Eine Expertenjury hat bei einem vom Land Oberösterreich ins Leben gerufenen Fördercall zum Thema „Digital Health“ sieben innovative Projekte ausgewählt. Eines davon ermöglicht einem querschnittsgelähmten Leondinger, weiter seine größte Leidenschaft auszuüben.
Ob die angesagtesten Clubsounds, echte Klassiker oder auch einmal etwas langsamere Songs – als DJ Ridinaro sorgt Mario Marusic (31) für gute Stimmung unter Feiernden. Dabei drohte sein großer Traum vom Mixen an den Turntables in jungen Jahren zu zerplatzen. Denn der Leondinger hatte als 19-Jähriger im Urlaub in Kroatien einen folgenschweren Unfall und ist seither querschnittsgelähmt. Wie er uns im Gespräch erzählt, war er in einer Disco auf einer Plattform ausgerutscht und mit dem Kopf voran in ein mit wenig Wasser befülltes Becken gestürzt. Der vierte und fünfte Halswirbel waren angeknackst, Splitter durchtrennten schließlich die Nerven.
Marusic kann sich seither von der Brust abwärts nicht mehr bewegen, auch in seinen Fingern hat er kein Gefühl. Doch wie kann er nun bei Events seine Hits auflegen? Dank der Mundcomputermaus „IntegraMouse“ des gemeinnützigen Linzer Unternehmens LIFEtool sorgt der Leondinger nun mit den Lippen für die richtigen Beats. Ja, richtig: mit den Lippen. „Mit Saugen, Pusten und Lippenbewegungen kann ich die Maus am Computer steuern. Ich bewege damit den Regler und das Mischpult. Das funktioniert mittlerweile richtig gut“, lacht Marusic.
Sätze in wenigen Sekunden mit dem Mund geschrieben
In wenigen Augenblicken kann Marusic dank des Tools ganze Sätze schreiben und verschicken. Beim Besuch vor Ort wollen wir das auch ausprobieren. Unser Fazit: „Man braucht schon für den Vornamen deutlich länger.“ Marusic‘ coole Antwort: „Ich habe ja doch schon etwas mehr Erfahrung damit.“ Generell hadert er nicht mit seinem Schicksal, sondern blickt optimistisch in die Zukunft. „Es ist passiert und ich kann es ohnehin nicht mehr ändern. Ich schaue nach vorne. Die IntegraMouse ist eine riesige Hilfe“, sagt der Leondinger.
Doch bis es soweit war, hatte der Leondinger nach seinem Unfall zehn Monate in einem Rehazentrum in Klosterneuburg verbracht, musste sogar das Atmen wieder erlernen. „Als auf der Intensivstation der Beatmungsschlauch wegkam, hatte ich anfangs noch das Gefühl zu ersticken. In vielen Rehastunden musste ich dann das selbstständige Atmen wieder trainieren“, erinnert sich Marusic. Genau das soll nun die neueste Version, die „IntegraMouse Air“, für Patient:innen erleichtern. Sie ist bereits die dritte Generation der Computermaus. „Bei einer Querschnittslähmung ist das Atmen ein ganz wichtiges Thema. Mit unserer neuesten Version können die Nutzer:innen dann das richtige Atmen trainieren. In rund zweieinhalb Jahren soll das Produkt fertig sein“, berichtet LIFEtool-Geschäftsführer David Hofer.
Dabei kann LIFEtool auf die Unterstützung des Landes Oberösterreich bauen und wird wie weitere sechs innovative Projekte gefördert. Die Gesamtinvestitionssumme für alle beträgt 5,15 Millionen Euro. Insgesamt hatten elf Digital-Health- und Biotech-Startups nach einem im Sommer vergangenen Jahres ins Leben gerufenen Fördercall ihre Projekte eingereicht, sieben davon wurden von einer internationalen Fachjury als Sieger auserkoren.
Laut Hofer gibt es aktuell rund 4.500 Nutzer:innen der Maus, verteilt auf 40 Länder. Er sagt: „Wir sind mit einigen Benutzer:innen im Austausch und holen uns immer wieder Feedback.“ Mit Marusic sitzt ein Anwender direkt in der Firma im Forschungsteam. Er ist seit April 2021 fix im LIFEtool F&E-Team angestellt.
