„Wenn man sich im Landeanflug befindet, ist nicht der richtige Zeitpunkt, um sich Gedanken zu machen, was man später am Nachmittag zur Jause isst“, sagt Kräftner, während er seine Pilotentasche mit Kopfhörern, Flugkarte und Navigationsgerät neben einer zweisitzigen Diamond Katana abstellt. „Im Hier und Jetzt zu sein ist unerlässlich für einen Piloten, in der Businesswelt ist das ähnlich.“ Wir befinden uns im Hangar des Flugplatzes in Wels, in dem Dutzende Flugzeuge stehen. Seit seiner ersten Flugstunde ist Kräftner nun in seiner Freizeit regelmäßig hier. „Das war der Moment, in dem ich mit dem Flugvirus infiziert wurde. Das Gefühl war einfach überwältigend“, erinnert er sich. Mehr als 20 Flugstunden im Jahr gehen sich trotzdem kaum aus für ihn, Kräftner sieht sich als „Casual Flyer“. Also kein Luftsport bis zur Perfektion, dafür mal eben zur Entspannung nach Klagenfurt fliegen, im Wörthersee baden und am Abend wieder heim. Dass er nicht öfter abheben kann, hat zwei Gründe. Erstens die zeitintensive Aufgabe als Geschäftsführer eines rapide wachsenden Software-Unternehmens, zweitens die klimatischen Bedingungen in Oberösterreich. „Ich betreibe Sichtflug, dabei ist man komplett vom Wetter abhängig, das ist die freieste Art zu fliegen“, sagt Kräftner. Besonders im Zentralraum macht der Nebel öfters einen Strich durch die Rechnung. Auch heute: Eigentlich wollten wir das Interview über den Wolken führen, stattdessen bleiben wir im Hangar. Aber Österreich hat auch viele Vorteile für Piloten. „Fliegerisch gesehen ist das eine der schönsten Gegenden der Welt, von Wels aus fliegst du ein paar Minuten und kannst um den Traunstein touren“, sagt Kräftner. Das erfordert besonderes Können: Deutsche Piloten müssen sich dafür separat ausbilden lassen, im österreichischen Flugschein ist die Alpineinweisung schon integriert.
Fliegen – mehr als nur Hobby
Wie viele Parallelen es zwischen dem Aufgabenbereich von Piloten und Geschäftsführern gibt, wurde Kräftner erst nach einigen Flugstunden bewusst. „Besonders in Krisensituationen agiert man ähnlich“, sagt der CEO. Oberstes Gebot bei einem Notfall in der Luft: Avigate, navigate, communicate. Also zuerst das Flugzeug weiter steuern, dann Kurs bestimmen und im dritten Schritt Hilfe anfordern. „Auch im Geschäftsleben muss man zuerst tun, was zu tun ist, dann eine Strategie ausarbeiten und danach kommunizieren“, sagt Kräftner. Und wie auch in einem Unternehmen macht Planung vor der Umsetzung einen großen Anteil der Zeit aus.
