Fakt ist: Niemand kennt die Zukunft. Fakt ist aber auch: Neue Technologien sind nicht wie das Wetter, das über uns hereinbricht und man so nehmen muss wie es ist. Wir können uns vorbereiten. „Jetzt ist die Phase, in der wir etwas tun können“, ist Barbara Stöttinger, Professorin und Leiterin der WU Executive Academy, überzeugt. „Einfach abwarten, was das Schicksal so bringt, das geht nicht gut – weder für Unternehmen noch für Arbeitnehmer und auch nicht für die Politik. Wir haben sehr wohl einen Gestaltungsspielraum – und den müssen wir jetzt nutzen.“ Wir würden in einer sehr turbulenten Zeit leben, die durch die vielen technologischen Veränderungen viel positives Potential mit sich bringt. Doch wie jede Veränderung berge sie auch gewisse Gefahren.
Beim Ausmaß dieser Gefahren ist die Meinung der Gesellschaft gespalten. Auf der einen Seite die Technologieoptimisten, die denken, übermorgen fahren sämtliche Autos autonom und die künstliche Intelligenz wird all unsere Probleme lösen. Auf der anderen Seite die Technologiepessimisten, die der Meinung sind, Roboter würden den Menschen die Arbeit wegnehmen. Joachim Haindl-Grutsch, Geschäftsführer der Industriellenvereinigung Oberösterreich, sieht sich am Mittelweg dazwischen: „Aus meiner Sicht wird die Veränderung evolutionär und nicht revolutionär sein, obwohl es natürlich einzelne Technologierevolutionen gibt.“ Bestätigt fühlt er sich in seiner Annahme beim Blick auf unseren Tagesablauf: Wir schlafen in einem Bett, das in etwa so aussieht wie vor 100 Jahren, wenn auch mit besseren Materialien. Wir fahren mit dem Auto in die Arbeit, das – in den meisten Fällen – einen Motor hat, der etwa 1905 erfunden wurde – maßgeblich weiterentwickelt, aber es ist ein Verbrennungsmotor. Wir sitzen in Büros oder arbeiten in einer Fabrik, in der viel mehr Maschinen als früher stehen und viel weniger körperlich beschwerliche Arbeit verrichtet wird. „Aber der Mensch hat mehr Arbeit denn je“, so Haindl-Grutsch. Am Abend gehen wir gerne auf ein Bier – auch ein Hunderte Jahre altes Getränk – und sitzen zusammen im Gastgarten. Wir haben alle Smartphones, die uns weltweit vernetzen. „Unser Leben ist moderner, produktiver und schöner, vielleicht oft auch stressiger, aber dafür ist es gesünder, sauberer und körperlich weniger anspruchsvoll als früher.“
Und wie geht das nun weiter? Welche Jobs wird es in zwölf Jahren nicht mehr geben, welche neuen werden hinzukommen? Wie lassen sich Karrieren dann noch planen? Welche Aufgaben übernehmen die Maschinen? Wird Europa seinen Wohlstand erhalten oder werden wir von der einstigen Überholspur auf den Pannenstreifen verdrängt? Um Antworten darauf zu finden, haben wir uns mit Barbara Stöttinger und Joachim Haindl-Grutsch unterhalten und sind nach Hannover zur Industriemesse gereist, zum internationalen Schauplatz der Digitalen Transformation. Nein, wir haben nicht die eine Antwort auf die Frage „Wie arbeiten wir 2030?“ gefunden. Sehr wohl aber einige Chancen, die man jetzt nutzen kann – jedenfalls dann, wenn man auch die Risiken nicht außer Acht lässt.
Chance #1: Mein Freund, der Roboter.
