Den Nachtschwärmern (oder Frühaufstehern), die zu später Stunde durch Urfahr spazieren, bietet sich in der Leonfeldner Straße ein besonderer Anblick. Hell beleuchtet können dort täglich ab Mitternacht bis in die frühen Morgenstunden durch die Auslagen die Bäcker der Feinbäckerei Eichler beobachtet werden, wie sie Salzstangen von Hand wickeln, Teig kneten und Semmeln und Brote formen. Ab halb fünf Uhr morgens öffnen sich die Türen dann für die Gäste, in der Kaffeestube können die frischen Backwaren verspeist werden. Seit dem Umbau der Feinbäckerei herrscht hier oberste Transparenz. „Wir wollen den Leuten ganz genau zeigen, was uns ausmacht“, sagt Agnes Hammerl-Eichler, „nämlich, dass wir eine ganz gewöhnliche Bäckerei sind, wo in der Nacht aufgestanden wird, damit frühmorgens das Produkt fertig ist.“
Qualität alleine reicht nicht
Die Lage der Handwerksbäcker in Österreich ist schwierig. Von den 1.920 Bäckern im Jahr 2005 hatten bis 2011 mehr als 300 aufgegeben, ergab eine Untersuchung der KMU Forschung Austria. Experten rechnen damit, dass sich der Trend des „Bäcker-Sterbens“ fortsetzen wird. Die Gründe: Neue Konkurrenz durch die Aufback-Stuben, wie etwa bei Hofer und Lidl. Immer mehr Österreicher kaufen Brot im Supermarkt – 2012 waren es laut einer Analyse des Market Instituts bereits 46 Prozent. Mehr Qualität alleine reicht oft nicht – die Bäcker müssen sich neue Strategien überlegen, um potentielle Kunden zu erreichen. „Als klassischer Bäcker muss man sich mittlerweile wirklich abheben“, sagt Hammerl-Eichler. Gemeinsam mit ihren Eltern und ihren Schwestern brachte die junge Bäckerin durch ein neues Konzept frischen Wind in das Unternehmen. Schulen und Kindergärten werden Exkursionen in die Bäckerei angeboten, so soll schon die Jugend lernen, wie Handwerksbäcker arbeiten. Die Kinder sind immer total begeistert und gleichzeitig erstaunt, wie schwierig es sein kann, ein Semmerl händisch zu formen“, sagt Hammerl-Eichler. Sie bekommen nicht nur ein Gefühl für die gesamte Herstellungskette, sondern werden womöglich gleich als zukünftige Kunden gewonnen. Mit neuen Ansätzen und Innovationen sind viele Bäcker erfolgreich. Denn während die Zahl der Bäckereien insgesamt abnimmt, steigt dafür bei den Verbliebenen die Zahl der Mitarbeiter und der Umsatz.
Wie auch bei der Naturbackstube Honeder. Als Geschäftsführer Reinhard Honeder den Betrieb vor 20 Jahren mit seiner Frau übernimmt, haben die beiden drei Mitarbeiter. Mittlerweile arbeiten etwa 120 Mitarbeiter für Honeder, sein Unternehmen ist an dreizehn Standorten vertreten, sieben davon in Linz. Wir treffen uns mit Honeder in der Filiale in der Stockhofstraße. Während unseres Gesprächs betreten einige Kunden das Geschäft, die nicht nur einkaufen, sondern auch gleich mit der Verkäuferin plaudern. Man kennt sich hier offenbar. Honeder sitzt an einem Tisch, nippt an seinem Kaffee und bestellt sich ein Semmerl mit Butter und Salz. „Anfangs waren wir uns nicht sicher, ob wir die Bäckerei übernehmen sollen, wir waren viel im Ausland unterwegs“, erinnert er sich, „aber uns war klar: wenn, dann so, wie es sich gehört.“ 1996 legt man sich selbst ein Reinheitsgebot auf. Das heißt: keine Zutaten aus der Backmittelindustrie, die Rohstoffe direkt von Bauern aus der Region. „Wir wollten reduzieren – früher hatte man auch nur die Rohstoffe und den Ofen selbst. So gehen wir heute auch vor.“
Neue Trends der Lebensmittelindustrie wie etwa „Functional Food“, bei dem gesunde Inhaltsstoffe und Vitamine dazu gemischt werden, lehnt man ab. „Das ist gegen unsere Philosophie – wir wollen das beste Brot mit den besten Zutaten backen und unsere Kunden mit einem Extra-Lächeln beschenken“, sagt Honeder. Auch was das Sortiment betrifft, ist man konservativ. Donuts werden die Gäste der Naturbackstube nie in den Regalen finden – dafür traditionelle Mohnzelten, die schon Honeders Großvater im heutigen Tschechien verkauft hat. Das Rezept stammt von seiner Uroma – sie war Köchin in einem böhmischen Bürgerhaus.
