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Mehr als nur ein Korn

Seit Jahrhunderten gehört Getreide zu den wichtigsten Rohstoffen in Oberösterreich. Nicht nur der Anbau, sondern auch die Sorten haben sich mit der Zeit stark gewandelt. Weiterverarbeiter des Korns wie die Brau Union oder Backaldrin setzen auf Regionalität und höchste Qualität – das verlangt auch der Konsument. Von der Züchtung in Labors über das Gedeihen am Feld bis hin zur Weiterverarbeitung: die Stationen eines Getreidekorns.

Ein vom Wind gewelltes Weizenfeld, golden leuchtende Ähren: Wohl kaum ein anderes Bild steht so sehr für Regionalität und Heimat. Christian Nöbauer geht einige Schritte zwischen den Halmen, inspiziert die Pflanzen, bei denen vor wenigen Tagen die Ähren ausgetrieben haben. Der 24-Jährige bewirtschaftet den Hof gemeinsam mit seinen Eltern, sie blicken auf eine lange Familientradition zurück. „Schon mein Urgroßvater war Landwirt, wir sind ein traditioneller Familienbetrieb und unterstützen uns gegenseitig“, sagt er. Notfalls helfen auch Freunde aus, wenn es eilig wird. Auf insgesamt 18 Hektar Land produziert er Braugerste, insgesamt erwirtschaftet er so etwa 100 Tonnen Braugerste pro Jahr, die zermahlen und für die Bierproduktion der Brau Union weiterverwendet werden. Fünf Millionen Tonnen Getreide und Mais werden jährlich österreichweit produziert, 200.000 Tonnen davon werden wie bei Nöbauer für die Bierproduktion verwendet. Für den Landwirt beginnen die Vorbereitungen für eine erfolgreiche Ernte im September, wenn ausgesät wird.

Getreide-Eigenschaften werden optimiert

Der Grundstein für eine erfolgreiche Ernte und ein optimales Endprodukt wird aber schon lange vor der Aussaat gelegt. Bei der Braugerste etwa kommt es auf einen niedrigeren Proteingehalt an. „So ist die Malz- und Braueignung höher, da merkt man einen deutlichen Unterschied“, erklärt Nöbauer. Um die individuellen Eigenschaften der verschiedenen Sorten kümmern sich Saatgut-Züchter. Auch Nöbauer hat einen Exklusiv-Vertrag. Er bekommt die Samen für die gewünschte Sorte und verpflichtet sich damit, die gesamte Ernte exklusiv an den Züchter zu liefern.

Die Züchtung bei der Saatbau beginnt mit der Wahl der Kreuzungseltern, also der bisher bestehenden Sorten. „Der Züchter hat ein bestimmtes Sortenziel vor Augen und versucht mit der gezielten Kreuzung zweier Sorten dieses zu erreichen. In den nachfolgenden Selektionsjahren wird gezielt in diese Richtung selektiert“, sagt Johanna Fellnhofer von der Saatbau Linz. Das passiert in erster Linie in Feldversuchen, bei denen die Eigenschaften der Pflanzen getestet werden. „Molekulare Selektionsmethoden können dabei eine große Rolle spielen“, so Fellnhofer. Vier bis sieben Jahre dauert es, bis die neu entwickelten Zuchtstämme in europäischen Versuchsnetzwerken auf ihre Eigenschaften getestet werden und ihre Verwendbarkeit geprüft wird. „Die besten dieser Sorten werden danach in Zulassungsprüfungen von national agierenden Ämtern gestellt“, sagt Fellnhofer. Erst nach dieser erfolgreich abgeschlossenen Sortenprüfung, welche zwei bis drei Jahre in Anspruch nimmt, darf der Züchter die Sorte in den Handel bringen. Jährlich kommen 40 bis 50 neue Sorten in Europa auf den Markt.

