Sein Vater erlaubte ihm nicht, Koch zu werden, also wurde er Uhrmachermeister. Und zwar der einzige in Oberösterreich mit allen Rolex-Zertifizierungen, die es gibt. Als Prokurist des Rolex-Fachhändlers Liedl in der Linzer Landstrasse hat Maximilian Carmann täglich mit wertvollen Uhren und Juwelen zu tun. Einer seiner größten Erfolge betrifft aber den Sport.
Max Carmann unterhält sich angeregt mit einem Trainer, als wir das Fitnessstudio John Harris Fitness betreten. Es ist Mittag und nicht sehr viel los. Eines fällt jedoch auf. Kaum jemand geht an Carmann vorbei, ohne ihn anzusprechen. Er scheint hier schon länger regelmäßig ein und aus zu gehen und viele Leute zu kennen „Für mich ist das Schöne am Fitnessstudio das Clubleben. Ich habe hier viele Freunde kennengelernt. Und weil ich ein sehr kommunikativer Mensch bin, ist das die optimale Möglichkeit, Sport zu betreiben.“ Carmann nutzt den Sport wie viele andere, um abzuschalten und den Kopf frei zu bekommen. Das ist an sich noch nichts Außergewöhnliches. Bewegung hat aber dennoch einen viel höheren Stellenwert in seinem Leben als bei manch anderen Menschen. Bis zu seinem 34. Lebensjahr hatte Carmann absolut keinen Bezug zu Sport, dann war für ihn klar: „Ich will nicht mehr so weitermachen“. Mit einem Körpergewicht von 150 Kilogramm verspürte er einen Leidensdruck, der es ihm unmöglich machte, sein Leben wie gewohnt fortzusetzen. Mithilfe von Fitness und einer Ernährungsumstellung verlor er über ein Drittel seines Gewichts und lernte ein ganz neues Lebensgefühl kennen.
Wie neugeboren
Was damals für ihn Notwendigkeit war, um wieder glücklich zu werden, ist heute ein integraler Bestandteil seines Lebens: „Nach einem anstrengenden Workout fühle ich mich regeneriert. Man ist neu geboren und das ist ein unheimlich tolles Gefühl – ich möchte es nicht mehr missen. Aber das sind Effekte, die ich erst jetzt kenne, am Anfang war es sehr schwierig.“ Carmann braucht den Sport, um die Dinge um ihn herum einfach abzuschütteln und einen Ausgleich zu finden.
Diesen Ausgleich versucht er auch als Führungskraft im Unternehmen zu schaffen: „Es soll möglich sein, dass jeder seine Tätigkeiten ausübt, ohne dass ich ununterbrochen Anweisungen geben muss. Das Team muss so zusammengestellt sein, dass es ein selbstlaufender Motor ist.“ Auf die Frage, was eine gute Führungskraft ausmache, meint er: „Qualifikation ist für mich entscheidend. Als Führungskraft muss man auch etwas können. Nur Führungskraft zu sein ist zu wenig.“ Seiner Ansicht nach passiert es viel zu oft, dass Mitarbeiter von oben schlecht behandelt werden. Max Carmann beschreibt seine Rolle als Führungskraft so: „Ich muss Menschen auf die Füße helfen, ohne ihnen auf die Zehen zu steigen.“
Seine Arbeit als Rolex-Experte macht Carmann seit mittlerweile mehr als 20 Jahren. Angefangen hat alles im Waldviertel in Niederösterreich. Bereits als Kind weiß Carmann, welchen Beruf er später ergrei- fen möchte: Er will eine Hotelfachschule besuchen und Koch werden. Doch daraus wird nichts – sein Vater verbietet es. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht einmal warum. Aber mein Vater kannte den damaligen Direktor der Uhrenfachschule in Karlstein sehr gut. Ich mochte Modellbau und die Schule war nur einen Katzensprung von meinem Heimatort entfernt, also lernte ich die Uhrmacherei.“
Faszination Uhrwerk
Die Uhrenschule in Karlstein ist die einzige Ausbildungsstätte für den Beruf Uhrmacher in ganz Österreich. Carmann ist überzeugt, dass Uhrmachermeister derzeit sehr gefragt sind, aber örtlich flexibel sein müssen. In der Schweiz bekomme man sofort einen Job, während es hier schon schwieriger sei. Obwohl Carmann selbst ursprünglich einen anderen Beruf ergreifen wollte, ist es für ihn heute immer noch faszinierend, ein Uhrwerk zu zerlegen. Jedes Mal wartet er gespannt darauf, was ihn im Inneren der Uhr erwartet. Carmann hat viele Fortbildungen besucht und gilt mittlerweile als Rolex-Experte. Als einziger Oberösterreicher besitzt er alle technischen Zertifizierungen von Rolex. Vor zwei Jahren machte er zudem die Ausbildung zum Diamantgutachter an der Gemmologischen Akademie in Linz. Und sein Alltag als Uhrmachermeister? „Bis vor Kurzem gab es in meinem Job nicht sehr viel Routine, weil wir umgebaut ha- ben. Jetzt wird auf zwei Etagen gearbeitet, es gibt zusätzliche Räumlichkeiten wie Uhrmacherateliers und Vorstellungsräume. Sonst ist mein Arbeitsalltag aber schon strukturiert. Ich weiß vorher: Heute bin ich mehr im Atelier, im Büro oder im Verkaufsraum.“
Wenn Max Carmann abends das Uhrmacheratelier verlässt, führt ihn sein Weg mindestens drei Mal die Woche ins John Harris Fitness. Seit über zehn Jahren, egal ob Sommer oder Winter. Man merkt ihm an, wie stolz er auf die Wendung ist, die sein Leben genommen hat – zu Recht. „Noch heute habe ich das Völkerballspielen in Erinnerung. Wir suchten die Teams aus. Und am Schluss blieb einer übrig. Den Dicken wollte niemand im Team haben.“ Diese Erfahrungen haben Max Carmann geprägt. Lange hatte er diese Momente im Kopf und dachte sich: „Irgendwann schaffe ich es.“ Mit großer Genugtuung besucht er heute Klassentreffen und lächelt bei Fragen wie: „Was?!! Das ist der Carmann?“
Könnte er sein Leben rückwirkend ändern, würde er viel früher damit beginnen, regelmäßig Sport zu treiben. Am Anfang dachte er, ein Fitnessclub sei nicht sein Ding. Schnell merkte Carmann, wie auffällig unauffällig er im Club trainieren kann und dass viele nicht die perfekte Figur haben. Er ist überzeugt davon, dass sehr viele Menschen, vor allem übergewichtige, insgeheim unzufrieden sind, nach außen aber so tun als sei alles in Ordnung. Max Carmann weiß, dass vieles im Leben ganz anders kommt als geplant, es aber letztlich an einem selbst liegt, etwas zu ändern, wenn man unglücklich ist. Der Beruf des Uhrmachermeisters war nicht seine Entscheidung, erfolgreicher Prokurist und Experte auf seinem Gebiet zu werden, schon. Vom Außenseiter zu einem kommunikativen und umgänglichen Menschen zu werden, auch.