Zugegeben: Das Thema Digitalisierung ist nicht direkt neu. Dafür begleiten uns Smartphones, technische Lösungen und explizit digitale Geschäftsmodelle nun doch schon zu lange. Die Innovationskraft im digitalen Wandel bremst das jedoch keinesfalls. Ständig erleben wir, wie Veränderungen zur Gewohnheit werden. Wie neue Maßstäbe unseren Alltag definieren und es nur schwer vorstellbar ist, gewissen Standards wieder zu entsagen. Sei es im Kleinen, wo etwa Videocalls und andere Onlinetools das Zusammenarbeiten in einer zuvor nie dagewesenen Pandemie erleichtern, geschweige denn überhaupt erst ermöglichen …
… oder im Großen, also dort, wo wegweisende Schritte in Richtung Zukunft gegangen werden und so neue digitale Fußstapfen entstehen. „Wenn wir von digitaler Transformation sprechen, beziehen wir uns auf die Intelligenz von Systemen und Komponenten“, erklärt Markus Manz den Fokus des Forschungszentrums SCCH. Videocalls und andere Neuerungen, die durch Corona besonders präsent sind, seien gewissermaßen „seichte“ Veränderungen im digitalen Wandel. „Trotzdem ist beides wichtig und das eine bedingt das andere.“
Effizienz durch Daten
Sensoren, die vom Prinzip her menschlichen Sinnesorganen ähneln, verleihen bisher „kalten“ Bauteilen eine eigene Form von Intelligenz, erklärt Manz. „Speziell in (Ober-)Österreich werden Produkte sowie die Produktion selbst zunehmend intelligenter. Sprich, Sensoren messen die Umgebung und sammeln Daten“, so der Geschäftsführer des SCCH weiter. Dadurch erhält man Informationen, deren richtige Nutzung viele Produktionsschritte auf ein neues Level heben kann. „Wir verknüpfen diese Daten intelligent, wodurch die bloße Erfassung durch den Menschen übertroffen wird.“
Was man dabei nicht außer Acht lassen darf: die Kosten-Nutzen-Relation. „Ein 100 Euro teurer Sensor ergibt auf einem 50 Euro teuren Zahnrad natürlich erstmal wenig Sinn. Aber sofern sich intelligente Systeme rechnen, werden sie sich definitiv durchsetzen“, prognostiziert Manz. In diesem Bereich werde zudem intensiv geforscht, wodurch Lösungen langfristig noch besser und vor allem kostengünstiger werden. „Hier herrscht jede Menge Potential.“
„Auf diesem Weg ist es entscheidend, die Systeme der Zukunft mit Fachwissen anzureichern“, pflichtet ihm Lukas Fischer bei. Und betont weiter, dass es nicht darum gehe, Fachkräfte einfach durch Roboter zu ersetzen. „Der Mensch unterstützt die KI und diese wiederum den Menschen – diesen Kreislauf bezeichnen wir als ‚Human-AI-Teaming‘“, so Fischer. Die Zusammenarbeit humaner und Künstlicher Intelligenz also. „Fachwissen in Kombination mit Daten ergibt eine potente Mischung. Informationen und Wissen an die Historie des Menschen gekoppelt, führen erfahrungsgemäß zu noch mehr Wissen. Diese Ressource ist unerschöpflich“, so Manz. Eine Symbiose, die auf der einen Seite ein hohes Maß an Effizienz verspricht, auf der anderen Seite aber auch Veränderungen bedeutet, die der Akzeptanz der Gesellschaft bedürfen.
Technologie, Organisation und der Mensch …
… drei Faktoren, die beide Experten als Spannungsfelder in der digitalen Transformation wahrnehmen. „Eine erfolgreiche Symbiose und gegenseitige Ergänzung sehen meines Erachtens vor, die Technologie dem Menschen zu unterstellen“, so Manz. Den Menschen nicht außen vor zu lassen sei von zentraler Bedeutung für die Akzeptanz neuer digitaler Technologien in der Bevölkerung. „Die weiterführende Herausforderung konzentriert sich vor allem auf Erklärbarkeit und daraus entstehendes Vertrauen. Wir müssen erklären können, weshalb Systeme eine bestimmte Entscheidung treffen“, so Fischer. Dennoch gebe es auch Bevölkerungsgruppen und Situationen, in denen die Akzeptanz ganz von allein kommt. Smartphones, Siri und andere mittlerweile alltagsübliche Dinge konnten sich ihm zufolge durchsetzen, weil sie einen gewissen Mehrwert mit sich bringen.
Mehrwert. Ein maßgebliches Stichwort. „Die breite Akzeptanz in der Bevölkerung wird man vor allem durch Sinnhaftigkeit und echten Nutzen erreichen müssen. Ein Tisch, der Fieber misst, wird bei den meisten auf Unverständnis stoßen“, sagt Manz und lacht. „Verfügt er jedoch in Zukunft über relevante Informationen, ließe sich darüber diskutieren“, ergänzt Fischer. Zwar sei das Beispiel mit einer Prise Humor zu verstehen, dennoch könne sich ein Schreibtisch im Büro langfristig als „digitaler Chiropraktiker“ erweisen. „Wenn die Daten einen etwa auf zu langes Sitzen, zu wenig Bewegung oder zu viel Zeit vor dem Bildschirm hinweisen, entsteht plötzlich eine völlig neue Relevanz“, so Fischer.
Marathon statt Sprint
„Sorgen oder zumindest Vorbehalte Neuem gegenüber sind grundsätzlich nicht unberechtigt. Genau aus diesem Grund haben wir in der EU und in Österreich als einem Land der Ingenieure strenge rechtliche Rahmenbedingungen“, versichert Manz. „In der Industrie liegen die Ansprüche in Österreich dahingehend besonders hoch“, fügt Fischer hinzu. Das Bedürfnis nach Sicherheit sei hierzulande vorrangig, da man sonst den Vertrauensvorschuss in neue Technologien verspiele. „Dieses Bewusstsein ist eine der größten Stärken unseres Landes und unserer Kultur. Hier geht es etwa um Zertifizierungen von KI-Systemen oder das Erfüllen konkreter Regularien, bei denen wir bereits heute langfristig solide Vorarbeit leisten“, so Fischer. Der gesamte Prozess der digitalen Transformation gleicht eher einem Marathon als einem Sprint, wenn man so will.
Wohin der Distanzlauf gehen wird? „Langfristig ist es möglich, dass die Künstliche Intelligenz an unsere heranreichen wird“, sagt Manz voraus. Zumindest sei diese dann „scheinintelligenter“, da wir Menschen uns von ihr noch immer darin unterscheiden, dass wir assoziieren können. „Was Systemen jedoch bereits gelingt, ist, aus der Vergangenheit gewonnene Informationen auf eine in den Grundzügen ähnliche Zukunft zu transferieren“, so der Experte. Wie diese aussieht, hängt vom Einzelfall ab. Für die Zukunft der Digitalisierung steht jedenfalls fest: Sie wird vor allem intelligent._