Apropos Strecke. Sind Sie schon einmal auf einer Rallye-Strecke gefahren? Im Rallye-Sport braucht man ein Team, auf das man sich zu 100 Prozent verlassen kann, damit man die Straßenbedingungen kennt und weiß, wie man an, aber nicht über die Grenzen geht. Sonst ist man draußen. Ähnlich ist es in der Wirtschaftswelt 4.0, meint Top-Manager und Investor Josef Kurzmann. Er muss es wissen. Immerhin lenkte der 52-Jährige mehr als 30 Jahre lang bedeutende Unternehmen, brachte sie auf die internationale Straße zum Erfolg – er war unter anderem 23 Jahre lang Vorstandsmitglied der Schalungstechnik-Firma Doka. Und er lenkte auch schon oft ein Rallye-Auto, in seiner Freizeit ist Kurzmann begeisterter Rallyefahrer. Wir haben uns mit ihm unterhalten, was sein Antrieb ist, sich nach einer erfolgreichen Managerkarriere der Herausforderung Wirtschaft 4.0 zu stellen und mittelständische Unternehmen auf ihrem Weg zum Global Player strategisch und finanziell zu unterstützen.
Warum vergleichen Sie die
Wirtschaft mit Rallyesport?
KURZMANNDer Rallyesport hat viele Parallelen zur Wirtschaft. Vor der Weltwirtschaftskrise waren wir auf einer Autobahn unterwegs – bei Schönwetter und Sonntagsverkehr. Wir marschierten im Eiltempo in neue Märkte, die Komplexität war überschaubar. Heute befinden wir uns in einer Sonderprüfung, allerdings haben wir kein Roadbook mit, wir wissen nicht, was hinter der nächsten Kurve kommt. Deswegen braucht es heute nicht nur einen guten Piloten, sondern ein vernetztes Team – Leute, die in Märkten sind und Impulse senden, um das Set-up zu optimieren und abzustimmen. Die Ansprüche sind hoch, die Entwicklung rasant, das Tempo ebenso. Wir brauchen Unternehmen, die nicht anfällig sind, wenn die Dinge anders kommen als geplant.
Und wohin führt der Weg?
KURZMANNDie Zeit bis 2008 war eine Boomzeit, jeder wusste, dass es auf Dauer so nicht weitergeht. Und dann kam die große Weltwirtschaftskrise. Ich finde, dass wir jetzt in einer extrem spannenden Zeit sind. Namhafte Fachexperten sprechen von einer großen Transformation, einer Übergangszeit von der alten, uns allen bekannten Wirtschaftswelt, die über Jahrzehnte wunderbar funktioniert hat, in eine neue Wirtschaftswelt, die nach anderen Regeln laufen wird. Wurden früher Maschinen, Produktionshallen und andere Hardfacts in Bilanzen bewertet, dann sind wir heute in einer Übergangsphase zur Informationsgesellschaft. Informationen sind die Währung des 21. Jahrhunderts. Unternehmen müssen sich demnach stärker öffnen, sich stärker vernetzen – nicht nur vertikal mit Kunden und Lieferanten, sondern auch horizontal mit Partnern, sogar mit Wettbewerbern.
Der Begriff „Industrie 4.0“ ist
allseits bekannt. Sie aber sprechen
von Wirtschaft 4.0. Warum dehnen
Sie den Begriff aus?
KURZMANNWeil der Wandel nicht nur die Industrie betrifft. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verändern sich in einem Ausmaß wie man es sich vor wenigen Jahren nicht vorstellen konnte. Die Welt wird kleiner, die Kunden immer anspruchsvoller und der Wettbewerb direkter und schneller. Wir stehen an der Schwelle eines neuen Zyklus der wirtschaftlichen Entwicklung. Die von der Digitalisierung ausgegangene technologische Revolution hat mit einer ganzen Reihe von konkreten Anwendungen und Businessmodellen mittlerweile ihren „Point of no Return“ deutlich überschritten. Die herausfordernden und global wirkenden Veränderungen gelten für alle. Wir können uns nicht entziehen.
Was bedeutet das für den Einzelnen?
KURZMANNDie Chancen waren in den vergangenen 30 Jahren nicht so groß wie heute. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, alte Muster und Paradigmen zu wechseln und große Weichen zu stellen. Der Wettlauf um die Neuverteilung der Marktanteile in der digitalen Ökonomie hat bereits begonnen.
Wie kann man diesen Wettlauf gewinnen?
