Die gesamten Hierarchieebenen abschaffen, eine neue Meetingkultur etablieren und, statt Fehler zu rügen, gemeinsam in Fuck-up-Stories über sich selbst lachen – klingt nach ganz schön großen Veränderungen, oder? Für Roger Hafenscherer stand gleich zu Beginn seiner Tätigkeit als Geschäftsführer des Luft- und Umwelttechnikunternehmens Sirocco fest, dass er keinen Stein auf dem anderen lassen würde. Und nach zwei Jahren zeigt sich: Sein empathischer und authentischer Führungsstil trägt Früchte.
„Auf Veränderung zu hoffen, ohne selbst etwas dafür zu tun, ist wie am Bahnhof zu stehen und auf ein Schiff zu warten.“ Mit diesem berühmten Zitat von Albert Einstein steigt Roger Hafenscherer in unser Interview ein. Natürlich gebe es in gewissen Situationen Prozesse, die sich etabliert haben und hundertprozentig funktionieren – der sogenannte Freeze Moment in Veränderungsprozessen. Das sei nicht per se schlecht, aber: „Um Fortschritt im Sinne eines dynamischen Voranschreitens zu ermöglichen, muss man die Sicherheitszone verlassen, eine positive Lernkultur etablieren und experimentierfreudig sein.“ Wie Roger das tagtäglich meistert und welche Learnings er selbst aus seiner Geschäftsführungstätigkeit zieht? Wir zeigen fünf Schritte auf dem Weg zu einem neuen Mindset.
#1
Mit Empathie aus der Komfortzone schubsen
Alte Denkmuster aufzubrechen sei im Grunde dasselbe, wie Leute aus der eigenen Komfortzone zu schubsen, meint Roger. Doch dieses Schubsen braucht eine Menge Empathie, also nicht zu fest, nicht zu leicht, doch konsequent und für die jeweiligen Akteur:innen passend. Was ihm besonders wichtig ist: Man kann nicht alle Menschen über einen Kamm scheren. Und von Stereotypen hält er sowieso gar nichts. Vielmehr bedarf es eines individuellen Eingehens auf jede:n Einzelne:n.
Und wenn jemand Veränderungen skeptisch gegenübersteht? Dann sollte man ihn oder sie an die Hand nehmen und bestmöglich begleiten. Eine Herausforderung für Roger: Man muss sich auch immer wieder selbst einen Schubs geben, und zwar konsequent. „Leichter wird es, wenn man dabei etwas Rückenwind hat, die ersten Erfolge zu den nächsten führen und man das Lernen aus Fehlern mit Spaß verbindet.“
Aus eigener Erfahrung weiß er, dass es bei aller Innovation dennoch Ziellinien und Meilensteine braucht. So kann man den Mitarbeitenden Orientierung bieten, damit beispielsweise der Kundennutzen weiterhin im Fokus steht. Innovation kann in jedem Bereich gelingen, indem die Mitarbeitenden durch kreatives Denken im eigenen Arbeitsbereich das Beste für das Unternehmen, aber auch für ihr eigenes Leben herausholen.
#2
Vorbild sein
Seine persönliche Rolle im Innovationsprozess bei Sirocco sieht Roger darin, seinen Mitarbeitenden ein Vorbild zu sein, das heißt, sein eigenes Handeln und Tun an Grundsätzen auszurichten, an denen sie sich orientieren können. Er gibt offen zu: „Das gelingt mir manchmal besser, manchmal schlechter – ich bin schließlich auch nur ein Mensch.“ Aber seiner Meinung nach braucht es genau diese Einsicht im Umgang mit den Mitmenschen, um sie zu Bestleistungen anzuregen. Der eine braucht Freiraum, die Nächste unterstützenden Input und der Dritte vielleicht ein reflektierendes Gespräch. Als Innovationstreiber fungiert man laut ihm immer auch als Coach.