Die Fabrik im Jahr 2030 stellt sich IV-OÖ-Geschäftsführer Joachim Haindl-Grutsch in etwa so vor: „Dort stehen noch mehr Maschinen als heute und die werden noch viel moderner zu bedienen sein. Ich sehe Fertigungsinseln mit Robotern, die vernetzt zusammenarbeiten.“ Künstliche Intelligenz könne viele Vorteile in der Industrie bringen: Qualitätssicherung, vorausschauende Wartung, kürzere Markteinführungszeiten, reduzierte F&E-Kosten durch Maschine-Learning, verbesserte Lagerhaltung, ein besseres After-Sales-Service und Unterstützung in der IT-Administration. „Es gibt viele tolle Einsatzmöglichkeiten für Künstliche Intelligenz – sie spart den Unternehmen Kosten sowie Zeit und verbessert die Qualität. Deswegen fürchten wir uns nicht davor. Das Terminator-Szenario ist schön für einen Hollywoodfilm, aber daran glauben wir nicht. Künstliche Intelligenz erleichtert und verbessert das unternehmerische Arbeiten.“ Die Welt werde in zwölf Jahren noch stärker computergetrieben sein, sodass direkt im Produktionsprozess weniger Menschen arbeiten werden, aber, so Haindl-Grutsch weiter: „Neue Technologien produzieren mehr Jobs als wegfallen, das war immer so und wird trotz Künstlicher Intelligenz so bleiben. Weil dem Menschen, wenn er ein Bedürfnis befriedigt hat, sofort eine neue Idee einfällt, mit der er sein Leben verschönern möchte.“
Barbara Stöttinger, Professorin an der WU Wien, beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Künstliche Intelligenz. Und auch sie ist überzeugt davon, dass der Roboter nicht der Feind, sondern der Freund des Menschen ist. Oder zumindest sein kann. „Wir sollten schauen, wo er uns das Leben erleichtert und welche Tätigkeiten er übernehmen kann, die wir nie mit dieser Präzision ausführen könnten.“ Stattdessen sollten wir uns auf jene Bereiche konzentrieren, die wir Menschen gut können: Interaktion, Emotion, Kreativität und das Finden von neuen Mustern. Am Beispiel ihrer Aufgaben als Lehrende: „Wenn man bedenkt, was Maschine Learning, Artificial Intelligence und Big Data jetzt schon ermöglichen, ist es durchaus denkbar, dass es Roboter geben wird, die mit Künstlicher Intelligenz Prüfungen auswerten, nicht nur Multiple Choice, sondern auch Texte. Und das möglicherweise viel besser als der Mensch.“ Stöttinger würde sich darüber freuen, weil das einen großen Teil ihrer Arbeit abnehmen würde und sie sich auf das konzentrieren könnte, was Roboter nicht können. „Zum Beispiel aus der Interaktion mit Studierenden, aus dem Diskurs im Hörsaal, neue kreative Ideen generieren.“ Im Unternehmen sei das die Interaktion zwischen Führungskraft und Mitarbeitern, im Außendienst das Verkaufsgespräch. „So ein Gespräch wird nicht zwischen zwei Robotern stattfinden. Das basiert ja vor allem auf Vertrauen, auf emotionaler Verbindung und kreativen Lösungen, die man seinem Kunden bieten kann.“ Der Sales-Bereich werde nicht von Robotern übernommen werden können, so Stöttinger. Andere Bereiche jedoch schon. Die Sorge der Menschen, ihre Aufgaben könnten bald überflüssig sein, ist also durchaus berechtigt. „Diese Sorgen hat es immer gegeben und man muss sie ernst nehmen. Stellen Sie sich vor, Sie waren Anfang des 20. Jahrhunderts Landarbeiter und plötzlich wurden der Verbrennungsmotor und der Traktor erfunden. Oder Sie waren Pferdekutscher in New York und plötzlich kamen die Eisenbahn und die ersten Autos daher. Da hätten Sie sich auch Sorgen gemacht, wie es weitergeht“, sagt Haindl-Grutsch. Was gegen die Sorgen hilft: „Aufklärung und Wissen. Wenn die Menschen einen Einblick in diese Blackbox des technologischen Fortschritts und der wirtschaftlichen Entwicklung bekommen, dann sinkt die Angst und steigt die Zuversicht.“
Chance #2: Entwicklungshilfe.