KURZMANNIn einem so dynamischen Marktumfeld bedarf es einer Anpassung des Geschäftsmodells. Aber das Geschäftsmodell ist meist das Letzte, das angegriffen wird. Vor allem mittelständische Familienunternehmen halten – verständlicherweise – an einem traditionellen Geschäftsmodell fest. Immerhin hat es viele Jahre funktioniert, man zehrt allerdings jetzt noch eher von den Leistungen der früheren Generationen, nicht von heute. Denn die neue Wirtschaftswelt, die ich mit 4.0 bezeichne, ist geprägt von innovativen Technologien – Technologien, die große Auswirkungen auf das Geschäftsmodell haben können. Der heutige Wettbewerb wird nicht mehr nur von Produkten gesteuert, sondern von ganzheitlichen Konzepten, von unterschiedlichen Geschäftsmodellen. Hat man bisher etwa Einzelprodukte verkauft, verkauft man zukünftig Produkte plus mehrwertstiftende Dienstleistungen, die ein Angebot unvergleichbarer machen. Innovationszyklen werden immer kürzer, dadurch entstehen kleinere Losgrößen und eine marktgetriebene Ökonomie.
Worauf muss man sich noch einstellen?
KURZMANNEin weiterer Aspekt ist die Veränderung der Gesellschaft und der Arbeitsweisen. Flexiblere Arbeitszeitmodelle und Arbeitsformen sind unerlässlich für den Erfolg in der Wirtschaftswelt 4.0. Dazu kommen auch noch die Veränderungen in der Finanzwelt. Durch die Weltwirtschaftskrise wurden ja viele Regularien aufgestellt, die Banken in ein Handlungskonzept in gewisser Weise zwingen. Für die langfristige Unternehmensfinanzierung wird es weitere neue Finanzierungs- und Beteiligungsmodelle geben. Amerika ist da sicher ein Vorreiter, wo die Verfügbarkeit von Risikokapital deutlich höher ist, auch England entwickelt sich in dem Bereich als Hotspot.
Sein Geschäftsmodell zu adaptieren oder auch völlig neu zu denken, erfordert in den meisten Fällen Investitionen. Wie kommt man aber nun auch außerhalb von Amerika und England, nämlich in Österreich, zum erforderlichen Kapital?
KURZMANNJe disruptiver das Marktumfeld ist, desto weniger ist das Geld alleine Garant für Erfolg. Will man etwa sein Unternehmen international expandieren, um sein Geschäft profitabel auszubauen und für wachsende Beschäftigung zu sorgen, muss man zuvor entsprechende Voraussetzungen schaffen und sich auf die neuen Rahmenbedingungen von Wirtschaft 4.0 vorbereiten. Andernfalls kann so ein Schritt zu einem großen Ertrags- und Liquiditätsproblem führen. Es geht also vielmehr um die kompetente Begleitung zu diesem Kapital – das Know-how über internationale Märkte, das Verstehen der neuen Wirtschaftswelt, die Innovationskraft und Managementerfahrungen – all dies macht Kapital erst wirksam. Neben den Managementfunktionen werden auch die Eigentümerfunktionen immer wichtiger. Die Ausrichtung des Unternehmens und die Ausgestaltung mehrwertstiftender Kooperations-, Beteiligungs- und langfristiger Finanzstrukturen sind die Schlüsselfaktoren künftigen Wirtschaftens: Menschen und Finanzen werden neu vereint. Die Strategen sind gefordert, kundenorientierte Geschäftsmodelle und Organisationen zu finden, die auf den neuen innovativen Technologien beruhen.
Sie sprechen von strategischer Beteiligung – das ist die Geschäftsidee von Ihrem Unternehmen „Josef Kurzmann Beteiligung GmbH“ (JKB). Aber ist denn die Bereitschaft bei den Unternehmen überhaupt da, sich jemanden ins Boot zu holen?
KURZMANNFamilienunternehmen haben da vielerorts noch Scheu vor dem sogenannten Finanzinvestor. Das ist auch verständlich, denn Familienunternehmen denken nicht nur an Zahlen und kurzfristigen Erfolg. Wenn man aber jetzt die zuvor geschilderten Aspekte wie die Veränderung der Arbeits- und Finanzwelt, die Vernetzung und Digitalisierung, wirken lässt, dann können strategische Beteiligungen, die deutlich langfristiger und mehrwertstiftend sind, viel zur Entwicklung des Unternehmens beitragen und eine spannende Alternative zu üblichen Finanzierungsformen sein.
Man könnte aber auch einfach auf einen Berater setzen.
KURZMANNStrategische Beteiligung ist die Verknüpfung eines modernen Beraters mit einem Kapitalgeber. Wir nennen das „Advised Equity“ – das Unternehmen zahlt nicht mit Cash wie bei einem Berater, sondern über Anteile am Unternehmen, wobei es sich gewöhnlich um Minderheitsbeteiligungen handelt. Der Investor bringt Know-how, Netzwerk und Kapital ein.
Damit trägt der Investor auch das unternehmerische Risiko – in welches Unternehmen würden Sie investieren?
