Führen auf Vorstandsebene? Will gelernt sein. Denn schließlich führt man ja nicht nur Geschäfte. Sondern vor allem seine Mitarbeiter. Und natürlich sich selbst. Doch wie findet man seinen eigenen Führungsstil? Durch Erfahrung? Oder durch Vorbilder? Und wie hat sich das Versicherungswesen durch die Coronakrise verändert? Wir haben beim neuen Vorstandsduo der Oberösterreichischen Versicherung nachgefragt.
Was war die größte Veränderung, die Sie durch den Wechsel vom Vorstandsmitglied zum Generaldirektor und Vorstandsvorsitzenden Anfang des Jahres erfahren haben?
NAGLEs ist vor allem das Gefühl, dass nun die Endverantwortung bei mir liegt. Aber das ist nicht belastend, weil wir in einem super Team arbeiten und Mitarbeiter haben, auf die wir uns verlassen können. Anders wäre es nicht möglich, in einem Haus dieser Größe mit einem Zweier-Vorstand zu arbeiten. Durch das Vertrauen in unsere Bereichsleiter können wir Aufgaben mit gutem Gefühl loslassen.
Frau Kühtreiber-Leitner, Sie waren vorher bereits seit neun Jahren leitende Mitarbeiterin der OÖ Versicherung, zuvor waren Sie als Bürgermeisterin in Hagenberg tätig. Was war Ihre größte Herausforderung beim Wechsel in die Vorstandsebene?
KÜHTREIBER-LEITNERIch bin bis jetzt sehr operativ tätig gewesen und deswegen war die größte Herausforderung für mich die andere Flughöhe. Als Vorstandsmitglied muss man aufpassen, dass man die bereichsleitenden Führungskräfte ihre Arbeit machen lässt, ohne sich stets ins Tagesgeschäft einzumischen. Das musste ich lernen und mir immer wieder verinnerlichen: einerseits genau Bescheid zu wissen, aber andererseits die Mitarbeiter arbeiten zu lassen.
Wie führen Sie sich selbst?
NAGLBevor ich 2008 in den Vorstand gekommen bin, war ich zehn Jahre Rechnungswesenleiter im Unternehmen. Meinen Einstieg ins Berufsleben habe ich bei KPMG verbracht. Rechnungswesen ist meine große Leidenschaft und deswegen denke ich gerne strukturiert. Ich fühle mich am wohlsten, wenn ich Vorgänge ordne und dadurch ein Problem in den Griff bekomme. Unvorhergesehene Ereignisse fordern mich heraus und beflügeln mich beim Finden kreativer Lösungen.
KÜHTREIBER-LEITNERIch bin ein offener und kommunikativer Mensch, der sehr unter den Maßnahmen der Coronakrise leidet, weil mir die Veranstaltungen und Menschen abgehen. Ich bin im positiven Sinne neugierig und schöpfe daraus meine Ideen. Bei mir muss immer etwas in Bewegung sein. Für mich sind Kommunikation und der Austausch im Team ganz wichtig, weil so neue Ideen entstehen, die man zulassen muss.
Wie würden Sie Ihren Führungsstil im Unternehmen beschreiben?
NAGLIch lege großen Wert darauf, dass wir als Team funktionieren: im Vorstand, aber auch mit unseren Mitarbeitern und Bereichsleitern. Der Teamgeist soll durch das ganze Haus wehen. Ich möchte vor allem im Innendienst keinesfalls eine Starkultur. Im Vertrieb sind diejenigen die Besten, die, die meisten Prämien kassieren und die meisten Abschlüsse erzielen. Natürlich gibt es im Vertrieb Wettbewerbe, bei denen man einen Sieger braucht, aber nicht im Innendienst. Hier ist es wichtig, über die Bereichsgrenzen hinaus zusammenzuhelfen, um gemeinsam zu einer guten Lösung zu kommen.
KÜHTREIBER-LEITNERIch sehe unseren Erfolg auch in einer guten Teamarbeit. Wir haben sehr viele junge Führungskräfte im Team, denen die Arbeit Spaß macht und die motiviert sind. Diese müssen aufgrund der geringen Erfahrung mit den älteren Mitarbeitern gut zusammenarbeiten, damit man das im Team ausbalancieren kann. Im Vertrieb, in dem auch der Großteil der Mitarbeiter tätig ist, sollen unsere Mitarbeiter hinter Entscheidungen und deren Umsetzung stehen. Und hier müssen wir als Führungskraft auch hinter denjenigen stehen, die anderer Meinung sind und die etwas Neues ausprobieren möchten. Eine gute Fehlerkultur gehört ebenfalls zu einer erfolgreichen Teamarbeit.
