So verlockend dies auch alles klingen mag – nicht alles ist so glänzend wie es scheint und es braucht vor allem mehr als eine Einkaufstasche, um sich am Weltmarkt zu bedienen. „Ohne eine globale Marktstrategie ist das Debüt auf internationalem Parkett riskant und kann schließlich sogar das Aus für ein Unternehmen bedeuten“, sagt Michael Neubert, Experte für globale Geschäftsstrategien. Er weiß, welche Erfolgsprinzipien einer gelungenen Expansion zugrunde liegen. Also fragen wir ihn danach.
Es läutet. Drei Mal. Dann meldet sich eine freundliche Männerstimme: „Michael Neubert, hallo?“ Wie vereinbart, möchten wir den Autor des neuen Bu- ches „Globale Marktstrategien“ zum Thema Internationalisierung inter- viewen. „Wahnsinn, pünktlich auf die Minute!“ zeigt der Schweizer sich regelrecht überrascht. Wobei das doch eigentlich gar nicht so überraschend ist. Denn – und dazu kommt er später zu sprechen – Österreicher sind welt- weit bekannt für ihre Pünktlichkeit.
Welche Chancen und welche Risiken bringt die immer weiter voranschreitende Internationalisierung mit sich?
NeubertDie Chancen sind gerade für Volkswirtschaften wie Österreich, die viele erfolgreiche Unternehmen ha- ben, riesig! Sie erschließen sich neue profitable, wachsende Absatzmärk- te und kostengünstige Produktions- standorte und bekommen Zugang zu qualifizierten Mitarbeitern und Wissen. Dem Ganzen stehen aber auch Risiken gegenüber. Der Schritt ins Ausland ist vergleichbar mit der Gründung eines neuen Unternehmens in einem unbe- kannten Markt. Darüber hinaus verfü- gen viele neue Märkte unter anderem noch nicht über eine gute Infrastruktur oder Rechtssicherheit – dringt man nun in so einen Markt ein, ohne ihn zu kennen, ist das Risiko dort zu scheitern, natürlich groß.
Wie soll man diesem Risiko begegnen?
NeubertSchrittweise vorgehen – indem man sehr viele Informationen über den Markt sammelt, um Chancen und Risiken zu erkennen. Nur weil eine Wirtschaftsdelegation nach China fährt und von dem Markt schwärmt, sollte man noch nicht mit großem Hurra in diesen Markt reingehen. Bei neuen Märkten geht es immer darum, möglichst schnell zu lernen, wie man strukturiert die Chancen dieses Marktes nutzen kann.
Wie willkommen ist Österreich überhaupt am Weltmarkt?
NeubertÖsterreich hat einen sehr guten internationalen Namen, eine ausgezeichnete Reputation. Man verbindet mit Österreich Pünktlichkeit, Verlässlichkeit und hohe Qualität. Die Wirtschaft tritt im Ausland sehr professionell auf – mit der Marke „Advantage Austria“. Die Bereitschaft, im jeweiligen Land die Wirtschaft zu unterstützen ist sehr groß. Dennoch ist kein ausländisches Unternehmen automatisch willkommen, Konkurrenz ist selten erwünscht. Man muss sich erst in den Markt integrieren und das braucht seine Zeit. Dazu ist eine professionelle Vorgangsweise bei der Internationalisierung extrem wichtig.
Was sind die häufigsten Fehler, die passieren, wenn man neue Märkte erschließen möchte?
NeubertDass man zu schnell und nicht schrittweise in einen Markt reingeht. Zum Beispiel passiert es oft, dass man einem Kunden ins Ausland folgt, dass man über irgendwelche Zufälle oder kurzfristige Chancen einen Markt erschließt. Ohne die Frage zu stellen: Passt dieser Markt überhaupt zu mir? Und irgendwann sitzt man auf einem Portfolio an Auslandsmärkten, die eigentlich gar nicht zum Unternehmen passen. Einer der größten Fehler ist auch oft die mangelnde Erfahrung des Managements – das Bewusstsein, dass andere Märkte im Ausland anders sind. Markteintritte scheitern selten am Markt, sondern meistens an den beteiligten Personen. Außerdem sollte man sich von Rückschlägen nicht gleich einschüchtern lassen. Ein Markteintritt braucht Zeit!