Durchwachsene Stimmung
Honeder ist nicht nur Geschäftsführer der Naturbackstube, sondern auch Berufsgruppensprecher der oberösterreichischen Handwerksbäcker bei der Wirtschaftskammer und vertritt damit die Branche und bekommt viel von der Stimmung unter seinen Mitbewerbern mit. Im dritten Quartal 2014 beurteilten nur elf Prozent der Bäckerei-Betriebe in Österreich ihre Geschäftslage mit „Gut“, 22 Prozent mit „Schlecht“, der Rest als „Saisonüblich.“ „Insgesamt ist die Stimmung sehr durchwachsen. Während einige Betriebe die Lage positiv bewerten, sehen andere keine Perspektive mehr und warten nur mehr auf die Pensionierung“, sagt Honeder. Das liege aber nicht nur an der Branche. Man müsse es schaffen, sein eigenes Unternehmen aus der Vogelperspektive zu betrachten. Bin ich nah genug am Kunden? „Wenn das nicht der Fall ist, habe ich mittelfristig ein Problem.“ Ebenso, wenn die unternehmerischen Aspekte vernachlässigt würden. Es sei wichtig, gutes Brot zu machen – aber eben auch, rechnen zu können. „Bei manchen gewachsenen Handwerksbe- trieben merke ich da gewisse Defizite“, sagt er. Gut Backen alleine reicht nicht – man müsse unternehmerisches Know-How mitbringen. Dazu gehört auch, sich rechtzeitig um Fachkräfte und Lehrlinge zu kümmern. „Generell gibt es zu wenig Nachwuchs, das stellt einige vor Probleme“, sagt Honeder. Nicht sein Unternehmen: Man habe immer genügend Lehrlinge, im vergangenen Jahr musste man sogar geeignete Kandidaten ablehnen. „Das ist aber selten der Fall“, sagt Honeder. Man würde aber auch einiges dafür tun, um attraktiv zu bleiben. Bei Honeder gibt es für jeden Lehrling eine Fünf-Tage-Woche und Arbeitsbeginn ab fünf oder sechs Uhr morgens. „Nach der Lehrzeit gibt es die Möglichkeit, zur Meisterschule zu gehen oder zu studieren“, sagt Honeder. Etwa 20 Prozent der Lehrlinge schaffen derzeit nach der dreijährigen Lehre die Prüfung nicht – besonders bitter für jene Unternehmen, die ohnehin dringend Personal suchen. Bei der Naturbackstube sei dies aber noch nie vorgekommen.
"Weltmeister im Nicht-Erzählen"
Nachholbedarf sieht Honeder vor allem beim Marketing einiger Bäckerei- Betriebe, die „Weltmeister im Nicht- Erzählen“ seien. Potentielle Kunden würden oft eher den Marketingstrategien mit großem Budget von Mitbewerbern, die Aufback-Ware verkaufen, Beachtung schenken. „Die Handwerksbäcker machen ihr Handwerk schon seit Jahrzehnten auf höchstem Niveau und sprechen nicht oder zu wenig darüber.“ Bei der Naturbackstube selbst gibt es, ähnlich wie bei der Feinbäckerei Eichler, aus diesem Grund einen Tag der offenen Backstube und Führungen durch die Zentrale. „Man muss als Bäcker auch immer als solcher erkennbar bleiben“, sagt Honeder, „für den Konsumenten muss es Klarheit geben.“ Denn der Bäcker, den es früher in jedem kleinen Ort gab, ist längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Neben einer Bewusstseinsbildung sei es auch wichtig, dem Kunden Raum zu geben, um die Produkte zu genießen. „Man muss regelrechte Genuss- und Wohlfühloasen schaffen, wo die Kunden eine kurze Auszeit nehmen können“, sagt er.
