Drei Zimmer, Küche, Bad. Und das lebenslänglich. Diese Wohnform hat ausgedient. Das moderne Wohnen wird durch die individuellen Lebensplanungen bestimmt. „Wir sind mobiler, bleiben nicht mehr lebenslänglich am gleichen Ort. Menschen wechseln häufiger ihren Job und ziehen dafür auch einmal für einige Jahre ins Ausland. Die Familienverhältnisse verändern sich, Kinder werden später geboren, Ehepaare lassen sich häufiger scheiden, Patchworkfamilien entstehen“, erklärt Christiane Varga, Autorin der Studie „Zukunft des Wohnens“ vom Zukunftsinstitut (www. zukunftsinstitut.de), dass dementsprechend flexibel auch unsere Wohnungen und Häuser werden.
Das Wohnen der Zukunft definiert sich nicht mehr über Zimmeranzahl und Balkonfläche, sondern über einen Wohnraum, der je nach Wunsch und Lebenssituation neu zusammengestellt wird. Daher sollte man beim Planen von der Faustformel 30 Quadratmeter für das Wohnzimmer, 20 Quadratmeter für das Schlafzimmer und zehn Quadratmeter für das Kinderzimmer wegkommen und zur Formel drei Mal 20 Quadratmeter hinkommen, erklärt Dietmar Steiner, Direktor im Architekturzentrum Wien, dass die Räume dann besser umfunktioniert werden können.
Zonen statt Räume
Wohnraum ist teuer, Dinge, die man nicht täglich braucht, werden ausgelagert. „Der Haushalt der Zukunft ist ein Netzwerk“, erklärt Varga, dass sich Menschen mehr in ihrer Umgebung ausbreiten und dadurch ein Netzwerk entsteht. Wenn die ganze Familie anreist, mietet man sich eine Großküche. Man teilt sich mit den Nachbarn eine Waschmaschine und benutzt die Bibliothek nebenan. Leute schließen sich in Co-Housing-Projekten zusammen. Das Teilen und Tauschen haben die Menschen durch soziale Medien gelernt.
Offene Wohnräume können der jeweiligen Lebenslage angepasst werden: Räume verschmelzen miteinander – es entstehen Zonen, passend zu den Grundbedürfnissen: Regeneration, Ernährung, Kommunikation, Hygiene, Logistik, Unterhaltung, Liebe, Arbeit, Sport. Möbel helfen beim Einteilen der verschiedenen Zonen. Gerhard Gerber, Innenarchitekt und Geschäftsführer von Cubuz Wels, dazu: „Die Räume werden heller und höher.“ Bei den neu gebauten Häusern gebe es immer mehr Glasflächen, teilweise werden Wände komplett aus Glas errichtet. Während es früher Raumhöhen von 2,5 Metern bis 2,6 Metern gegeben habe, werden jetzt Räume mit einer Höhe von bis zu 2,9 Metern gebaut. Bereits seit einigen Jahren seien offene Küchen sehr beliebt. Küche und Esszimmer sind in einem Raum, teilweise wird auch noch das Wohnzimmer integriert. Die Küchen werden eher schlicht in weiß und mit wenigen Farben geplant. Holzküchen findet man immer weniger: „Der Verkauf hat sich zum Großteil auf einige wenige Massivholzanbieter reduziert.“ Im Essbereich sei eher die Tischgruppe mit der geraden Sitzbank im Trend – Eckbänke seien derzeit weniger gefragt. Im Wohnzimmer reduziere man sich beim Einrichten auf das Minimum. „Früher hatte man Stauräume bis zur Decke. Heute will man nur die technischen Geräte möglichst kabellos unterbringen“, weiß Gerber. Die Fernseher werden immer größer. Der Sitzbereich im Wohnzimmer wird sehr loungig und großzügig eingerichtet. Als mögliche Raumteiler für den Koch- und Essbereich nennt Gerber einen halbhohen Verbau, wo man den Fernseher integriert oder eine offene Bücherwand, die beiderseitig bedient werden kann.
Einfach statt komplex
Auch Johann Scheuringer, Eigentümer und Geschäftsführer für Produktentwicklung und Marketing bei Josko, spricht von einem „unüberschaubaren Trend“ zum hellen, offenen Wohnen mit großen Glasflächen, wo aber nach einem Sommer wie im heurigen Jahr das Thema der Überhitzung zunehmend an Bedeutung gewinne. Gleichzeitig gebe es aber auch eine kleinteilige Architektur und manche Häuslbauer wollen keine großen Öffnungen: „Beides wird nebeneinander existieren.“ Künftig sei es wichtig, Kunden abgestimmte und individualisierte Produkte liefern zu können. Josko hat im August Holzböden ins Programm aufgenommen, die farblich zu den Fenstern und
Türen abgestimmt sind. „Die Menschen müssen beim Hausbauen mit so vielen verschiedenen Stellen sprechen – wir vereinfachen das“, sagt Scheuringer.
