Wien Hauptbahnhof. 8.30 Uhr. Rolltreppen fahren auf und ab, Züge fahren ein, Menschen mit Rucksäcken oder Taschen auf den Schultern strömen in alle Richtungen, sie kennen ihr Ziel, wissen, wann sie wo sein müssen. Und dort kommen sie dann auch an. Pünktlich. Natürlich. Abends dasselbe Bild, nur in die andere Richtung. Doch was, wenn wir die Uhr vordrehen? Zehn Jahre. Wie wird das Bild dann aussehen? Werden Menschen immer noch Nine-to-five-Jobs machen? Werden sie in den Büros von großen Konzernen ihre Karriereleiter hochklettern? Werden sie 30 Stunden arbeiten, vier Tage oder doch rund um die Uhr? Wir wollen dieses Bild zeichnen – mit einem Zukunftsdenker, mit einem Innovationsgeist, der sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Philipp Maderthaner.
Schon als kleines Kind war für den Unternehmer, Speaker und Investor klar: Ich will auf einer Bühne stehen. Das Problem: „Ich war wirklich verzweifelt, weil ich weder singen noch tanzen kann und ein Instrument kann ich auch nicht spielen.“ Und dann besucht Maderthaner ein Seminar seines heutigen Mentors Manfred Winterheller. „Der ist vor Tausenden Menschen wie ein Rockstar aufgetreten. An dem Tag ist mir gedämmert, dass ich auf einer Bühne reden kann. Das hat mich verändert, seither habe ich den Traum weiterverfolgt.“ Er schiebt seine Brille nach oben und grinst. „Du brauchst nur einen Menschen, der dir vorturnt, der dir Mut macht. Das bin ich auch gern für andere.“ Zum Beispiel am 15. April bei seinem ersten Tour-Event in der Grand Hall am Erste Campus in Wien. Oder heute. Hier in seinem Büro im 21. Stock des ICON-Tower am Wiener Hauptbahnhof. Wobei „Büro“ nicht ganz der Wahrheit entspricht. Der Empfang sieht aus wie die Lobby eines Designhotels, gleich dahinter eine Bar, die Wochenend- und ganz sicher kein Montagmorgen-Feeling aufkommen lässt. Der Meetingraum? Keine Chance, kann man nicht beschreiben, muss man erleben. Und am anderen Ende? Da ist ein Dschungel. Willkommen im New-Work-Himmel.
Heute in zehn Jahren. Wie wird das Bild der Arbeitswelt dann aussehen?
Philipp MaderthanerIn den nächsten zehn Jahren werden sich einige Dinge ändern. Es werden weniger Menschen ins Büro fahren, um das zu tun, was sie tun wollen. Das hat zwei Gründe. Einerseits werden Unternehmen flexibler in der Art und Weise, wie sie arbeiten. Andererseits bin ich felsenfest davon überzeugt, dass es in den nächsten zehn Jahren ein Vielfaches an Selbstständigen geben wird im Vergleich zu heute. Das werden Leute sein, die so arbeiten, wie es ihnen taugt, und zwar dann, wann und wo sie wollen. Beide Entwicklungen werden in den nächsten Jahren eine massive Rolle spielen und deswegen wird es am Bahnhof noch immer geschäftiges Treiben geben, aber es wird sich anders verteilen.
Wenn weniger Menschen ins Büro fahren, dann wird es wohl auch weniger Büros brauchen. Nun sitzen wir hier aber in einem regelrechten Büro-Palast – wird dieser dann in zehn Jahren leer stehen?
Philipp MaderthanerWenn du willst, dass die Leute zu dir ins Büro kommen, dann musst du ihnen etwas bieten, das sie im Homeoffice nicht haben. Unser Büro ist eingerichtet wie ein tolles Hotel oder ein schönes Zuhause, das inspiriert. So kann genau das entstehen, worum es geht: ein soziales Erlebnis. Wir Menschen sind soziale Wesen. Seit Jahrtausenden versammeln wir uns um das Lagerfeuer. Am Ende ist ein Büro nichts anderes als ein Lagerfeuer. Das Problem ist nur: Wenn ein Büro keine Wärme ausstrahlt wie ein Lagerfeuer, sondern nur Kälte, dann gibt es überhaupt keinen Grund, um dort hinzugehen. Wenn du glaubst, dass das Büro ein Ort ist, wo du Tische und Sessel aufstellst, wirst du damit keine Leute anziehen.
Hinzu kommt, dass die Anzahl der Menschen, die überhaupt angezogen werden können, sinkt. Es wird weniger Menschen geben, die arbeiten. Was bedeutet das für die Unternehmen?