„Oberösterreich stärker im internationalen Rampenlicht“
Die Digitalisierung schreitet gerade im Gesundheitswesen und in der Pflege in immer rasanterem Tempo voran. Deshalb soll genau mit solchen Projekten der Turbo für den Medizintechnik-Standort Oberösterreich gezündet werden. „Die Digitalisierung des Gesundheitswesens ist nicht nur aus medizinischer, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht eine große Chance. Zum einen kann damit die Versorgung von Patient:innen weiter optimiert und das Gesundheitspersonal entlastet werden und andererseits besteht gerade für den Wirtschaftsstandort Oberösterreich auf dem Zukunftsmarkt Medizintechnik viel Potential“, erklärt Wirtschafts- und Forschungs-Landesrat Markus Achleitner.
Die ausgewählten Innovationsprojekte sind Teil der Forschungsstrategie #upperVision2030 und werden von 27 Partner:innen unterstützt. Aus medizinischer und ökonomischer Sicht ist die Digitalisierung des Gesundheitswesens eine große Chance, die Versorgung der Patient:innen zu optimieren und den Kostenanstieg im Gesundheitsbereich einzubremsen. „Durch die sieben ausgewählten Innovationsprojekte rückt Oberösterreich bei der digitalen Gesundheit noch stärker ins internationale Rampenlicht“, sagt Achleitner.
Tools wie die IntegraMouse sind für Menschen mit hoher oder kompletter Querschnittslähmung, beidseitiger Armamputation oder mit fortschreitenden Erkrankungen wie Muskeldystrophie oder Amyotropher Lateralsklerose (ALS) das Tor zur Welt der Computer und des Internets. Ob Fifa oder Autorennspiele – Marusic kann dank dieser Innovation wieder mit seinen Freund:innen am Computer zocken.
Davon hatte Marusic kurz nach dem Aufwachen nach seinem Unfall im Spital nicht einmal zu träumen gewagt. Vor allem, dass er sich weiter so intensiv mit der Musik beschäftigen kann, ist für ihn ganz wichtig. „Mein erster Gedanke nach dem Aufwachen im Krankenhaus war: Ich muss fit werden und am Wochenende wieder in meinem Club auflegen“, erinnert er sich zurück. Dabei gilt es zu wissen, dass Marusic zu dieser Zeit an den Wochenenden bereits in einer Welser Disco aufgelegt hatte.
BioNTech investierte mehr als 100 Millionen Euro
Dass sich die Förderung in Digital-Health- und Biotech-Startups lohnt, zeigen einige Erfolgsstorys. So investierte mit Biontech ein richtig großer, globaler Player im vergangenen Jahr mehr als 100 Millionen Euro in die Übernahme heimischer MedTech- und Pharma-Startups. Im Bereich Medizin- und Gesundheitstechnologien gibt es in ganz Österreich rund 920 aktive Unternehmen, die einen Jahresumsatz von 22 Milliarden Euro generieren. Fast die Hälfte davon wird wieder in Forschung und Entwicklung reinvestiert. Bemerkenswert: Knapp 80 Prozent der Projekte kommen von jungen, kleinen und hochinnovativen Unternehmen.
Wie eben LIFEtool! Das hat dem gelähmten Marusic nicht nur sein Leben erleichtert, sondern ihm seinen größten Traum erfüllt. Er konnte dank der IntegraMouse nämlich auf dem Wiener Donauinselfest vor einigen tausend Besucher:innen auflegen. „Das war der Wahnsinn“, gerät er immer noch ins Schwärmen. Und vielleicht kommt schon bald ein weiteres Highlight dazu …_
Mit Saugen, Pusten und Lippenbewegungen kann ich die Maus am Computer steuern.
Mario Marusic
Anwender und Entwickler der IntegraMouse von LIFEtool
#7 Preisträger
01 Life Care AssistanceDie LICA-App wendet sich an pflegende Angehörige und unterstützt die Pflege zu Hause.
02 Effiziente Pflegedokumentation auf Basis KI-gestützter AktivitätserkennungDas Projekt zielt auf eine Verbesserung der Dokumentationssituation in der Pflege ab.
03 IntegraMouse AirDas Tool ist ein intuitiv mit dem Mund zu bedienendes Hilfsmittel für Menschen mit Querschnittslähmung.
04 Focus on PatientDieses Projekt soll effektive Zusammenarbeit von Ärzt:innen, Therapeut:innen und Pflegekräften ermöglichen.
05 FHSimApUsCareDiagnostische Ultraschallbildgebung soll durch die Entwicklung neuer Algorithmen verbessert werden.
06 EPILEPSIASensoren, die epileptische Anfälle vorhersagen sollen
07 ARESSoftwaretool, das die Riss(Ruptur)-Risiko-Einschätzung von Aneurysmen unterstützt