Während in den Fertigungshallen in Zukunft wohl weniger Menschen am Werk sein werden, könnten es in den Entwicklungsabteilungen mehr sein. „Die Innovationszyklen werden kürzer, die Dynamik nimmt zu“, sagt Haindl-Grutsch. Soll heißen: Wir bekommen noch schneller neue Produkte. „In interdisziplinären Teams arbeiten mehr Leute an den Innovationen. Da arbeitet zum Beispiel der klassische Maschinenbauer mit dem Roboterpsychologen – also jenem, der die soziale Kompetenz mit in die Mensch-Maschine-Kollaboration einbringt“, sagt der IV-OÖ-Geschäftsführer. Handwerkliche Fähigkeiten würden auch in Zukunft extrem gefragt sein, ist er überzeugt. „Weil wir alle in einer materiellen Welt leben, die sich nicht virtualisieren wird. Sie wird ergänzt durch Virtual Reality – junge Leute setzen sich dann nach der Arbeit die Brille auf und entschwinden in ihre virtuelle Welt – deswegen sitzen sie aber trotzdem auf einem Sofa oder fahren mit einem Auto.“ Es werde daher genügend Produkte geben, die der Mensch in Zukunft haben will – und um diese zu produzieren, dazu brauche es Handwerker und Facharbeiter. „Wenn die gut sind, können sie richtig Karriere machen.“ Das gesamte handwerkliche Spektrum werde weiterhin benötigt, aber mit anderen Anforderungen. „Die Kassiererin wird nicht mehr nur an der Kassa sitzen, sondern andere Aufgaben übernehmen. Zum Beispiel beratende Tätigkeiten – denn wer kennt sich bei 100 verschiedenen Joghurts überhaupt noch aus? Es wird darum gehen, den Einkaufsprozess zu beschleunigen oder mit mehr Erlebnis aufzuladen.“
Chance #3: Die Tür zur Welt ist offen.
Früher brauchte es eine riesige Vertriebsmannschaft, um seine Produkte weltweit zu vermarkten. „Neue Technologien ermöglichen es, dass selbst ein Kleinstunternehmen mit fünf Leuten weltweit Geschäfte machen kann – man kann online alles vertreiben“, sagt Haindl-Grutsch. Die Wirtschaft werde 2030 noch viel stärker vernetzt sein als heute. Und damit internationaler. „Und die Logistik hoffentlich einfacher, weil sowohl der Transport von Menschen als auch von Gütern heutzutage alles andere als perfekt ist. Es werden immer noch LKWs leer zurückgeschickt, der Mensch fliegt wegen eines Gesprächs nach Brüssel – hier sparsamer, energieeffizienter, sicherer und schneller zu werden, darin steckt die Zukunft der Mobilität.“
Chance #4: Auf zu neuen Ufern.
Sie stenografierte, ließ sich Briefe diktieren und sortierte reihenweise Akten – die Sekretärin von damals. Als Joachim Haindl-Grutsch 2006 zur IV gekommen ist, gab es dort vier von diesen klassischen Sekretärinnen. Heute gibt es keine mehr. „Natürlich hab ich eine Assistentin, die meine Termine koordiniert, so war das früher auch, aber hauptsächlich arbeitet sie selbstständig – sie kümmert sich um die Organisation von Veranstaltungen, managt Projekte und erledigt Aufgaben, die kreatives Denken erfordern“, erzählt er. Die Arbeiten in einem Büro haben sich in den vergangenen zehn Jahren gewaltig verändert. Der Prozess geht weiter, die Anforderungen an Büromitarbeiter ändern sich noch stärker, weil selbstständiges sowie kreatives Denken und empathische Kompetenzen mehr gefordert werden. Gleichzeitig wird Künstliche Intelligenz Standard-E-Mails beantworten, Junk-Mails löschen und Memos durch Spracherkennung in Worte fassen, ohne sie tippen zu müssen. Schneller, automatisierter und angenehmer soll es also werden. „Mein Credo ist ja, dass der Mensch im 21. Jahrhundert selbst in hochentwickelten Ländern wie Österreich immer noch viel zu stark mit Routinetätigkeiten beschäftigt ist – und die halten ihn davon ab, hochwertige und wichtigere Dinge zu machen. Sowohl in der Dienstleistung als auch in der Produktion gibt es stets mehr Aufgaben, für die Menschen immer notwendig sein werden“, so Haindl-Grutsch. Er sieht vor allem viel Potential für neue Dienstleistungen. Wer hätte gedacht, dass es im Jahr 2018 Berufe wie Blogger oder Youtuber gibt und man dabei viel Geld verdienen kann?