Erfolg: 50 Prozent Wetter

Zurück aufs Feld von Nöbauer. Seine Sorte heißt „Malwinta“ und fällt unter die Kategorie Winterbraugerste. Nach dem Aussähen wird das Feld mit einem Herbizid besprüht, um mögliche Schädlinge zu bekämpfen. Danach heißt es erst einmal abwarten. „Es gibt eine Faustregel: 25 Prozent einer guten Ernte macht der Betriebsführer aus, 25 Prozent die Technik und 50 Prozent die Natur“, sagt der Landwirt. Winterbraugerste ist nicht sehr kälteanfällig, fällt die Temperatur über längere Zeit unter 20 Grad minus, wird es jedoch kritisch für die Ernte. Im Normalfall übersteht die Saat den Winter aber problemlos und beginnt im Frühling zu wachsen – dann wird auch zwei Mal gedüngt. „Dazu kommt eine Fungizidbehandlung, damit das Getreide gesund bleibt“, sagt Nöbauer. Bei einem milden Winter wie 2016 werden die Pflanzen mit Wachstumsregulatoren behandelt, denn zu lange Halme legen sich nieder, was für die Ernte schlecht ist. Geerntet wird schließlich Anfang Juli. Selbst bei optimalem Verlauf kann die Ernte noch kurz davor gefährdet werden: Etwa bei langem Regen oder Hagel. Das fertige Korn wird schließlich mit der Mähmaschine geerntet, von den restlichen Pflanzenteilen getrennt und danach gelagert.

„Bis das Korn zu Malz weiterverarbeitet werden kann, das wir für den Brauprozess brauchen, muss es eine gewisse Keimruhe einhalten“, sagt Harald Raidl, Braumeister der Brauerei Zipf. Das geerntete Getreide lagert vorerst in Silos. Bis die neue Ernte dann in weiterverarbeiteter Form in der Brauerei ankommt, dauert es etliche Monate. Wenn es so weit ist, wird das zu Malz verarbeitete Getreide zuerst auf die Qualität überprüft und mit dem Malz aus dem Vorjahr verglichen. „Die Braugerste wird in A-, B- und C-Qualität kategorisiert, mit unseren Mälzern haben wir unsere Anforderungen genau vereinbart“, sagt Raidl.

Eine Abteilung für die Qualitätssicherung mit drei Mitarbeitern kontrolliert in der Brauerei Zipf verschiedene Parameter wie Eiweiß- und Stärkegehalt. Proben werden auch nach Linz weitergeschickt, wo die Brau Union Österreich ein speziell ausgestattetes Zentrallabor betreibt, das die Spezialanalytik übernimmt – nicht nur für die Brauerei Zipf, sondern auch für die anderen Brauereien des Konzerns. „Erst wenn wir unsere Schlüsse über die Qualität gezogen haben und die Tests abgeschlossen sind, wird das neue Malz Schritt für Schritt verwendet, bis das alte gänzlich aufgebraucht ist“, sagt Raidl.

Für Nöbauer beginnt die Qualitätskontrolle aber schon am Feld bei der Ernte. „Dort geht es vorwiegend um den Feuchtigkeitsgehalt“, sagt Raidl. Interessant für Brauereien ist die "Vollbauchigkeit" der Frucht, also wie viel Stärke der Mehlkörper enthält.

Enger Kontakt mit Lieferanten

Einer der größten Weiterverwender und Verwerter von Getreide in Oberösterreich ist Backaldrin, auch wenn die Braugerste von Nöbauer nicht beim Backgrundstoffhersteller landet, dafür unterschiedlichste andere Getreidesorten von Bauern aus ganz Österreich. „Mehl ist der Hauptrohstoff unserer Produkte, dementsprechend wichtig ist auch die Qualität des Ausgangsstoffes“, sagt Andreas Vollmar, der als Mitglied der Backaldrin-Geschäftsleitung auch für die Produktentwicklung zuständig ist. Das spezielle Know-how von Backaldrin liege nämlich nicht etwa in den Verfahrensschritten, die sich nicht maßgeblich von der Konkurrenz unterscheiden. „Unsere Stärke ist das spezielle Rohstoff-Know-how“, sagt Vollmar, „also wie man Rohstoffe unterschiedlicher Qualität so zusammensetzt, um ein optimales Gebäck zu erreichen“. Elementarer Bestandteil der Arbeit von Backaldrin ist damit die Qualitätssicherung. „Wir stehen in engem Kontakt mit unseren Lieferanten, die Aufgabe unserer Mitarbeiter ist es, die Qualität der Rohstoffe ständig zu überprüfen.“ Die Lieferanten wechselt Backaldrin in der Regel nie – falls man mit der Qualität zufrieden ist. „Wir kooperieren mit unseren Lieferanten oft schon 30 oder 40 Jahre und länger“, sagt Vollmar, „die meisten von ihnen kommen aus dem näheren Umkreis von hier.“ Sie hätten sich genau wie Backaldrin immer weiterentwickelt und auch den immer höher werdenden Maßstäben angepasst.

