Der Mobilfunkstandard 5G verbreitet sich derzeit weltweit und ermöglicht deutlich schnellere Datenübertragungen. Am Silicon Austria Labs (SAL) in Linz wird bereits jetzt am Nachfolger 6G geforscht. Thomas Lüftner leitet die 6G-Forschung bei SAL. Er hat uns im Interview erzählt, wie diese Technologie die Welt verändern könnte, welchen Einfluss KI hat – und warum der Standort oft unterschätzt wird.
Derzeit liefern sich Nordamerika und Nordostasien ein Rennen um den 5G-Ausbau. Was viele nicht wissen: Die Forschung am 5G-Nachfolger 6G hat schon begonnen – was wird sich durch die Technologie verändern?
LüftnerIch vergleiche das gerne mit Fußball: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Das heißt in diesem Fall: Nach 5G ist vor 6G im Mobilfunk. Derzeit gehen wir von einer zehn- bis hundertfachen höheren Geschwindigkeit von 6G im Vergleich zu 5G aus. Es geht allerdings nicht nur um die Geschwindigkeit, sondern auch um die Kapazität. Das ist wichtig, damit bei immer mehr Teilnehmern, die global den Mobilfunk nutzen, mit einer gleichbleibend hohen Geschwindigkeit übertragen werden kann. Schneller bedeutet nicht nur höhere Geschwindigkeit, sondern auch eine schnellere Reaktionszeit – bei 5G bekommt man nach dem Senden einer Nachricht nach einer Millisekunde Feedback, bei 6G soll es nach 0,1 Millisekunden sein.
Was wird durch diese neue Leistung möglich?
LüftnerAb 5G geht der Mobilfunk noch stärker in industrielle Anwendungen. Bei 2G ging es darum, Sprache zu übertragen, bei 3G und 4G um Daten – das war stark konsumentengetrieben. Die ersten Anwendungen von 5G sind auch hauptsächlich im Consumerbereich zu finden. 6G hingegen wird sehr industriegetrieben sein. Industrielle Produktionslinien werden drahtlos angesteuert und automatisiert werden können; die Steuerung von Robotern, die Umsetzung von autonomen Systemen – die potentiellen Möglichkeiten sind vielfältig und lassen sich teilweise noch gar nicht abschätzen. Derzeit bauen wir ein 5G-Testbed an der JKU LIT Factory auf, wo industrienahe Forschung gemeinsam mit Unternehmen betrieben wird.
In welchen Bereichen forscht das SAL an 6G? Welche Durchbrüche sind nötig, bis die Technologie einsetzbar ist?
LüftnerImmer höhere Frequenzen der Funkwellen ermöglichen eine höhere Leistungsfähigkeit. Bei 5G liegen wir im Frequenzbereich von 26 Gigahertz – bei 6G geht es in den Bereich über 100 bis 300 Gigahertz. Dafür braucht es Hochfrequenztechnik und Chipentwicklung – ein Team am SAL beschäftigt sich damit. Abgesehen davon sehen wir bei 6G – das ist sicher auch dem Zeitgeist geschuldet – dass darauf geachtet werden muss, den Mobilfunk energieeffizienter zu machen. Wir sehen eine riesige Chance, die Signalverarbeitung und das Netzwerk mittels Künstlicher Intelligenz zu optimieren. In den höheren Frequenzen wird die Störanfälligkeit größer, da ist viel Rechenleistung nötig. KI kann das ganze effektiver und optimierter gestalten. 6G muss den Fokus haben, eine Green Tech zu sein. Da ist die KI aus unserer Sicht ein wichtiger Schlüssel. Wir haben eine Forschungsgruppe zum Thema KI und Signalverarbeitung gegründet, die mit der JKU kooperiert, gemeinsam wurde ein eigenes Lab an der Universität gegründet.
Generell hat Österreich bei IT- und KI-Innovationen eher den Ruf, nicht gerade an der Weltspitze zu sein. Da überrascht es im ersten Moment, dass hier Spitzenforschung betrieben wird. Hat der Standort, was globale IT-Innovationen betrifft, einen zu schlechten Ruf?
LüftnerEs ist tatsächlich kaum bekannt, wie viel sich am Standort tut und welche Kompetenzen wir in Linz in der Industrie und an der JKU haben. In Linz wurde beispielsweise die 3G-Hochfrequenztechnik für das erste iPhone und das Galaxy S entwickelt. Sepp Hochreiter, Leiter des Instituts für Machine Learning an der JKU, hat die LSTM-Methode entwickelt, die mittlerweile Grundlage für Spracherkennung und Suchfunktionen ist. In den kommenden Jahren werden Absolventen des neuen AI-Studiums der JKU auf den Markt drängen. Wir haben hier einen echten Hotspot für Hochfrequenztechnik und KI entwickelt. Wir vom SAL schauen auch, einen Brain-Gain zu erzielen, in dem wir internationale Forscher nach Linz, Graz oder Villach holen. Mir ist es gelungen, mit dem Argentinier Pedro Julian einen internationalen renommierten Professor nach Linz zu holen, der sich mit neuronalen Netzwerken beschäftigt. Es passiert viel in Oberösterreich.
6G-Forschung ist eine wichtige Agenda der EU. Warum könnte die Technologie so wichtig für Europa werden?
Lüftner6G ist eine Schlüsseltechnologie, um die Wertschöpfung zurück nach Europa zu bringen, weil die Automatisierung der Produktionsbetriebe beschleunigt werden wird. So kann die Produktion nach Österreich zurückgeholt werden, man kann kostengünstig und auch nachhaltig produzieren.
Sie erwähnen zum zweiten Mal im Gespräch den Punkt Nachhaltigkeit. Welche Bedeutung hat dieser Punkt in der Forschung für Sie?
LüftnerBei den Technologien des 20. Jahrhunderts ging es um möglichst schnelles Wachstum. Ich hoffe, dass wir jetzt die Technologien bauen, um Nachhaltigkeit zu etablieren, und nicht den Planeten weiter auszubeuten. Hoffentlich wird man in 20 Jahren sagen können: Die Nachhaltigkeit ist gestiegen. Meine Vision ist: Wohlstand und Nachhaltigkeit sind durch die richtige Technologie kein Widerspruch. Und das nicht nur für einen kleinen Teil der Weltbevölkerung, sondern für möglichst viele._
Durch KI kann 6G zur grünen Technologie werden.
Thomas Lüftner
CTO and Research Division Head, Silicon Austria Labs
Das Gespräch zum Nachhören im DIE MACHER Podcast