Er war alles andere als qualifiziert: drei Mal Studium abgebrochen, kaum länger als drei Monate beim selben Arbeitgeber, weder eine abgeschlossene Ausbildung in der Tasche, noch einen relevanten Kurs besucht. Und trotzdem stellte ihn sein heutiger Arbeitgeber vor acht Jahren ein. Mittlerweile leitet er den Vertrieb des mittelständischen Unternehmens, in keiner anderen Abteilung herrscht ein derartiger Teamgeist wie in seiner, die Umsatzzahlen steigen kontinuierlich an, er sei einer seiner besten Mitarbeiter, sagt der Geschäftsführer heute. Warum er ihn damals eingestellt hat? Das wisse er auch nicht mehr so genau, denn sein Lebenslauf sprach absolut gegen ihn. Es war wohl so etwas wie der sechste Sinn, der die Entscheidung beeinflusste.
Hätte seine Bewerbung bei einer Vorauswahl zunächst die Software eines Roboters überzeugen müssen, hätte er das Unternehmen wohl nie von innen gesehen. Einen sechsten Sinn besitzt ein Roboter schließlich nicht, oder? „Definitiv nicht, menschliche Komponenten fehlen dem Roboter zur Gänze“, sagt Markus Roth, der mit seinem Softwareentwicklungsunternehmen Creative Bits zwar noch keinen Recruiter-Roboter auf den Markt gebracht hat, wohl aber ein Softwareprogramm, das vor allem Klein- und Mittelunternehmen dabei unterstützen soll, die besten Mitarbeiter einzustellen. „Im Moment ist die Gefahr noch groß, dass man mit Roboter-Recruiting vielleicht ganz besondere Bewerber übersieht.“ Die Algorithmen würden aber immer besser werden, so Roth. Zum jetzigen Zeitpunkt rät er keinem Personaler oder Unternehmer, sich bei der Mitarbeiterauswahl ausschließlich auf einen Roboter zu verlassen, unterstützende Technologien bei einer Vorauswahl – gerade bei einer großen Anzahl von Bewerbern – seien aber längst zeitgemäß. Gerade jene Firmen, die keinen Personalchef haben, könnten so auf professioneller Basis Personal beschaffen. Denn was passiert, wenn zwischendurch oder als Antwort auf eine Stellenausschreibung Bewerbungen ins Unternehmen drudeln? Jemand – zum Beispiel ein Assistent – trifft eine erste Vorauswahl, welche stimmungsabhängig oder auch sehr vom Foto beeinflusst sein kann. Oft werden mittlerweile zwar zusätzliche Informationen aus dem Internet, vor allem von Social Media Plattformen, gesammelt – inwiefern diese jedoch tatsächlich relevant für die zu besetzende Stelle sind, ist selten klar. Man müsste unendlich viele Stunden vor dem Computer verbringen, um alle Daten über eine Person im Internet zu finden.
Daten, Daten, Daten
Einem Roboter hingegen ist es egal, ob er zehn oder 1.000 Datensätze durchforstet. „Der Computer ist der dümmste Mitarbeiter, aber er hat einen ganz entscheidenden Vorteil: Er ist extrem fleißig! Wenn ein Mensch gewisse Analysen, die ein Computer durchführt, auch machen würde, bräuchte er schon mal 5.000 Stunden für einen Bewerber“, erklärt Roth. Ein Computer checkt sozusagen alles über eine Person ab, wertet einen Fragebogen aus und analysiert aufgrund von Daten und Erfahrungen, die über bestehende Mitarbeiter zur Verfügung stehen, ob der Bewerber passen könnte. „Die Funktion dahinter geht ein bisschen auf den Big-Data-Ansatz zurück.“, weiß Markus Roth. „Der Computer versteht manche Gesetzmäßigkeiten wesentlich genauer als wir. Das ist ähnlich wie bei der Wettervorhersage: Die komplexen Berechnungen, die der Computer dabei durchführt, versteht ein Mensch gar nicht.“ Ebenso kann ein Roboter Zusammenhänge über die Eigenschaften eines Bewerbers mit dessen Eignung für den jeweiligen Job herstellen. Zunächst wird ein statistischer Mittelwert errechnet – welche Mitarbeiter sind am längsten im Unternehmen beschäftigt, welche sind besonders produktiv? Im zweiten Schritt ermittelt der Roboter Gemeinsamkeiten dieser Mitarbeiter. Dazu werden persönlichen Daten, Eigenschaften, Vorlieben und das Umfeld des Mitarbeiters beachtet. Die Software filtert schließlich Bewerber heraus, die genau jene Gemeinsamkeiten aufweisen. Dazu braucht es aber natürlich jede Menge Vergangenheitsdaten und Algorithmen, die auf die Gegenwart abzielen. Und genau deshalb ist Roboter-Recruiting in Europa bislang kaum verbreitet. Das europäische Datenschutzrecht macht es Robotern schwer, schließlich ist das Sammeln dieser persönlichen Daten weitreichend verboten.
