Kujal ist heute nicht das erste Mal in Steyr. Sein letzter Besuch ist zwölf Jahre her: Damals fällt ihm hier der Name für sein heutiges Unternehmen – Talenteschmiede – ein. Für seine erste Gründung entscheidet er sich dann aber doch für einen anderen Namen. Zu diesem Zeitpunkt hat er sich längst international einen Namen als Verkaufsexperte gemacht. Um Kujal als Gründer zu begreifen, muss man zuerst einen Blick auf seine rasante Karriere davor werfen.
Die startet 1993, als er nach einem Semester Betriebswirtschaftslehre nebenbei einen Job sucht. „Studieren war ganz lässig, aber ich hatte nicht genug Geld, um bei Studentenpartys in der ersten Reihe fußfrei zu feiern“, erinnert er sich. Das soll sich bald ändern: Wenige Jahre später, mit 28, fährt Kujal einen Ferrari. Seinen ersten Job startet er als freiberuflicher Mitarbeiter bei einem kleinen Finanzdienstleister. Seine Aufgabe: Lebensversicherungen verkaufen. „Ich hatte die Sau-Masn, dass ich ein seriöses Unternehmen erwischt habe, das hätte damals auch anders kommen können“, erinnert er sich und lacht.
Ein Jahr später wird er Referent bei Verkaufsschulungen – als er in letzter Sekunde für einen Kollegen einspringen muss, der ausgefallen ist. „Es war der berühmte Sprung ins kalte Wasser“, sagt Kujal. 1995 ist er schon an der Firma beteiligt und arbeitet in der Führungsebene. Der rasante Aufstieg geht weiter, als das Unternehmen mit einem großen Finanzdienstleister fusioniert. „Ich wurde Franchisenehmer und Aktionär, habe viele Mitarbeiter:innen aufgebaut und international als Trainer und strategischer Planer gearbeitet“, sagt Kujal. Dann passiert etwas, das Kujal heute als sein „Lebensglück“ bezeichnet: Er lernt den internationalen Verkaufs-, Coaching- und Körperspracheexperten Horst Rückle kennen, der ihn zehn Jahre unter seine Fittiche nimmt und sein gesamtes Wissen mit ihm teilt. Bald steht Kujal an der Spitze von mehreren tausend Mitarbeiter:innen. „Ich war ein Star in dieser Welt und wurde hofiert, man kannte mich“, erinnert er sich. Heute sagt er, dass er damals nach dieser Art der Anerkennung süchtig gewesen sei. 2008 kommt dann die Finanzkrise, das Geschäft läuft schleppender. Kujal beschließt, sich 2010 mit seinem ersten Unternehmen, 1001 Ideas, selbstständig zu machen.
„Habe überlegt, auf welcher Seite ich runterspringe“
„Ich habe den Fehler gemacht, dass ich mich mit meinem Unternehmen viel zu schnell wieder in eine Position bringen wollte, wie ich sie in meiner alten Firma hatte“, sagt Kujal. Trotz guter Ausgangslage bringt er sich finanziell unter Druck, arbeitet rund um die Uhr. Die Meinungen von engen Freund:innen, seines Steuerberaters und des Rechtsanwalts will er irgendwann nicht mehr hören. „Ich dachte stur, dass ich alles auf die Reihe kriege“, erinnert er sich. Doch stattdessen schlittert er nach und nach in ein Burnout. Das ist ihm schon 2006 passiert – damals reichten eine kurze Pause und Antidepressiva, um sich wieder zu erholen. Doch dieses Mal treibt ihn der Stress immer weiter in die Krise. Sein Arzt will ihn in die Psychiatrie einliefern, er wehrt sich bis zuletzt. „Ich konnte irgendwann keine Termine mehr wahrnehmen, habe alle rund um mich belogen“, sagt der Gründer. Selbst das Abholen seiner Tochter aus dem Kindergarten wird zu einer Höchstleistung. Er muss seinem Arzt versprechen, sich einliefern zu lassen, wenn der Zustand noch schlechter wird.