Denn Regionalität war in den 80er-Jahren noch ein Randthema. „Als der Kornspitz 1984 auf den Markt gekommen ist, haben sich die meisten dafür noch nicht sehr interessiert, dann ist es langsam aber sicher zur ersten Welle von gesunden Produkten gekommen“, meint Vollmar. Damals setzte auch Backaldrin auf diesen Trend und entwickelte eine Reihe von Brot- und Gebäcksorten. Wirklich durchgesetzt hat sich letztlich der heute berühmte Kornspitz – er schmeckte den Konsumenten von Anfang an. Der Kornspitz gilt als ein Aushängeschild Backaldrins.

Warum ist die Regionalität bei Getreideprodukten eigentlich so wichtig – sind österreichische Lieferanten so viel besser als die Konkurrenz im Ausland? „Für uns hat es schon allein aus logistischen Gründen keinen Sinn, Mehl aus weiter entfernten Mühlen zu kaufen“, erklärt Vollmar, „außerdem gehört das österreichische Mehl zum höchstwertigen in ganz Europa.“ Grund sei auch ein niedrigerer Ertrag pro Hektar als etwa in Deutschland, wo die Qualität zwar ebenfalls ähnlich hoch sei, der Preis allerdings geringer.

Strenge Qualitätsprüfungen

Bei der Ernte muss das Getreide sofort einer Qualitätsprüfung unterzogen und in verschiedene Klassen kategorisiert werden. „Es wird dann dementsprechend sortiert, damit es zu gleichmäßiger Qualität vermahlen werden kann“, erklärt Vollmar. Es wird also nichts dem Zufall überlassen.

Backaldrin verarbeitet hauptsächlich Roggen, Dinkel- und Purpurweizen, aber auch sogenannte Urgetreidesorten wie Einkorn und Emmer, Quinoa oder Hirse. „Hauptgetreide ist nach wie vor normaler Weizen“, sagt Vollmar. Insgesamt werden mehr als 400 verschiedene Rohstoffe verarbeitet. „Für jeden einzelnen davon gibt es eine eigene Spezifizierung, jeder Rohstoff wird einer Nummer zugeordnet, und dann unterschiedlich behandelt“, erklärt Vollmar.

Zu diesen 400 Rohstoffen kommen auch immer wieder gänzlich neue Sorten. „Wir stehen in engem Kontakt mit unserem Saatgut-Züchter, sobald die neue interessante Produkte anbieten, werden sie auch getestet“, so Vollmar. Derzeit wäre der Gesundheitstrend weiterhin sehr präsent: „Die Menschen machen sich heute viel mehr Gedanken darüber, wie sie sich ernähren wollen. Brot ist seit jeher eine gute Basis für eine vernünftige Ernährung“.

Auch die Brau Union Österreich setzt auf heimische Rohstoffe. „80 bis 85 Prozent der in Zipf verwendeten Rohstoffe kommen aus Österreich, der Rest aus dem nahen Ausland“, sagt Raidl. Warum wird der Rest importiert? „Dabei geht es um die Verfügbarkeit“, erklärt Raidl, "aufgrund der unterschiedlichen klimatischen Bedingungen und der Wetterlage kann es große regionale Unterschiede bei der Ernte geben." So gibt es etwa schlechte Erntejahre in Oberösterreich, in denen in Deutschland oder Tschechien die Bedingungen optimal waren. „Brauereien, die zu 100 Prozent auf heimische Qualität setzen, können in solchen Jahren einen Nachteil haben, weil ihnen dann nicht die optimale Qualität zur Verfügung steht.“