Trotz ausführlicher Analyse im Vorfeld kann es passieren, dass die Erwar- tungen an einen bestimmten Markt nicht erfüllt wurden – was bedeutet der Entschluss „Marktaustritt“? Wann ist er notwendig, wie geht man dabei vor?
NeubertJedes internationale Unternehmen sollte fähig sein, Marktaustritte professionell und kostenbewusst abzuwickeln. Hierzu habe ich einen speziellen Marktaustritts-Prozess entwickelt, mit dem ein Unternehmen schneller, mit weniger Kosten und ohne die eigene Reputation zu beschädigen aus einem Markt austritt. Ein Marktaustritt ist kein Scheitern! Es gibt viele Gründe, die einen Austritt oder eine Reduktion der Präsenz auf dem Markt absolut ratsam erscheinen lassen. Man muss erkennen: Woher kommen die Ursachen? Sind es externe Ursachen wie politische, rechtliche oder wirtschaftliche Veränderungen, wo es oft keinen Sinn mehr macht, zu bleiben. Oder sind es interne Ursachen wie etwa ein Management- oder Strategiewechsel, der zum Beispiel die Konzentration auf Kernmärkte beinhaltet. Manchmal passieren auch Fehleinschätzungen in Märkten, vor allem in der Personalauswahl.
Worauf kommt es denn an bei der Personalauswahl im Ausland?
NeubertDas ist ein ganz wichtiges Thema! Der Erfolg jedes Internationalisierungsprojekts hängt zu 50 Prozent von der Auswahl der richtigen Mitarbeiter ab. Diese benötigen einerseits eine hohe Kompetenz und langjährige Erfahrung in der Erschließung neuer Auslandsmärkte sowie andererseits aber auch die Fähigkeit, die eigenen Wettbewerbsvorteile an die lokalen Rahmenbedingungen, anzupassen. Hinzu kommt eine hohe interkulturelle Kompetenz beziehungsweise die Fä-higkeit, mit Mitarbeitern aus anderen Kulturen effizient zu kommunizieren.
Wie kann man sich dieses Wissen und die Fähigkeit aneignen?
NeubertStudiengänge mit Ausrichtung auf internationales und interkulturelles Management sind auch in Österreich stark im Wachsen. Darüber hi- naus gibt es viele Informationen von der Wirtschaftskammer. Und natürlich braucht es persönliche Erfahrungen. Perfekt ist es, wenn es einem Unter- nehmen gelingt, die Stärken von Mitarbeitern zu nutzen, die aufgrund ihrer Herkunft oder Berufserfahrung andere Kulturen bereits kennen.
Welche Rolle spielt die Wahl der Rechts- form des Unternehmens, wenn es am internationalen Markt erfolgreich sein will?
NeubertEine sehr große Rolle, um lo- kale Marktrisiken zu reduzieren. Ein Beispiel: Sie können grundsätzlich alles von Ihrer Muttergesellschaft ex- portieren. Es macht aber Sinn, eine Tochtergesellschaft zu gründen, wel- che die vollen Risiken (zum Beispiel Produkthaftungsrisiken) trägt, um die Existenz der Muttergesellschaft nicht zu gefährden.
Was sind im Moment die größten Wachstumsmärkte? Welche, glauben Sie, werden es in Zukunft noch sein?