Kräftner ist eines von mehr als 600 Mitgliedern, die der Verein „Weiße Möwe“ hat, der sich um die Leitung des Flughafens kümmert. 365 Tage im Jahr ist hier geöffnet, die Mitglieder können aus einem großen Pool an Flugzeugen auswählen. „Das Ganze funktioniert wie bei dem Car2Go-Konzept, man kann online reservieren, das Konzept ist modern und unkompliziert“, schwärmt Kräftner. Bedingung natürlich: die nötige Ausbildung und Erfahrung mit dem Fluggerät. Der Flugplatz ist der größte öffentliche Zivilflugplatz Europas in Vereinshalterschaft und hätte fast einer neuen Flächenwidmung weichen müssen. Nur weil seltene Wiesenvögel am Gelände brüteten und Teile des Flugplatzgeländes zum EU-Vogelschutzgebiet erklärt wurden, blieb der Flugplatz letztendlich erhalten. Für Kräftner ein Glücksfall. „Für mich ist in dieser Diskussion die wirtschaftliche Relevanz des Standortes immer zu kurz gekommen“, sagt er, „ein Flugplatz ist als Entwicklungsstandort nicht zu unterschätzen.“ Motorenhersteller Rotax testet hier Motoren, der Feuerwehrautohersteller Rosenbauer nutzt das Gelände für Vorführungen, regelmäßig steigen hier Corporate-Flieger von Unternehmen in den Himmel. „Manchmal wird die Fliegerei wie ein Hobby von ein paar Trotteln dargestellt, dabei ist sie als Wirtschaftsfaktor gerade in Oberösterreich von Bedeutung.“
Celum hebt ab
Wäre Kräftner nicht so intensiv mit seiner Tätigkeit als Geschäftsführer von Celum beschäftigt, wäre er vermutlich jedes Wochenende hier am Hangar. Sein Softwareunternehmen wächst schnell: „Wir haben mittlerweile mehr als 100 Mitarbeiter“, sagt der CEO, „das vergangene Jahr war sehr erfolgreich für uns.“ 30 Prozent konnte man beim Umsatz zulegen, der Lizenzumsatz wurde beinahe verdoppelt. „In den vergangenen Jahren sind wir in Prozent und in absoluten Zahlen nie stärker gewachsen als jetzt, auf dieses gesteigerte Wachstum trotz zunehmender Größe sind wir stolz“, sagt Kräftner. Und in diesem Tempo soll es weitergehen. Dafür müssen neue, qualifizierte Mitarbeiter gefunden werden. Bis Ende 2017 soll die Belegschaft abermals um 20 Prozent mehr werden. „Technische Fachkräfte sind nach wie vor sehr schwierig zu bekommen“, erzählt der Geschäftsführer. Um einen Vorteil zu haben, sucht Celum mittlerweile intensiven Kontakt zu Universitäten, unterstützt Kooperationsprojekte und ist auf Schülerebene tätig, wo in Projekten Kindern das Programmieren schmackhaft gemacht werden soll. Ein Hindernis weniger bei der Mitarbeitersuche ist, dass IT-Berufe mittlerweile wieder auf der Liste der Mangelberufe stehen, so können relativ unkompliziert Menschen aus Drittstaaten angestellt werden. Um den Fachkräftemangel insgesamt in der Branche zu beheben, wird das aber nicht reichen, sagt Kräftner. „Es ist eine Herausforderung für die Politik, dass technische Berufe attraktiver dargestellt werden und junge Menschen bei ihrer Berufswahl unterstützt und beraten werden“.
Der Nebel hat sich immer noch nicht verzogen, an ein Abheben ist also auch jetzt noch nicht zu denken. Aber Risiko will Kräftner keines eingehen. „Respekt ist in der Fliegerei wichtig und auch, für andere mitzudenken.“ Ob er schon einmal Angst als Pilot hatte? „Nein, das nicht, aber kuriose Überraschungen hat es schon gegeben“, erinnert er sich und schmunzelt. Etwa das eine Mal, als er bei einem Rundflug von der Fluginformation kontaktiert wurde, einer Art Verkehrsfunk. „Sie haben mich gewarnt, dass von rechts auf meiner Flughöhe ein schweres Flugzeug auf mich zukommt“, sagt Kräftner, „ich habe das zuerst gar nicht glauben können, weil so große Flieger in der Flughöhe normal nicht anzutreffen sind.“ In dem Fall war es eine gewaltige Herkules-Maschine des Österreichischen Bundesheers, die Piloten trainierten wohl gerade Tiefflug-Manöver. „Zum Glück waren sie doch relativ weit weg, wirkliche Gefahr bestand keine.“_
"Im Hier und Jetzt zu sein ist unerlässlich für einen Piloten, in der Businesswelt ist das ähnlich."
Michael KräftnerGeschäftsführer, Celum