KURZMANNEs entsteht natürlich eine sehr hohe Identifikation, man bringt Zeit und Geld in das Unternehmen ein und partizipiert am Erfolg und Misserfolg. Mein Unternehmensfokus liegt auf familiengeführten Unternehmen sowohl im Bereich Technologie, Produktions- als auch im Dienstleistungsbereich, die Mehrwert- und Differenzierungspotential haben und um weiteres, eventuell internationales, Wachstum bemüht sind. Mit diesen möchte ich geeignete Wachstumsstrategien und Set-ups entwickeln.
In welchen Branchen sehen Sie
das größte Potential?
KURZMANNIch versuche das branchenmäßig offen zu halten, weil ich der Meinung bin, dass diese Branchensilos der Vergangenheit angehören. Mittlerweile ist alles sehr übergreifend – Unternehmen aus einer Branche werden plötzlich Wettbewerber in einer anderen Branche.
Und warum setzen Sie auf Familienunternehmen?
KURZMANNÜber 90 Prozent des Mittelstandes und der Industrie in Österreich sind familiengeführt, ich bin selbst in einem Familienbetrieb aufgewachsen und habe 30 Jahre in Familienbetrieben gearbeitet. Ich glaube, dass diese Betriebe gerade jetzt durch Wirtschaft 4.0 große Chancen haben. Noch nie waren die Möglichkeiten so groß und vielfältig, sich vom Wettbewerb zu differenzieren, Kundengruppen zu begeistern und profitabel zu expandieren. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um Geschäftsmodelle und bestehende Erfolgsmuster auf den Prüfstand zu stellen, um offensiv diese Möglichkeiten in der Entwicklung der Unternehmensstrategie aufzugreifen. Ich habe viele Unternehmen kennengelernt: Abgesehen davon, dass der Frust über Bürokratie und Reformstau vielerorts groß ist, arbeiten alle fleißiger denn je, haben ambitionierte Ziele und eine engagierte Belegschaft. Aber viele befinden sich in einem Hamsterrad und laufen Gefahr, nicht ausreichend Zeit zu haben, um sich diesem neuen Umfeld auszusetzen und zu erkennen, wohin das führt. Man möchte mit „alten Geschäftsmodellen“, die in der Vergangenheit gut funktioniert haben, die Ansprüche der Kunden der Zukunft lösen. Das funktioniert bei den Veränderungsprozessen aber nicht. Deshalb ist es gerade für Familienunternehmen wichtig, sich zu öffnen. Dazu braucht es aber natürlich großes Vertrauen.
Was reizt Sie daran, dieses Vertrauen zu gewinnen und Gesellschafter zu sein?
KURZMANNBegeisterung ist mein Antrieb. Der Wunsch, in Unternehmen zu investieren – nicht nur Kapital, sondern auch mein jahrelang aufgebautes Know-how - das ist meine Vision und dieser folge ich. Mich fasziniert, Unternehmen wachsen zu sehen. Ich möchte meine Kunden verstehen und für sie Bedürfnisse und Produkte sowie Leistungen kreieren, Wertschöpfung und Beschäftigung schaffen sowie zum Erfolg des Unternehmens beitragen. Das ist meine Leidenschaft._
Meine Kernaussage
"Mit Herz und Hirn Wertschöpfung schaffen."
GEDANKEN
Gründergeist_ Wenn ich ein Produktionsunternehmen gründen würde, dann eines im Bereich E-Mobility oder Leichtbau oder eines, das der neuen Automobilgeneration zuliefert. Oder eines im Gesundheitswesen.
Erfahrungsschatz_ Meinen beiden Söhnen (29 und 23 Jahre) rate ich für ihren Karriereweg, zunächst eine gute Ausbildung zu genießen und sich dann in Unternehmen, die sich den Aufgaben von Wirtschaft 4.0 stellen, kreativ einzubringen. Generell glaube ich, dass Karriereplanung nicht funktioniert. Mein Tipp: Folge deiner Begeisterung und bleib dran bei der Verwirklichung deiner Visionen. Gib nicht auf!
Stichwort Flüchtlingswelle_ Da hat uns etwas ereilt, das wir nicht unter Kontrolle haben. Klar muss man sich dem stellen, aber Populismus und Willkommenskultur sind zu oberflächlich, das Problem ist wesentlich vielschichtiger. Natürlich ist es nicht einfach, Menschen aus völlig anderen Kulturen mit anderen Lebensgewohnheiten hier einzugliedern – darüber brauchen wir jetzt nicht überrascht sein.
Fernweh_ Ein Ort, den ich noch nicht bereist habe, den ich aber unbedingt eines Tages sehen möchte: Neuseeland.
Heimat_ Ein Land, wo ich gerne leben würde, wenn nicht in Österreich: Deutschland, Schweiz oder Amerika.