Einfachheit ist auch beim Stichwort Smart Living der Schlüssel zum Erfolg, so das Ergebnis der Trendstudie vom Zukunftsinstitut. „Die Leute müssen einen komplexen Lebensalltag bewältigen und wollen sich nicht auch noch daheim mit komplizierter Technik auseinandersetzen“, so Varga. Ein weiterer Punkt im Bereich der Technik ist der Datenschutz: „Wenn alles vernetzt ist, dann wissen andere, was ich wann esse und wie mein Kühlschrank bestückt ist.“ Die Technik werde sich eher als Hilfsmittel, speziell für ältere Menschen, durchsetzen, nennt Varga einen Anwendungsbereich: „Man kann Sensoren in der Wohnung einbauen und diese melden dann, wenn jemand zu Sturz kommt.“ Dass beim Thema der Konnektivität „Wunsch und Wirklichkeit ein wenig auseinanderdriften“ und man „einen gesunden Weg“ erst finden muss, erlebt auch Scheuringer. Weiters sei es auch ein Kostenthema: „Es ist kein Geheimnis, dass Wohnen immer teurer
wird. Ein Großteil der Teuerungen ist auf Seiten der Haustechnik passiert.“ Steigende Baukosten beobachtet auch Konsumentenschützer Gerhard Augustin. Als Faustregel gilt, dass die Eigenmitteln zwischen 20 und 40 Prozent der Gesamtkosten betragen sollten. Beim Kredit empfiehlt Augustin, dass die Rückzahlung nicht mehr als ein Drittel vom gesamten Haushaltseinkommen inklusive aller Beihilfen ausmachen soll. Außerdem ist die beste Pensionsvorsorge, schuldenfrei in die Pension zu gehen.
Holz im Wohnbau
Weitere Stichworte in der Studie über die Zukunft des Wohnens, das die Experten in der Praxis bereits beobachten, sind Gesundheit und Nachhaltigkeit. „Die Energiefrage wird immer wichtiger“, sagt Steiner vom Architekturzentrum. Alternative Energieformen wie Photovoltaik, Wärmepumpen, Hackschnitzel oder Pellets hätten sich mittlerweile durchgesetzt. Weiters seien Holzhäuser ganz stark im Vormarsch. „Früher gab es das Vorurteil, dass die Schalldämmung nicht so gut ist und die Leute hatten Angst vor der Brandgefahr. Das hat sich gelegt – man weiß jetzt, dass ein Holzhaus auch im Brandfall stabiler wie jedes andere ist“, sagt Steiner. Holzbauten würden laut Varga nicht nur am Land boomen, sondern auch in großen Städten. In Wien wird gerade ein riesiges Gebäude in Holzbauweise errichtet.
"Früher hatte man im Wohnzimmer Stauräume bis zur Decke. Heute will man nur die technischen Geräte möglichst kabellos unterbringen"
Gerhard GerberInnenarchitekt und Geschäftsführer von Cubuz Wels
Der Geschäftsführer von Cubuz erlebt den Gesundheitstrend sowohl im Schlafbereich als auch bei der Auswahl von Stühlen im Arbeitsbereich und von Garnituren für das Wohnzimmer. „Boxspringbetten werden immer mehr zum Thema“, so Gerber. Sofas werden hauptsächlich aus Leder bestellt, da es am längsten hält und am pflegleichtesten ist. Scheuringer beschreibt einen starken Trend weg von Lackoberflächen hin zu Öloberflächen. Im Fensterbereich sei nach wie vor mit 70 Prozent Kunststoff dominierend. Das lässt sich mit dem günstigeren Rahmenmaterial und der weniger aufwendigen Verarbeitung erklären, weiß die Zukunftsforscherin. Das Wohnen ist aber auch ein Bereich, wo Veränderungen eine Zeit lang dauern, so die Zukunftsforscherin weiter: „Wohnhäuser wurden für die Ewigkeit gebaut, dementsprechend langsam setzen sich manche Trends durch.“
NEO-BIEDERMEIERTUM
Im Biedermeier des 19. Jahrhunderts zog sich das Bürgertum in die scheinbare Sicherheit des Heimes zurück, um den politischen Restriktionen und gesellschaftlichen Umwälzungen zu entgehen. Wenn man heute vom Neo-Biedermeiertum spricht, meint man den aktuellen Rückzug ins eigene Heim. Gründe dafür seien die Angst vor Globalisierung, Digitalisierung und der Verlust der Privatsphäre. „Je flexibler alles wird, desto mehr sehnt sich der Einzelne auch wieder nach einem Rückzugsort“, so Zukunftsforscherin Varga.
Leute beschäftigen sich daher mehr mit dem Einrichten und Dekorieren ihrer Wohnungen. Diese Entwicklung sieht auch Wolfgang Richter vom Standortberater Regioplan: „Es sind Spezialisten auf den Markt gekommen, etwa im Bereich Designmöbel, Wohnaccessoires und Dekoration, die expandieren, weil sie mit ihren Produkten dem Zeitgeist entsprechen.“ Er zählt als Beispiele die Firmen Kare, Interio, Depot und Butlers auf. Als zweite Tendenz im österreichischen Möbelhandel nennt Richter, dass die großen Möbelhäuser immer größer werden: „Der Filialisierungsgrad steigt weiter.“
Der Möbelhandel in Österreich ist insgesamt keine Boom-Branche. Die Umsatzzuwächse liegen mit 0,8 Prozent ein bisschen unter der Inflationsrate von 1,5 Prozent. Der Markt ist sehr konzentriert, die drei Großen (Lutz-Gruppe, Kika/Leiner und Ikea) haben in Österreich einen Marktanteil von zwei Drittel des Gesamtmarktes.