Während auf der einen Seite also Berufe wegfallen werden, kommen neue hinzu. „Das war immer schon so“, sagt Barbara Stöttinger. „Technologische Innovationen führen dazu, dass manche Tätigkeiten nicht mehr gebraucht werden. Aber das bedeutet auch, dass viele Tätigkeiten, die nicht immer das Spannendste sind, aufgewertet werden. Wenn ein LKW-Fahrer dann etwa nicht mehr das Fahrzeug steuert, kann er bei seinen Auslieferungsaktivitäten andere Aufgaben übernehmen, die mehr Spaß machen.“ Ein Spaß, der meist höhere Qualifikation erfordert. Das sieht Stöttinger optimistisch: „Natürlich tun sich jüngere Generationen leichter damit, weil die neuen Technologien schon viel mehr Bestandteil ihres Lebens sind. Aber sowohl die Unternehmen als auch die Arbeitnehmer haben jetzt Gestaltungsspielraum. Firmen sind in ihren Weiterbildungsaktivitäten gefordert, die sie ihren Mitarbeitern zur Verfügung stellen, und auch Mitarbeiter sind gefordert, diese Angebote aktiv wahrzunehmen – sich umzuschauen und ihren Berufsweg für sich selbst in die Hand zu nehmen. Wir sind den Veränderungen nicht rettungslos ausgeliefert.“
Die Hauptherausforderung für die Arbeitswelt der Zukunft sei, so auch Haindl-Grutsch, das Bildungssystem so flexibel zu machen, dass es auf die neuen Herausforderungen eingehen kann. Er spreche aber bewusst nicht von einer Bildungsreform, sondern vielmehr von einer ständigen Verbesserung, die sich immer wieder an die aktuellen Herausforderungen anpasst. Außerdem sieht er ein weiteres zentrales Handlungsfeld für die Politik in der Weiterqualifizierung des Arbeitsmarktes. „Es ist völlig unzureichend, wie heute Jobs vermittelt und Umschulungen gemacht werden. Das AMS-System hat über Jahrzehnte gut funktioniert, aber jetzt ist ein Zeitpunkt, wo man überlegen muss, wie man arbeitslose Menschen wieder fit für den Job machen und entsprechend umschulen, qualifizieren und zum Teil auch aus der sozialen Hängematte holen kann. Der Anreiz, arbeiten zu gehen, muss deutlich höher sein und der Sozialtransfer muss jenen helfen, die’s brauchen, aber mit dem Ziel, dass diese Menschen so schnell wie möglich wieder auf eigenen Beinen stehen können“, so der Geschäftsführer der IV Oberösterreich. Dass es im Jahr 2030 für weniger qualifizierte Arbeitskräfte keine Jobs mehr geben wird, das glaubt er nicht. „Es wird auch dann und darüber hinaus viele Jobs geben, die mit mittlerer Ausbildung ein sehr gutes Berufsleben mit einem vernünftigen Einkommen ermöglichen und nicht von Maschinen erledigt werden. Nicht jeder Mensch hat die Sehnsucht nach hochkreativem Werken – aber auch für diese Menschen wird es gute und erfüllende Aufgaben geben.“
Chance #5: Pioniergeist ist Trumpf.
Die ersten Astronauten, die auf den Mond geflogen sind, wussten, wie man ein Raumschiff navigiert. Sie hatten auch sehr konkrete Vorstellungen, was sie am Mond erwarten würde – dazu wurden viele Hypothesen aufgestellt. Wie es dann aber tatsächlich sein würde, das wussten sie nicht. Es brauchte also verdammt viel Mut, um aus dem Raumschiff auszusteigen. Und dann funktionierte nicht alles so wie geplant. Sie mussten also sekundenschnell auf Unerwartetes reagieren. So ähnlich sieht Stöttinger die Aufgaben der Führungskräfte im Jahr 2030: „Es braucht Pionierqualitäten – neben den fachlichen Qualifikationen braucht es Eigenschaften wie Mut, Selbstreflexion, Emotionale Intelligenz und die Fähigkeit, schnell auf Veränderungen reagieren zu können.“ Muss eine Führungskraft in Zukunft gleichzeitig ein IT-Profi sein? „Man kann diese Technologien, die sich im Moment weiterentwickeln, gar nicht im Detail erfassen, weil sie so komplex und miteinander verknüpft sind und exponentiell wachsen. Es sei denn, man gestaltet sie selbst mit und ist technisch extrem nahe dran“, erklärt Stöttinger. Die Aufgabe einer Führungskraft sei es daher vielmehr, die Anwendungen, Auswirkungen und die Geschwindigkeit der Technologien zu verstehen. „Das alleine ist schon eine gigantische Herausforderung.“ Die Fragen, die sich eine Führungskraft daher stellen sollte: Welche Innovation wird für mein Business relevant sein? Wie kann ich das Wichtige vom Unwichtigen filtern und wie kann ich das dann im Unternehmen umsetzen? „Es geht darum, darauf zu achten, was in meinem Umfeld passiert, und den Anschluss nicht zu verlieren. Alles im Detail wissen zu können, ist eine völlige Illusion“, so die WU-Professorin.
Chance #6: Neuanfänge sind immer möglich.