Und man lernt ebenso aus dem Austausch mit den Mitarbeitenden. „Viele Führungskräfte hören sich selbst viel zu gerne reden.“ Dabei wäre es wesentlich wichtiger, Fragen zu stellen und nicht das Recht auf die Richtigkeit von Prozessen für sich zu beanspruchen. Roger ist überzeugt: „Wer fragt, gewinnt – unabhängig von der Funktion der Mitarbeitenden.“
#3
Eine wertschätzende Fehlerkultur etablieren
Für ein neues Mindset der Zukunft hat Roger eines seiner Mottos parat: Fail fast and fail forward. Einfach ausprobieren und wenn es nicht klappt, wieder aufstehen und nochmals probieren. „Wenn du hinfällst, wirst du irgendwann auch mal nach vorne fallen.“
Wurde früher oft nach dem Ansatz „Management by objectives“ geführt, sollte, wenn es nach Roger geht, heute eine gemeinsame Lernkurve mit den Mitarbeitenden im Fokus stehen, ganz im Sinne von „Learning by doing“. „Dass wir alle aus unseren Fehlern lernen und eine positive Fehlerkultur leben, ist für mich das Allerwichtigste. Aus Siegen allein wirst du wenig über dich selbst lernen.“ Und damit der Spaß dabei nicht zu kurz kommt, wird bei Sirocco nicht rügend über Fehler reflektiert. Und es heißt nicht Fehler, sondern „Fuck-up-Stories“. Wenn jemanden also ein „Fuck-up“ passiert ist, wird im gemeinsamen Rahmen davon erzählt und auch die Möglichkeit geboten, über sich selbst zu lachen. Im nächsten Schritt wird überlegt, wie man selbst glaubt, es besser machen zu können, und vielleicht zeigt sich dadurch, dass man noch immer in eben jenem Fehlerdenken steckt. Danach können andere ebenfalls beitragen, wie sie an die Sache herangegangen wären. „So entsteht ein lustigeres, gemeinsames Lernen. Und die Generation Z wird auch viel eher dabei abgeholt.“
#4
Sinn stiften
Apropos Generation Z. Wie stellt Roger sicher, dass auch sie mit dem richtigen Mindset an die Arbeit herangeht? „Bei den Vertreter:innen dieser Generation ist die Frage nach dem Sinn ausschlaggebend. Ich merke in Gesprächen mit ihnen sehr stark, dass die Sinnhaftigkeit von Tätigkeiten vom Kleinsten bis ins Größte hinterfragt wird.“ Wenn der Sinn nicht gesehen wird, sei es schwierig, jemanden zu überzeugen, eine Herausforderung anzunehmen, sei es im beruflichen oder privaten Kontext. Das betreffe nicht nur Fragen der Nachhaltigkeit oder andere die Wirtschaft beeinflussende Faktoren, sondern auch das Miteinander am Arbeitsplatz, die Gestaltung der Arbeitszeit oder des Arbeitsorts. „Hier müssen Unternehmen offener werden, agiler agieren, flexiblere Lösungen zur Verfügung stellen und Sinn stiften – in jeder Ausprägung.“
#5
Unterschiede anerkennen
Wie gestaltet sich die Zukunft, wenn alle dieses neue Mindset leben? „Ich gehe nicht davon aus, dass jemals alle das gleiche Mindset an den Tag legen werden. Es wird immer Menschen geben, die sich ungern von gewohnten Strukturen und der damit einhergehenden Sicherheit trennen möchten.“ Hier gilt es seiner Meinung nach, die Funktion und Rolle im Unternehmen für sie zu finden, in der sie ihre Qualitäten und ihr Wissen am besten einsetzen können. „Wir alle haben eine unterschiedliche Geschichte, unterschiedliche Erfahrungen gemacht und aus unterschiedlichen Fehlern verschiedene Lehren gezogen. Darauf sollte man unbedingt Rücksicht nehmen.“ Und die Kultur, die gemeinsam gelebt werden soll? „Jeder Tag, an dem man ins Büro geht, aber nicht das Gefühl hat, ins Büro zu gehen, ist ein gewonnener Tag, weil er das eigene Leben mit Qualität, neuen Erfahrungen und sozialen Interaktionen bereichert.“ Und das gelingt am besten durch Humor und Wertschätzung – einer Kultur, die bei Sirocco bereits gelebt wird._
Wenn ich selbst nicht bereit bin, eine Veränderung authentisch mitzutragen, wird mir niemand folgen.
Roger Hafenscherer
Geschäftsführer, Sirocco