Die jüngeren Generationen im Arbeitsleben, Generation Y und Z, sind dafür bekannt, alle paar Jahre mal das Unternehmen zu wechseln. Wie kann man junge Leute in einem Versicherungsunternehmen halten?
KÜHTREIBER-LEITNERWir haben vergangenes Jahr einige Jungakademiker eingestellt. Ich bin ein Fan von Traineeprogrammen, weil ich es wichtig finde, dass Menschen mit wenigen Dienstjahren das gesamte Unternehmen sehen. Wir haben es bei drei Mitarbeitern perfekt umgesetzt, die sind nach einem Jahr sehr gut im Workflow drinnen, weil sie zuhören und aus jedem Bereich Wissen einbringen können. Davon profitiert das Unternehmen in allen Bereichen. Wichtig dabei ist, dass ältere und jüngere Generationen gegenseitiges Verständnis aufbringen und sehen, wo ihr gemeinsamer Mehrwert liegt.
Mit welchen Herausforderungen sehen Sie sich in Zukunft am meisten konfrontiert?
NAGLWir haben das Jahr 2020 trotz Coronakrise gut überstanden. Die kommende Zeit wird für die Versicherungswirtschaft sicher nicht einfach. In der Realwirtschaft haben Überbrückungshilfen, staatliche Unterstützungen und Kurzarbeit dafür gesorgt, dass keine große Arbeitslosigkeit bei unseren Kunden aufgetreten ist und kaum Insolvenzen angemeldet wurden. Viele scheintote Unternehmen konnten sich 2020 gerade noch über Wasser halten. Das Ende der Unterstützungen wird aber den Beginn von vielen Insolvenzen bedeuten und dazu führen, dass Privatkunden möglicherweise ihre Versicherungsverträge nicht mehr weiterführen können. Dazu wird es Prämienausfälle bei insolventen Unternehmen geben. Wir sind aber zuversichtlich, dass unsere Kundenklientel weniger betroffen sein wird, weil wir Klein- und Mittelunternehmen betreuen, die relativ gut aufgestellt sind. Außerdem ist die Arbeitslosigkeit in Oberösterreich trotz Coronakrise niedrig. Und nachdem auch viele Oberösterreicher bei sehr großen Unternehmen arbeiten, die gut durch die Krise kommen, blicke ich optimistisch in die Zukunft.
KÜHTREIBER-LEITNEREs gibt ein paar Einzelschicksale, die von der Krise bereits jetzt hart getroffen wurden. Im Oktober habe ich mit unserem ehemaligen Generaldirektor Stockinger Kunden besucht. Da waren auch Reisebüros und Busunternehmen dabei, bei denen wirklich Stillstand herrscht. Hier blutet einem das Herz.
Wie sehr wurde die Digitalisierung in Ihrem Versicherungsunternehmen im vergangenen Jahr vorangetrieben?
NAGLWir waren zum Glück schon gerüstet, sonst hätten wir das sicher nicht so schnell bewerkstelligt. Die digitalen E-Mail-Anträge, die wir im Rahmen der Versicherungsvertriebsrichtlinie vorher schon akribisch auf die Welt gebracht haben, haben wir im ersten Lockdown noch auf die Risikoversicherung ausgedehnt. Das war dann schon nochmal ein ziemlicher Kraftakt. Aber es hat uns jedenfalls vorangetrieben und wurde gut angenommen.
KÜHTREIBER-LEITNERDie digitalen E-Mail-Anträge haben sich im letzten Jahr auf 1.400 Anträge pro Monat fast verdreifacht. Grundsätzlich hat der Vertrieb immer gearbeitet und wir haben nach Kundenwünschen gehandelt: Wenn der Kunde Präsenz wollte, dann haben wir uns vorschriftsmäßig mit dem Kunden getroffen, wenn er sich digital treffen wollte, dann tauschten wir uns per Videocall aus. Wir haben jetzt das Großprojekt „Vertriebsstrategie Neu“ aufgestellt, in dem das Thema Digitalisierung im Versicherungswesen einen wichtigen Stellenwert hat. Wir setzen aber natürlich nach wie vor auf Nähe, das ist einfach unser USP. Diese Qualität durch Nähe prägt all unsere Bereiche wie ein Mantra und das startet damit, dass wir die Betreuer im Vertrieb persönlich gut kennen und diese jederzeit für uns oder für ihre Kunden persönlich erreichbar sind. Wir werden immer auf Nähe setzen, auch im digitalen Zeitalter, weil uns das als Regionalversicherung einfach ausmacht._