NeubertIm Moment wachsen die Schwellenländer, die sogenannten Growth 8, sehr stark. Allerdings empehle ich jedem Unternehmen nicht auf kurzfristige Wachstumszahlen zu sehen, sondern die langfristige Attraktivität eines Marktes zu analysieren. Hier gibt es aus meiner Sicht zwei wichtige Kriterien. Einerseits die Größe und das Wachstum eines Landes sowie andererseits dessen Vernetzung mittels bilateraler Freihandelsabkommen oder einer Mitgliedschaft in einer Freihandelszone. Zum Beispiel kann es für ein österreichisches Unternehmen sinnvoll sein, eine Produktionsstätte in Mexiko zu eröffnen. Neben dem eigenen Markt bietet Mexiko durch die Mitgliedschaft in der nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) auch den Zugang in die USA und Kanada sowie über die Pazifik-Allianz den Zu- gang nach Mittel- und Südamerika. Als mittelständisches Unternehmen kann ich damit mit einem einzigen neuen Standort Zugang zu weiteren Märkten haben. Damit werden vor allem gut vernetzte Märkte mit stabilen wirtschaftlichen und politischen Rahmen- bedingungen, die sogenannten SWACs (= small well administered countries) immer attraktiver. Zum Beispiel suche ich mir als Unternehmen einen attrak- tiven regionalen Standort wie Singapur, produziere günstig in Malaysia und verkaufe die Produkte in wichtige re- gionale Absatzmärkte wie Indonesien, Korea, Japan und China.
Wie wird sich die wirtschaftliche Rolle von Europa weiterentwickeln?
NeubertTendenziell wachsen die Schwellen- und Entwicklungsländer in den letzten Jahren stärker als die traditionellen Industrieländer. Das wird zur weltweiten Angleichung der Lebensverhältnisse führen, was auch aus der Sicht Europas zu begrüßen ist. Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass wir in Zukunft eine multipolare Welt haben werden, in welcher Europa immer noch eine wichtige Rolle spielen wird. Für Unternehmen bedeutet dies jedoch, dass sie in den wichtigsten Regionen weltweit präsent sein müssen, um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben.
In Europa spricht man immer öfter von sogenannter Work-Life-Balance, die neue Generation setzt nicht mehr so sehr auf eine steile Karriere. In Ländern wie China ist das ganz anders. Hier wird gearbeitet und gearbeitet. Überholen uns diese Länder?
NeubertChina wird sicherlich aufholen. Die Menschen dort sind sehr fleißig und lernwillig. Doch auch sie haben ähnliche Bedürfnisse wie wir. Sobald sie sich einen gewissen Wohlstand erarbeitet haben, treten andere Bedürfnisse in den Vordergrund wie Gesundheit, Urlaub, Freizeit. Ich denke, das ist eine ganz natürliche Entwicklung. Ös- terreich kann von dieser Entwicklung profitieren. Sobald die Mittelschicht in den Schwellenländern mehr Wohlstand hat, hat sie auch mehr Geld für den Kauf österreichischer Produkte und kann nach Österreich auf Urlaub fahren._
Markteintritt in vier Schritten
nach Michael Neubert
Schritt 1: MARKTBEWERTUNG UND MARKTAUSWAHL
Stellen Sie sich folgende Fragen: Kann ich mit meinen Fähigkeiten im Ausland punkten? Gibt es mein Produkt dort schon, welcher Preis ist angemessen? Haben Kunden überhaupt Interesse an meinem Produkt, kann ich dort Nutzen stif- ten? Andere Märkte sind immer anders – im Hinblick auf Vertriebs- wege, Kaufverhalten, Kundenbe- dürfnisse und Gesetze.
Schritt 2: MARKTVORBEREITUNG
Passen Sie Ihr Geschäftsmodell – zum Beispiel Packungsgröße, Vertriebswege und Marketing – an die Besonderheiten des Marktes an.
Schritt 3: MARKTEINTRITT
Erschließen Sie den Markt schritt- weise. Nur dadurch kann man ler- nen und gleichzeitig Risiken im Griff haben. Fangen Sie zunächst an, Ihre Produkte zu exportieren. Erst mit entsprechendem Markt- erfolg, bauen Sie Niederlassungen auf, vertreiben Ihre Produkte vor Ort, verlagern eventuell auch Kun- denservice, Lager und Montage ins Ausland.
Schritt 4: MARKTENTWICKLUNG UND MARKTWACHSTUM
Das lokale Management muss das Geschäftsmodell mit zunehmendem Wachstum immer mehr dem Auslandsmarkt und seiner Kultur anpassen. Was nicht immer leicht ist, denn: Manager der Hauptverwaltung geben ungern Kompeten- zen ab. Hier ist sehr viel politisches und diplomatisches Geschick, einiges an Überzeugungsarbeit und ein kompetentes Entscheidungsgremium notwendig.