Wer rastet, der rostet
Eine solche Oase hat die Bäckerei Rösslhuber in Bergheim bei Salzburg geschaffen. Im größten Projekt in der bisherigen Geschichte des Familienunternehmens erweiterten die beiden neuen Geschäftsführer Michael und Karl Rösslhuber junior die Zentrale. Neuer Eisraum, neuer Verkaufsraum, neues Cafe, neue Konditorei: Aus der Bäckerei entwickelte sich ein regelrechtes Genusszentrum. „Wir wollen, dass unsere Gäste hier nicht nur einkaufen, sondern sich auch wohlfühlen.“ Das funktioniert: Im Frühling wird die Terrasse vor der Bäckerei zu einem Treffpunkt für Jung und Alt im Ort. „Durch unseren Umbau ist es uns gelungen, den Kunden einen Freizeitraum zu schaffen“, sagt Michael Rösslhuber. Man bietet mittlerweile täglich Mittagsmenüs und im Sommer zahlreiche selbst produzierte Eissorten an. Davon steigt auch der Umsatz der Bäckerei. „Nicht selten holen sich die Gäste, die mittags Essen kommen, dann noch Nachspeisen, wie etwa ein Topfentascherl.“ Rösslhuber gehört zu den Bäckereien, die in den vergangenen Jahren gewachsen sind – mittlerweile arbeiten etwa 40 Angestellte in insgesamt drei Filialen und der Zentrale. Und auch der Umsatz ist gestiegen. „Man darf aber nicht vergessen, dass dafür hohe Investitionen nötig waren“, sagt Michael Rösslhuber, „wir denken zukunftsorientiert, wer rastet, der rostet.“ Viele Bäckereien würden nicht ausreichend an die Zukunft denken. „Die Konkurrenz durch Aufback- Waren nimmt ständig zu – wer da am Ball bleiben will, muss Geld in die Hand nehmen“, sagt der Rösslhuber- Geschäftsführer. Versäumt man das zu lange, wird der Kostenfaktor enorm. „Bäckereimaschinen sind teuer, dazu kommen hohe Hygienevorschriften – auch die Produktpalette wird immer größer.“ Gab es vor 20 Jahren in der Bäckerei seines Vaters zehn bis 20 verschiedene Produkte, sind es mittlerweile schon deutlich mehr als 50 – dadurch steigt der Aufwand. Sie werden fast alle in Handarbeit und mit langen Teigführungen aus regionalen Lebensmitteln angefertigt.
Um auch als traditioneller Handwerksbäcker Erfolg zu haben, muss der Weg über die Qualität führen, darin sind sich Eichler, Honeder und Rösslhuber einig. Ein Preiskampf gegen die Industrie kann unmöglich gewonnen werden. Ein weiterer Punkt verbindet die drei: Ihre Leidenschaft zum Handwerk. „Bäckerei ist für mich fast so etwas wie Familie“, sagt Eichler, „ich könnte mir nicht vorstellen, in eine andere Arbeit ähnlich viel Energie zu investieren.“ Das Einzigartige für sie: Jeden Tag entsteht aus wenigen Rohstoffen und Zutaten ein hochwertiges Endprodukt. Auch bei Honeder ist es ähnlich. „Ich mache das jetzt seit mehr als 20 Jahren, die Bäckerei ist mein Leben und meine große Begeisterung“, sagt er. Und wünscht sich, dass jeder einen Beruf für sich findet, der ihm so viel Spaß macht. „Denn nur, wenn man mit dem Herzen dabei ist, kann man wirklich gut werden.“