Am Immobilienmarkt hat zuletzt eine gewisse Abkühlung stattgefunden. Wie ist die Stimmung am Markt? Und welche Auswirkungen haben neue EU-Direktiven wie ESG (Environment, Social and Governance), die Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt stellen? Das wollten wir von Bernd Winter, Leiter des Branchencenters Immobilienunternehmen von BDO, wissen.
Sie beraten Immobilienunternehmen. Wie ist die derzeitige Stimmung am Markt?
Bernd WinterEs ist eine erhöhte Vorsicht am Markt bemerkbar; dieses „Betongold-Denken“, das vor ein bis zwei Jahren noch dominiert hat, ist bei Immobilienentwickler:innen nicht mehr so stark präsent. „Anything goes“ gilt nicht mehr. Wir beobachten eine gewisse Abkühlung, die in erster Linie durch vorsichtigere Finanzierungen und weiter massiv gestiegene Baupreise getriggert wurde.
Wie könnte sich das auf den Markt auswirken?
Bernd WinterUnternehmen bekommen durch die dynamische Preisentwicklung keine Festpreise und Generalunternehmer mehr. Meine persönliche Erwartungshaltung ist, dass man deswegen in zwei bis drei Jahren am Markt eine deutliche Lücke sehen wird, was Neu-Fertigstellungen betrifft. Das wird natürlich nicht zu einer Abkühlung der Preissituation von Immobilien führen. Allerdings – der Markt befindet sich gerade in einer Phase der Preisfindung.
Sie haben zuvor von einer Abkühlung am Markt gesprochen – wie wirkt sich diese auf die Unternehmen aus?
Bernd WinterDer Markt wird sicher bis zu einem gewissen Maße, im positiven Sinne, bereinigt werden. Immobilienglücksritter werden es schwerer haben und vom Markt verschwinden, diejenigen, die jahrelang solide gewirtschaftet haben, werden gestärkt aus der Krise hervorgehen. Diese Unternehmen haben auch eine gut gefüllte Kriegskasse und warten darauf, zu einem günstigen Zeitpunkt wieder vermehrt zu investieren. Generell gilt: Viele beobachten die Lage und warten ab, sind aber zuversichtlich, dass sich bald wieder gute Investitionsmöglichkeiten bieten werden. Ein CFO eines Immobilienunternehmens hat mir etwa vor Kurzem gesagt, dass er davon überzeugt ist, dass die Talsohle demnächst durchschritten sein wird – und dass man im Frühjahr in der DACH-Region sehr gute Möglichkeiten vorfinden wird.
Mit der Taxonomie-Verordnung hat die EU ein Klassifizierungssystem für ökologisch nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten geschaffen. Die Aspekte Environment, Social und Governance (ESG) werden in den Mittelpunkt gestellt. Welche Herausforderungen kommen auf die Unternehmen zu?
Bernd WinterDie Nachhaltigkeit ist sicher eines der ganz großen Metathemen derzeit, Diskussionen sind auf allen Ebenen präsent. Gleichzeitig ist das Thema aber auch mit vielen Fragezeichen verbunden. Grundsätzlich ist es so, dass die nationale Umsetzung der entsprechenden EU-Direktiven noch offen ist, allerdings gehen wir davon aus, dass sie weitestgehend in nationales Recht übernommen werden. Die neuen Standards sind sehr exakt, um Greenwashing zu verhindern. Das ganz große Thema ist sicher ESG – für uns gibt es keinen Zweifel, dass die Richtlinien 2025 zum Tragen kommen.
Wie wirken sich die Nachhaltigkeitsrichtlinien aus?
Bernd WinterEine klare Direktive bezüglich der Umsetzung gibt es noch nicht. Ich würde derzeit davon ausgehen, dass die Immobilienbranche ganz stark von ESG geprägt werden wird. Dabei wird es gar nicht so sehr um die Regulatorik gehen, sondern um zwei große Faktoren, die sich ums Geld drehen: Einerseits glaube ich nicht, dass es in Zukunft für sogenannte Brown Buildings – die das Gegenteil von Green Buildings, also nachhaltigen Gebäuden, sind – leicht sein wird, Finanzierungen zu bekommen. Alleine von Banken wird der Druck enorm sein, die Vorgaben der Taxonomie zu erfüllen. Die zweite Komponente ist, dass nicht-nachhaltige Bauprojekte wohl schwer zu verkaufen sein werden. Das Risiko als Entwickler:innen, einen wirtschaftlichen Flop zu landen, ist gegeben. Die Immobilienbewertung bildet ab, was am Markt passiert – und ich bin mir sicher, dass es einen deutlichen Abschlag für Brown Buildings geben wird.
Wie bereiten sich Immobilienunternehmen am besten vor?
Bernd WinterEin ganz genereller Ratschlag ist, das Thema ernst zu nehmen, sich rechtzeitig damit auseinanderzusetzen und die Konsequenzen und potentiellen Auswirkungen zu evaluieren. Idealerweise natürlich unter Einbindung der entsprechenden Expert:innen, die sich schon viel länger mit dem Thema beschäftigen. Wir bieten momentan für Unternehmen etwa Workshops zum Thema ESG an. Generell gilt in der Immobilienbranche, dass durch die Professionalisierung, Internationalisierung und die aktuelle Lage die wirtschaftlichen Fragestellungen immer komplexer werden und isolierte Betrachtungsweisen dem nicht mehr gerecht werden. Wichtig ist eine ganzheitliche, interdisziplinäre Herangehensweise._
Es wird schwierig bis unmöglich werden, Finanzierungen für nicht-nachhaltige Gebäude zu bekommen.
Bernd Winter
Partner & Leiter Branchencenter Immobilienunternehmen, BDO