Philipp MaderthanerDa gibt es ein paar völlig verrückte Zahlen. Der Jahrgang, der jetzt in Pension gehen wird, zählt circa 125.000 Leute, während der Jahrgang, der nun ins Berufsleben eintritt, nur 75.000 Menschen beträgt. Somit wird die Workforce auf 60 Prozent reduziert. Und diese 60 Prozent wollen nicht Vollzeit arbeiten, sondern im besten Fall 32 Stunden. Das heißt, dass wir bei einer Workforce von 45 Prozent bleiben. Das wird sich über die Jahre verfestigen. Es gibt Unternehmen, die bereits ihre Produktion einschränken, Gastronomiebetriebe haben mehr Ruhetage. Das heißt, die Wertschöpfung wird heruntergefahren, und damit das Wachstum. Das wird einen Impact haben. Einen Impact, der vor allem für die Unternehmen bedeutet, dass es ganz neue Qualitäten brauchen wird, um voranzukommen. Eine dieser Qualitäten ist Effizienz. Die Zeit, in der du PS auf der Straße gelassen und dir aufgeblähte Strukturen geschaffen hast, ist vorbei.
Ist dieses Bewusstsein schon angekommen?
Philipp MaderthanerÜberhaupt nicht. Ich habe das Gefühl, die meisten beschäftigen sich mit dem Kommentieren der Krise und nicht mit dem Gestalten. Doch irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem wir uns fragen müssen: Was passiert hier eigentlich? Welcher Zustand etabliert sich? Und wie bauen wir darauf etwas Neues auf? Ich habe für mich immer den Anspruch gehabt, kein Quatschkopf zu sein, also nicht nur zu kommentieren. Sondern ein Macher, so wie euer Magazin es sagt.
Was können wir also machen? Brauchen wir für diesen neuen Boden völlig neue Werkzeuge, funktionieren die alten nicht mehr?
Philipp MaderthanerDas ist der schmerzhafte Teil. Krise heißt Weggabelung. Weggabelung heißt Veränderung und Veränderung heißt loslassen. Also ja, nicht alles, was wir aktuell haben, wird es in die nächste Ära schaffen. Ein Beispiel, das du vorher angesprochen hast, sind die Büros. Wir haben alle unsere Paläste gebaut. Wir haben personelle Settings geschaffen, für jede Tätigkeit immer gleich neue Leute engagiert, wollten immer größer werden. Wir haben ein Produkt nach dem anderen herausgestampft, weil es eh wurscht ist, irgendwo wird man es online schon verkaufen können. Nicht alles davon wird es in die neue Ära schaffen. Also ja, es heißt auch, loszulassen.
Abwarten, bis die Krisen vorbeigehen, und dann wieder mit der altbewährten Strategie losstarten macht also keinen Sinn?
Philipp MaderthanerEs wird anders. Die große Boomphase der vergangenen 20 Jahre, das Hyperwachstum wird, wie ich glaube, nicht mehr zurückkommen. Das heißt aber nicht, dass es schlechter wird. Es liegt an uns, ob es besser wird. Bei mir ist das „Es geht los“-Gefühl jetzt schon da, aber es geht eben anders los.
Wachstumspläne sind in dieser neuen Ära fehl am Platz?
Philipp MaderthanerEs wird natürlich immer noch Betriebe geben, die wachsen. Das steht völlig außer Frage. In vielen Fällen werden wir aber andere Formen von Wachstum erleben. Wachstum haben wir bisher sehr im Äußeren definiert. In Zukunft wird es stärker um inneres Wachstum gehen. Wie können wir über uns hinauswachsen und Exzellenz erreichen? Deshalb gilt es, eine kritische Überprüfung zu machen, was weiterhin Nutzen stiftet. Was braucht es wirklich und was dient auf der anderen Seite vielleicht nur unserem Ego? Für das, was dem Ego dient, wird es keinen Platz mehr geben. Die Selbstverständlichkeit, mit der wir alles auf Wachstum aufbauen, wird vorbei sein.
Um diese Exzellenz zu erreichen, braucht es exzellente Leistungsträger:innen. Doch wie kann die ein Unternehmen halten, wenn deren Forderungen immer höher werden?
Philipp MaderthanerDiese Frage beschäftigt mich selbst als Unternehmer extrem. Wir sind jetzt am Ende eines Zyklus von fast 400 Jahren Industrialisierung. Dieser hat mit der absoluten Unterwerfung von Arbeiter:innen begonnen. Das Pendel schlägt jetzt in die andere Richtung – der Druck kommt von den Arbeitnehmer:innen, jetzt sollen sich die Arbeitgeber:innen unterwerfen. Gefordert werden 32 Stunden, Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich, hundertprozentige Flexibilität und eine immer länger werdende Liste an Ansprüchen. Natürlich funktioniert es so in dem Ausmaß nicht. Da wird es einen großen Clash geben. Aktuell wünschen sich die Mitarbeiter:innen die Freiheit des selbstständigen Seins mit der Sicherheit des angestellten Seins. Diese Gleichung wird nicht funktionieren, die werden die Unternehmen nicht lösen können. Weil die wenigsten Unternehmen die Rentabilität haben, um das schlucken zu können.