Der wohl beste Beleg für den anhaltenden digitalen Wandel: das Aufeinandertreffen und Zusammenspiel von Generationen, die zu diesem Thema kaum unterschiedlicher stehen könnten. Auf der einen Seite sehen wir Oma und Opa, die sich für das Internet erwärmen und ihren ersten WLAN-Router anschaffen. Und auf der anderen Seite deren Enkelkinder, die diesen problemlos für sie installieren. Klar, sie sind ja schließlich Digital Natives, also Teil der Generation, die bereits in der digitalen Welt aufgewachsen ist. Wir leben in einer Zeit, in der man gemeinsam mit Eltern am Tisch sitzen kann, für die ein Fernseher in der Kindheit nicht selbstverständlich war. Und mit Kindern, die eine Welt ohne die Existenz von Smartphones erst gar nicht erlebt haben.
Was uns dennoch verbindet? „Wir alle fühlen uns von der Digitalisierung ein Stück weit ‚erwischt‘, sei es individuell, beruflich oder politisch. Das löst in vielen das Gefühl aus, nicht den Anschluss verlieren zu wollen“, erklärt Fares Kayali, Professor für Digitalisierung im Bildungsbereich am Zentrum für Lehrer:innenbildung der Universität Wien. In den meisten Firmen spüre man jedenfalls einen starken Drang zur Digitalisierung. „Legt man den Fokus jedoch zu sehr darauf, sämtliche Geschäftsmodelle zu digitalisieren, ist die Gefahr groß, dass einiges auf der Strecke bleibt und etwa Mitarbeiter:innen nicht abgeholt werden“, so der Experte. Umgekehrt sei es nicht ratsam, sich dem Thema gegenüber zu verschließen.
Wie so oft gilt: Die Mischung macht’s. „Es geht weniger um Kompromisse, sondern um strategische Entscheidungen. Hierbei spielt regelmäßige Reflexion eine entscheidende Rolle.“ Konkret empfiehlt Kayali, individuell zu entscheiden, wo digitale Neuerungen Vorteile bringen und wo sie nicht direkt zweckdienlich sind.
Zwischen Chancen und Herausforderungen
Digitalisierung ja, aber nicht um jeden Preis. „Wir wissen aus Studien in der Coronazeit, dass neben den vielen Vorteilen von Distance Learning leider auch soziale Ungleichheiten verstärkt werden. Die Bildungsschere droht im schlimmsten Fall langfristig noch weiter auseinanderzugehen“, so Kayali über die Risiken. Expert:innen unterscheiden hier zwischen „Digital Divide“ (= digitaler Kluft) – also der Ungerechtigkeit beim Zugang zu digitalen Geräten wie Laptops oder Tablets – und „New Digital Divide“, die sich auf die Ungleichheiten speziell im Umgang mit Softwares, Geräten und Services bezieht.
Wie geht man dagegen vor? „Die Herausforderung wird sein, Diversität und Digitalisierung als gemeinsame Aufgabe zu meistern“, so Kayali. Schließlich handle es sich dabei nicht um Schwächen der Digitalisierung per se, sondern vorrangig um Probleme gesellschaftlicher Natur. „Die Digitalisierung kann hier jedoch eine akzentuierende Rolle spielen. Umso wichtiger ist es, ihre Potentiale so zu nutzen, dass man diesen Entwicklungen entgegenwirkt“, ist Kayali überzeugt. An entscheidenden Stellschrauben könne bereits in der Ausbildung gedreht werden. Etwa durch das Zur-Verfügung-Stellen von Geräten oder die Unterstützung von Eltern und Lehrkräften, um für mehr Gerechtigkeit zu sorgen.
Digitales Know-how
Denn einer der Schlüssel zum Erfolg sind zukunftsfähige und digitale Skills. „Wir müssen uns einer aktiven Rolle im digitalen Raum bewusst werden, also unsere Entscheidungsräume kennen und diese neu gestalten“, betont Kayali. Wie das aussehen kann, zeigt die Universität Wien mit einem extra ins Leben gerufenen Erweiterungscurriculum. In der Studienergänzung „Digitalisierung verstehen und mitgestalten“ erlernen Nachwuchstalente digitales Know-how.
„Wir vermitteln zunächst einen breiten Einblick in verschiedene Bereiche – von der Technologie über
Philosophie, Ethik und Recht bis hin zur Gesundheit und anderen Aspekten der Digitalisierung“, so Kayali. Im Anschluss folgt ein praxisnahes Modul, in dem Studierende selbst kreativ mit Technologie gestaltend arbeiten dürfen. „Abschließend sollen sie das Gelernte reflektieren und in ihre eigenen Perspektiven integrieren“, erklärt der Experte, für den das Gestalten in der Digitalisierung von großer Bedeutung ist. Denn Schritt halten sei lediglich das Minimum, neu gestalten hingegen das Optimum.
Die goldene Mitte finden
Wenn man so will, kommt es auf den Mut an, neue Wege zu gehen. Und auf all die Innovationen, die dabei möglich sind. „Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz etwa bringt in der Medizin und in vielen anderen Bereichen ein riesiges Potential mit sich“, so Kayali. An anderer Stelle könne sie jedoch auch eine „Entmenschlichung“ bewirken. Ein Beispiel zeigt: Algorithmen, die bei der Vermittlung von Arbeitslosen eingesetzt werden, laufen Gefahr, individuelle Fehler zu begehen.
Generell scheint es bei der Digitalisierung häufig um die goldene Mitte zu gehen. „Viele Facetten sind ambivalent“, erklärt Kayali. So sind die sozialen Medien auf der einen Seite fortschrittliche Netzwerke, auf der anderen Seite aber ein Gefahrenherd für stärkere gesellschaftliche Spannungen. In Zukunft wird es daher auf mehr Gleichberechtigung ankommen, um die vorhandenen Potentiale sinnvoll zu nutzen. Vielleicht geht es in diesem Wandel sogar mal nicht nur um Effizienz, sondern um gerechte Zugänge und Chancengleichheit.
So viel steht fest: Die Transformation bringt Aufgaben mit sich, die sich nur auf mehreren Ebenen angehen lassen. Denn Digitalisierung liegt in der Verantwortung vieler Stakeholder:innen, wie der Politik, Unternehmen und großen Playern der Technologiebranche. Und schlussendlich liegt sie auch in der Verantwortung von uns allen._