Früher war der Weg klar: zuerst die Ausbildung, dann der Beruf. Nicht selten hatte man bis zur Pension denselben Arbeitgeber. „Heute gibt es viele Möglichkeiten, seinen Job und seine Karriere zu wechseln“, sagt Stöttinger. Am Anfang sei es wichtig, sich für etwas zu entscheiden, wofür man eine gewisse Leidenschaft hat. „Herauszufinden, wofür das Herz schlägt, alleine das ist schwierig genug.“ Die gute Nachricht ist: Wenn nicht gleich der erste Job die große Erfüllung ist, dann hat man heutzutage viele Möglichkeiten, sich weiterzuentwickeln. „Das ist ja auch das Positive an der Herausforderung, dass wir uns ständig neuen Gegebenheiten anpassen und uns damit verändern müssen – Veränderung ist immer auch eine Chance“, so Stöttinger. Als Leiterin der WU Executive Academy sieht sie es als ihre Aufgabe, das Angebot an Weiterbildungen ständig zu verändern. „Wenn wir relevant sein wollen, müssen wir uns laufend an die Veränderungen der Welt anpassen. Natürlich wird es Dinge geben, die einen gewissen Bestand haben – die Grundfesten einer Firma wie Finanzwesen, Marketing und IT. Aber darum herum gibt es vieles, das sich immer wieder verändert – Stichwort digitale Transformation.“
Chance #7: Freiheit.
Und zwar die Freiheit, sein Leben – und damit auch sein Arbeitsleben – individuell zu gestalten. Zukunftsforscher sprechen vom Megatrend Individualisierung. Joachim Haindl-Grutsch spricht von Flexibilität, die sowohl für Mitarbeiter als auch für Unternehmer Vorteile bringen werden. „Mitarbeiter können sich Freizeitblöcke individueller einteilen und damit ihr Privatleben besser organisieren. Unternehmen können besser auf Herausforderungen wie Auftragsschwankungen eingehen. Ich bin nicht so naiv, dass ich sage, alles wird besser – aber ich glaube, dass die Menschen selbstständig ihr Leben gestalten wollen und weniger in fixe Schemata reingepresst werden wollen. Montag bis Freitag nine to five zu arbeiten ist ein altes Modell, das sich jetzt schon immer mehr aufweicht.“ Die Widerstände dagegen werde man überwinden, ist Haindl-Grutsch überzeugt.
Chance #8: Federführendes Europa.
Während hierzulande die Rede von Work-Life-Balance ist, kümmert man sich in China ausschließlich um den ersten Teil: Work. Das wird wohl nicht immer so bleiben, irgendwann werden sich auch dort die Werte verschieben. Die Gefahr sei aber, so Haindl-Grutsch, wenn wir uns jetzt zurücklehnen, dann wird unser Standort an Bedeutung verlieren. „Es gibt genügend Regionen in dieser Welt – Asien, China, Südkorea, Indien – wo die Leute richtig nach vorne kommen. Und wenn die technologischen, militärischen und wirtschaftlichen Entwicklungen von dort ausgehen und wir – überzeichnet formuliert – die verlängerte Werkbank sind, bedeutet das unmittelbaren Wohlstandsverlust für Europa. Wir werden dann vielleicht noch als die schöne alte Welt gelten, wo man gerne Urlaub macht und sich die alten Gebäude und Museen anschaut, aber davon können wir nicht leben.“ Deshalb wünscht er sich, dass sich die Elite Europas auf die Füße stellt und weiterhin federführend mitgestaltet.
Im Moment habe er die Befürchtung, dass viele gut ausgebildete, leistungsfähige Menschen ihr Potential nicht abrufen wollen. „Die sind super ausgebildet, wollen dann aber nur Teilzeit arbeiten, weil sie das Geld nicht brauchen, etwa weil sie eine Wohnung geerbt und lieber mehr Freizeit haben. Aber 20 Stunden zu arbeiten und den Rest auf Ich-AG zu machen, das ist zu wenig für unsere Gesellschaft, wie auch für die Weiterentwicklung der Menschheit, unseres Lebens, der Wirtschaft. Es gibt einiges zu tun, wir haben viele Probleme gelöst, aber es sind viele neue dazugekommen, deswegen ist es ein dauerhaftes Schritthalten und Verbessern. Dazu brauchen wir viele junge, gut ausgebildete Menschen, die sich engagieren und Vorbild sind und damit die gesamte Gesellschaft in eine bessere Richtung mitziehen.“_