Hidden Influencer identifizieren.
Wer wissen möchte, wie die Organisation funktioniert, muss wissen, wer die versteckten Meinungsbildner sind. Pataki nennt sie Hidden Influencer. „Es gibt in jeder Organisation inoffizielle Netzwerke, Informationsknotenpunkte und Influencer, die im Verborgenen agieren.“ Eine neue Führungskraft sollte sich daher mit deren Einfluss und Funktionsweise vertraut machen. Sie muss sicher sein, dass ihre Botschaft wirklich im Unternehmen an den richtigen Stellen ankommt. Sonst wird sie ignoriert oder gar blockiert. Sie muss versuchen, diese Entscheidungsträger entweder als Erste zu gewinnen oder – wenn sie nicht bereit sind, die neue Richtung mitzutragen – sich von ihnen trennen. „Blockierer lassen sich nicht umstimmen.“
05 Das beste Team aufbauen.
„Oft will eine neue Führungskraft ein komplett neues Team für sich aufstellen“, erzählt Pataki. Ein Fehler, seiner Meinung nach. „Es braucht Wertschätzung für das bestehende Team, denn eine Führungskraft allein setzt nichts um. Sie braucht ein Team, das ihr folgt.“
06 Vom Kollegen zur Führungskraft: So bleiben, wie man ist!
Manchmal wird eine Führungsposition intern besetzt. „Das ist besonders schwer – für die neue Führungskraft“, sagt Pataki. Der größte Fehler, den man dabei machen kann: versuchen, seine Persönlichkeit zu verstellen und plötzlich den Chef spielen. „Man kennt ihn ja als Kollegen. Er kann nicht von heute auf morgen ein anderer Mensch sein, das wäre nicht glaubwürdig und niemand würde ihm folgen.“ Hingegen empfiehlt er, dem Team ganz offen und rasch mitzuteilen, was die Aufgaben der Zukunft sind. Wer hat welche Rolle in der Umsetzung dieser Ziele? Und das alles in einem ganz normalen Ton, man ist ja Teil des Teams. Er solle außerdem sehr klar formulieren, welche Verantwortung er jetzt hat. „Damit jeder sofort versteht: Diese Person hat sich nicht verändert. Aber wir müssen respektieren, dass sie nun eine Führungsrolle hat.“
07 Akzente setzen.
Niemand verändert ein Unternehmen in drei Monaten. Und das wird auch von einer neuen Führungskraft nicht erwartet. Pataki: „Man holt eine Führungskraft auf längere Sicht, strategisch durchdacht, mit nachhaltigem Erfolg. Was jedoch erwartet wird: Dass die Führungskraft die ihr erteilten Aufgaben und Anforderungen verstanden hat und Akzente setzt, die zeigen, dass sie das auch in die Praxis umsetzen kann.“ Das bedeute nicht, dass massenhaft Mitarbeiter entlassen werden müssen oder große Reformschritte umgesetzt werden sollen (Ausnahmefall: Sanierung - die müsse man immer anders betrachten). „Der Arbeitgeber muss das Gefühl haben, dass das Unternehmen in sicheren Händen ist.“
08 Die Zukunft des Unternehmens prägen.
Meist sind sie noch gut sichtbar – die Fußstapfen des Vorgängers. Wie geht man damit um? „Die Aufgabe einer Führungskraft ist, nach vorne zu schauen, nicht nach hinten“, antwortet Pataki. Mit den Fußstapfen des Vorgängers solle man diplomatisch und respektvoll umgehen, sich aber ansonsten nicht länger mit dem Vorgänger und dessen Geschichte befassen. „Man wird als neue Führungskraft geholt, um die Zukunft des Unternehmens zu prägen.“ Dabei sollte man sich allerdings hüten, den Vorgänger in irgendeiner Form klein zu machen oder dessen Ergebnisse schlechter darzustellen, um selbst dadurch groß zu wirken. „Das ist der größte Fehler, umso größer ist der Sturz danach.“ Eine wirklich geerdete Führungskraft brauche ohnehin niemanden klein zu machen.
09 Führungsqualität beweisen.
Wer für eine Führungsposition ausgewählt wurde, dem wird einiges zugetraut. Die Erwartungen sind also hoch. Und wie erfüllt man die nun? Dazu Pataki: „Eine gute Führungskraft hört öfter zu als sie redet, hat den Mut, Alternativen abzuwägen, und bezieht bei Entscheidungen stets wirtschaftliche, moralische und rechtliche Aspekte mit ein.“ Außerdem sei sich eine gute Führungskraft bewusst, dass sie alleine wenig bewirken kann. „Ohne Team, das hinter ihr steht, ist eine Führungskraft eine Visitenkarte ohne Inhalt.“_