Für Nöbauer sieht heuer alles nach einem guten Erntejahr aus. Mittlerweile hat er seinen täglichen Rundgang beendet, er ist mit der Entwicklung der Pflanzen zufrieden. Wenn die Wetterbedingungen weiter so bleiben, wird es eine erfolgreiche Ernte. Welchen Preis er dafür bekommen wird, weiß er aber noch nicht genau. Österreichs Landwirte stöhnen über einen Preisverfall, auch Getreidebauern sind davon betroffen – wenngleich es Nöbauer als Vertragslandwirt nicht so stark betrifft. „Trotzdem sind die massiven Preisschwankungen auch für uns spürbar“, sagt er, „für eine Tonne Braugerste bekommt man in guten Jahren deutlich mehr als 200 Euro, in schlechten nur 120“. Immerhin kann er sich gegen die Preisschwankungen mit dem aktuellen Börsenkurs für Getreide absichern. „Allerdings muss ich die Menge, für die ich mich absichere, auch abliefern“, erzählt er, „deswegen sollte man maximal die Hälfte des erwarteten Ertrags absichern.“ Denn neben den Preisschwankungen gehören auch Wetterextreme zu den Risiken von Landwirten. Trotzdem würde Nöbauer seinen Job nie tauschen wollen. „Schon in der vierten Klasse Volksschule war mir klar, dass ich Landwirt werden will. Mit acht Jahren bin ich begeistert mit dem Opa am Traktor mitgefahren“, erzählt er. Das absolute Highlight an seinem Beruf? Nöbauer muss nicht lange überlegen. „Wenn die Ernte erfolgreich eingefahren und im Trockenen ist, und ich daheim das traditionelle Erntebier trinke“, sagt er. Welches dann möglicherweise auch mit seiner Ernte des Vorjahres gebraut wurde._

Braumeister durch Zufall

16.000 bis 17.000 Tonnen Malz verarbeitet die Brau Union jährlich alleine in der Brauerei Zipf, diese Menge wird für etwa eine Million Hektoliter Bier benötigt, dazu kommen 60.000 bis 70.000 Kilogramm Naturhopfen. Man verarbeitet verschiedene Sorten Braugerste, allerdings sind alle Sorten heimisch. Insgesamt kommen etwa 80 Prozent der Rohstoffe aus Östereich, der Rest aus dem nahen Ausland wie Tschechien oder Deutschland. „Die Qualität der Rohstoffe hat eine essentielle Bedeutung für uns, nur dann kann auch etwas Gutes dabei herauskommen“, sagt Harald Raidl, der seit Anfang des Jahres neuer Braumeister in Zipf ist.

Aber nicht nur die Qualität ist wichtig – besonders bei der Braugerste spielt der Eiweißgehalt eine große Rolle. „Der Eiweißgehalt sollte zwischen zehn und zwölf Prozent betragen“, erklärt Raidl. So ist die optimale Balance zwischen genügend Stärke für die Alkohol-Produktion des Bieres und genügend Eiweiß für die Schaumstabilität gewährleistet. „Wichtig für uns ist auch eine gute Spelzenqualität, die brauchen wir am Ende des Brauprozesses beim Läutern“, so der Braumeister. Die Spelzen sind ein Teil der Ähre und schützen die Frucht. Um das Bewusstsein für die Wichtigkeit der Rohstoffe zu schärfen, wurde am Gelände der Brauerei ein eigener Hopfengarten angelegt, den die Besucher besichtigen können.

Die heimischen Getreidesorten verändern sich im Laufe der Zeit: Sie passen sich an die entsprechenden Witterungsbedingungen an. „Wir als Brauer stehen in engem Kontakt mit dem Mälzer und dem Lieferanten und sprechen immer wieder darüber, welche Typen und Ausprägungen der Sorten wir haben wollen“, sagt Raidl. In diesen Kooperationen (wie etwa mit der Saatbau) werde gemeinsam an neuen Sorten und Mischungen gearbeitet.

Eine der wichtigsten Aufgaben Raidls als Braumeister ist die Qualitätskontrolle. Raidl ist seit 18 Jahren im Unternehmen tätig, in der Bierbranche landete er vor mehr als 20 Jahren – mehr oder weniger zufällig. „Ich habe Lebensmittel- und Biotechnologie studiert und habe statt einem Studienkollegen ein Praktikum in der Gösser-Brauerei absolviert, weil der krank geworden ist“, erinnert er sich. „Bis zum damaligen Zeitpunkt wusste ich nicht, was ich mit meinem Studium einmal anfangen will, ab dann war es klar für mich.“ Langweilig war ihm in all den Jahren noch nie: „Die Brücke zwischen Technologie und Tradition zu schlagen, gleichzeitig viel Kontakt zu Menschen zu haben und ein sympathisches Produkt zu produzieren – das ist immer wieder schön für mich.“

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