Smarte Version für Europa
Markus Roth und sein Geschäftspartner Florian Mihalits haben daher eine europäische Version einer Recruiting-Software entwickelt. „Klaros“ nennt sich das Programm, welches sie ursprünglich für den Eigenbedarf entwickelt hatten. „Wir bekamen 200 Bewerbungen für einen Sekretariatsjob – ein Riesenstoß Bewerbungsmappen und unzählige E-Mails. Was tut man damit?“ erinnert sich Roth. Viele große Unternehmen hätten bereits Software- Programme für die Personalsuche und Auswahl im Einsatz. Klein- und Mittelunternehmen seien zumeist auf sich selbst gestellt und würden unzählige Stunden damit verbringen, eine Auswahl zu treffen. Man sucht sich etwa zehn Bewerber aus dem Riesenstapel heraus, von denen man denkt, sie könnten ins Team passen und das Anforderungsprofil möglichst gut erfüllen. Anschließend lädt man diese zehn Personen zum persönlichen Gespräch ein. Und dann? „Dann fällt es oft schwer, diese zehn tatsächlich miteinander zu vergleichen. Vielleicht stellte man einem Bewerber die entscheidende Frage gar nicht, vielleicht hatte er einen schlechten Tag, vielleicht war man zu abgelenkt vom Kleidungsstil – was auch immer“, sagt er. Mit dem Programm „Klaros“ soll dieser Prozess umgedreht werden: „Jeder einzelne Bewerber durchläuft denselben Prozess, bekommt dieselben Fragen gestellt, lädt Foto und Lebenslauf hoch und gibt seine Daten ein – danach werden die Daten und Antworten von Klaros analysiert.“ So erhalte man eine objektive Vergleichsbasis, die es einem wesentlich erleichtere, die Auswertungen in Ruhe durchzugehen und nur eine kleine Auswahl an Bewerbern schließlich zu einem persönlichen Gespräch einzuladen. Entscheidend dafür war aber weder ein Foto noch die Gestaltung der Bewerbung. Denn wenn ein Bewerber jemanden beauftragt, ihm ein geniales Motivationsschreiben zu verfassen, heißt das noch lange nicht, dass dieser Bewerber besser geeignet ist für den Job als einer, der ein weniger gutes Schreiben geschickt hat.
"Im KMU-Bereich ist es immer noch Realität, dass Bewerber nicht einmal eine Reaktion auf ihre Bewerbung bekommen."
Bernhard WinklerGeschäftsführender Gesellschafter, Trescon
Auch für die Bewerber selbst sei es ein großer Vorteil, zunächst die Fragen des Recruiting-Programmes zu beantworten. „Der glückliche Mitarbeiter ist das Bestreben solcher Tools, also sind sie keineswegs Feind der Bewerber, sondern können zum Beispiel aufzeigen, ob der jeweilige Job und die Firma im Endeffekt wirklich zu einem passen oder nicht“, erzählt Roth. Viele Bewerber würden weniger als eine Minute damit verbringen, sich mit einer Stellenausschreibung auseinanderzusetzen – die Gefahr, sich für einen Job zu bewerben, der gar nicht den eigenen Vorstellungen entspricht, ist daher groß. Wer hingegen mit konkreten Fragen konfrontiert wird und eventuell auch Persönlichkeits- und fachliche Tests macht, kann bereits abschätzen, worum es wirklich geht.