Kurz drauf ist es soweit, Kujal steht vor dem völligen Zusammenbruch, ruft seinen Arzt an, der gerade mit einem anderen Patienten beschäftigt ist und nicht abhebt. „Da bin ich zu einem Klettersteig nahe meines Büros gegangen, habe eine letzte Zigarette geraucht und überlegt, auf welcher Seite ich runterspringe“, sagt er. Im allerletzten Moment ruft ihn sein Arzt zurück, ignoriert Kujal, als er sagt, es sei zu spät, und lässt ihn abholen. Die nächsten Wochen verbringt Kujal zuerst in der Psychiatrie, später macht er wochenlang eine Rehatherapie. Als er sich wieder fit fühlt und versucht, die Überreste seiner damaligen Firma zu retten und mit den Partnern neu aufzusetzen, erleidet er 2014 einen schweren Bandscheibenvorfall und fällt monatelang aus. „Aus heutiger Sicht war das ein Glücksfall – das habe ich scheinbar als Zugabe gebraucht, um mich wirklich vollständig zu erholen“, sagt er. Kujal nimmt von da an die Therapie noch ernster und arbeitet intensiv an seinem Verhältnis zur Arbeit und an der Einstellung zu seinem Leben. Mit seinem Unternehmen kann er den Konkurs durch die lange Abwesenheit nicht mehr abwenden. „Ich habe dann bis 2018 als Verkaufs- und Schulungsleiter in verschiedenen Unternehmen, angestellt, gearbeitet“, sagt er.
Doch bald zieht es ihn wieder in die Selbstständigkeit, er gründet die Talenteschmiede. „Ich arbeite als Coach, Motivator und Trainer mit internationalen Führungskräften, moderiere Konferenzen, baue Vertriebsakademien für Unternehmen auf und schule Verkäufer:innen“, sagt er. Dabei greift er auch auf seine umfangreiche Vertriebsexpertise zurück. Verkaufen sei für ihn einer der schönsten Berufe der Welt. „Nur wenn ich mir zweifelsfrei sicher bin, dass meine Kundschaft mein Produkt kaufen kann, dann biete ich es ihr auch an. Viele Menschen haben Probleme, wichtige Entscheidungen zu treffen – als Verkäufer bin ich auch ein Stück weit Entscheidungshelfer.“ In Gesprächen setzt er beim Gesprächsinhalt und der Körpersprache an. „Nach fünf bis zehn Minuten kann man anhand des Gegenübers als Verkäufer schon erkennen, ob ein Verkaufsabschluss mit dem Gegenüber klappen könnte oder nicht – wenn man bei negativen Signalen früher abbricht, spart man nicht nur die eigene Zeit, sondern auch die des Gegenübers, wirkt nicht aufdringlich und bleibt positiv in Erinnerung“, sagt er.
Mittlerweile konzentriert sich Kujal beruflich zu hundert Prozent auf die Talenteschmiede. „2019 habe ich mir einen Gastrobetrieb gegönnt, den ich aber während der Coronakrise wieder verkauft habe“, sagt er, „der alte Gernot hätte das nicht zusammengebracht.“ Für seine zweite Chance ist er dankbar, mit seiner Burnouterfahrung von damals geht er offen um: „Ich halte seit damals Vorträge zu dem Thema – kostenlos.“
„Heute bin ich in Balance und glücklich“
Früher hätte der Kontostand besser ausgesehen. „Heute bin ich dafür mehr in Balance und glücklicher“, sagt der Gründer. Jeden Abend reflektiert er seinen Tag. „Ich muss aufpassen, dass die Verhaltensmuster, die mir im Weg stehen können, nicht durchbrechen“, sagt er. Kujal ist überzeugt davon, dass jede:r eine Spur, einen Platz im Leben hat, wo er oder sie hingehört. Für sich selbst habe er diese Spur gefunden. Nun will er auch anderen dabei helfen. „Ich habe vor Kurzem endlich mein Buch fertig geschrieben, an dem ich seit acht Jahren arbeite. Es soll mit vielen kleinen Tricks und Tipps aus der Praxis helfen, aufmerksamer mit sich selbst umzugehen.“_