Macht es überhaupt noch einen Unterschied, wo sich ein Unternehmen befindet? Löscht die Digitalisierung nicht alle Distanzen, aber auch alle lokalen Besonderheiten aus? Die Braumeister der drei steirischen Brauereien, die zur Brau Union Österreich gehören, treten den Gegenbeweis an: Ihre Erfahrungen zeigen, welche Chancen sich ergeben, wenn Unternehmen, Mitarbeiter und Standort miteinander in Kontakt treten.
#1 Es grünt so grün
Wer bei der „Grünen Brauerei Göss“ an die Farbe der Flaschenetiketten denkt, kennt die Leobener schlecht. Auch zur 160-Jahr-Feier beweisen die Brauerei und ihr Braumeister Markus Baumann Mut zur Veränderung.
„Schuld“ daran, dass Markus Baumann Braumeister wurde, ist sein Religionslehrer. Dieser sagte nämlich einst zu ihm, wenn er noch einmal jung wäre, würde er Braumeister werden. Das weckte die Neugier seines Schülers, und 24 Jahre, eine Lehre und zwei Studien später ist er Braumeister der Brauerei Göss. Er ist dort also für die Produktion, Qualitätskontrolle und Abfüllung des Bieres zuständig.
An seinem Beruf schätzt Baumann besonders die abwechslungsreichen Aufgabengebiete: „Natürlich mag ich das Produkt und den Prozess an sich. Besonders spannend war für mich aber immer die Vielfältigkeit: Man hat überall seine Finger drinnen“, so Baumann. Er stammt aus Baden-Württemberg, in Österreich und bei Göss landete er vor drei Jahren. Seither habe er sich intensiv mit der Marke Gösser beschäftigt. „Man entwickelt sehr schnell ein Verantwortungsgefühl gegenüber dem Namen, der Qualität und den eigenen Vorgängern.“
Leises Jubiläum
Eigentlich hätte heuer die Geschichte der Brauerei gefeiert werden sollen: Ihre Gründung jährt sich zum 160. Mal. Wegen der Coronakrise war das aber nur in abgespeckter Form möglich. „Es war doch etwas traurig, wir hatten viele Dinge geplant, die wir dann nicht umsetzen konnten“, erzählt Baumann. „Wir Braumeister sind eigentlich sehr gesellig, das hat mir gefehlt.“
Doch immerhin machte er im letzten Jahr ein paar positive Erfahrungen: „Es war sehr schön zu sehen, wie in der Brauerei alle an einem Strang ziehen.“ Der Lockdown im Frühling bedeutete einen Einbruch beim Bedarf an Fassbier, weil Restaurants, Bars und Wirtshäuser schließen mussten. „Unsere Mitarbeiter haben damals verstanden, warum in dieser Situation ein Betriebsurlaub notwendig war. Es gab keinerlei Beschwerden. Und sobald dann der Bedarf an Dosen- und Flaschenbier gestiegen ist, haben wieder alle mitangepackt.“ Immerhin: Zum Jubiläum gab es für jeden Mitarbeiter ein Erinnerungsglas und eine Kiste Bier.
Eine grüne Vision
Nachhaltigkeit spielt für die Brauerei Göss eine besondere Rolle. Seit 2016 wird der gesamte Wärmebedarf mit CO2-neutralen, nachwachsenden Rohstoffen gedeckt. Etwas mehr als die Hälfte steuert eine hauseigene Biogasanlage bei, die Reststoffe aus der Brauerei vergärt. Mit dieser Anlage wurde der Grundstein für die weitere Entwicklung der Brauerei gelegt. „Andreas Werner, der bei der Brau Union als Braumeister für die Region Süd verantwortlich ist, hat 2006 eine Vision für die CO2-neutrale, ‚grüne‘ Brauerei Göss entwickelt und schrittweise umgesetzt“, so Baumann.
Für den restlichen Wärmebedarf – etwa 40 Prozent – fanden die Braumeister eine kreative Quelle: Sie stammt aus einem Werk der Mayer-Melnhof Holz Holding in der Nähe der Brauerei. „Wir leiten für unsere Produktion die Abwärme von dort zu uns in die Brauerei“, sagt Baumann.
Der kreative Funke
„Um nachhaltig zu arbeiten, muss man also einerseits kreativ sein, andererseits muss man sich intensiv mit seinem Standort beschäftigen und sich an die örtlichen Gegebenheiten anpassen“, sagt Baumann. Hier komme auch die Beziehung zwischen Brauerei und Stadt zum Tragen: „In Leoben wird auf uns geachtet und Rücksicht genommen, umgekehrt müssen wir schauen, wie wir für die Stadt nützlich sein können.“
Die jüngste Neuerung sind Etiketten aus Recyclingpapier. Sie sparen jährlich Papier, für das 1.000 Bäume gefällt werden müssten. Mit ihrem Nachhaltigkeitsprogramm ist die Brauerei Göss nicht nur in der Brau Union Österreich, sondern im ganzen Heineken-Konzern absolute Vorreiterin. Für Baumann ist das aber kein Grund, sich auf den verdienten Lorbeeren auszuruhen: „Es gibt immer wieder Neuerungen, über die man nachdenken kann. Vieles davon ist noch nicht bereit für eine praktische Anwendung, aber ich halte immer die Augen offen.“
Eselsbrücken
Ganz getreu dem inoffiziellen Motto der Brauerei Göss, immer zuerst in der Nähe nach Lösungen zu suchen, ziehen dort jetzt Esel über das Gelände. Logisch, oder?
Wer sich auf dem Grundstück der Brauerei Göss plötzlich zwischen mehreren Eseln wiederfindet, ist nicht in ein außer Kontrolle geratenes Krippenspiel gestolpert. Die Esel sollen dort grasen, um die Grünflächen kurz zu halten. Die Tiere wurden vom Verein „Eselrettung Österreich“ vor dem Schlachter oder aus unangemessener Haltung gerettet. Vor einem Jahr entstand zwischen Brauerei und Verein eine Zusammenarbeit. „Die Esel bleiben am Leben und können sich auf den Weiden der Brauerei Göss von schlechter Haltung und Krankheiten erholen. Dabei nehmen sie uns als ‚biologische Rasenmäher‘ einiges an Arbeit ab und halten das Gras kurz. So helfen wir uns gegenseitig“, sagt Andreas Werner, Braumeister der Brau Union Österreich für die Region Süd.
Man entwickelt recht schnell ein Verantwortungsgefühl gegenüber dem Namen, der Qualität und den eigenen Vorgängern.
Markus Baumann
Braumeister, Brauerei Göss