Freund statt Feind
Welcher Bewerber schließlich eingestellt wird, entscheidet bei dieser europäischen Form von Roboter-Recruiting am Ende der Personalchef oder der Unternehmer selbst – anders ist es in Amerika. Hier trifft man den neuen Mitarbeiter oft erst am ersten Arbeitstag persönlich. „Davon würde ich zum jetzigen Zeitpunkt noch abraten, weil die Technologien noch nicht genügend ausgereift sind – es werden aber zur Zeit Studien durchgeführt, um zu vergleichen, wie erfolgreich ein Roboter bei der Personalbeschaffung im Vergleich zum Personaler ist“, sagt Roth. Momentan seien die Testergebnisse relativ ausgeglichen, die Systeme lernen aber hinzu, die Menschen werden immer freigiebiger mit ihren Daten, sodass ein Roboter immer mehr Informationen finden könne. Die amerikanischen Systeme würden zwar noch einige Gefahren mit sich bringen, hätten aber ganz klare Vorteile: „Man geht damit weg vom Bauchgefühl, hin zu mehr Objektivität. Klar wissen wir, dass der erste Eindruck zählt. Wir wissen aber auch, dass der erste Eindruck meist trügt. Ein Roboter kann hingegen ganz viele Eindrücke auf einmal gewinnen und damit ein aussagekräftigeres Bild geben“, erklärt der IT-Experte. Die Schauspieler unter uns, die ein ausgeprägtes Talent haben, sich selbst beim Bewerbungsgespräch perfekt in Szene zu setzen, haben es damit also schwer – ein Roboter lässt sich davon nicht beeindrucken.
"Klar wissen wir, dass der erste Eindruck zählt. Wir wissen aber auch, dass der erste Eindruck meist trügt. Ein Roboter kann hingegen ganz viele Eindrücke auf einmal gewinnen."
Markus RothGeschäftsführer, Creative Bits
Jetzt kommt die Frage, die ja kommen musste: Wenn Roboter also in Zukunft auch hierzulande vielleicht die besseren Personal-Recruiter sind, brauchen wir dann bald keine Personalchefs mehr? Im Gegenteil, meint Markus Roth: „Recruiting ist nur ein Teil eines Personalers, seine wesentliche Aufgabe ist es vielmehr, das Personal dahingehend zu entwickeln, dass es perfekt eingesetzt wird. Das Wertvollste überhaupt ist ein Mitarbeiter, der lange im Unternehmen bleibt.“ Gerade durch den Fachkräftemangel, die demographische Entwicklung und die Tatsache, dass Mitarbeiter heute viel bereitwilliger den Arbeitgeber wechseln als früher, werden Personaler vor große Herausforderungen gestellt. „Da kann man die Unterstützung eines Roboters im Recruiting-Prozess sehr gut gebrauchen, um die Zeitressourcen in diese wichtigen Bereiche zu verschieben“, erklärt Roth.
Auch Bernhard Winkler, geschäftsführender Gesellschafter der Betriebsberatungsfirma Trescon, sieht den Roboter nicht als Feind sondern vielmehr als Freund. „Die Kompetenzen und Verantwortungsbereiche eines Personalers verschieben sich, es kommt zu einem Upgrade – da kann ein Roboter natürlich in der Akquisition sehr hilfreich sein.“ Zumindest dann, wenn eine Vielzahl an Bewerbungen bearbeitet werden muss. „Dort kann man so ein System sehr gut einsetzen“, sagt Winkler. In jenen Bereichen – etwa in der Technik – wo ein Mangel an Bewerbern herrsche, seien Personaler gefragter denn je zuvor. Hier ginge es zunächst einmal darum, das Interesse an der ausgeschriebenen Stelle zu wecken, eine hervorragende Arbeitgebermarke zu entwickeln und entdeckte Talente im Unternehmen zu halten. „Früher hatten wir einen starken Arbeitgebermarkt – die Unternehmen konnten in sämtlichen Bereichen aus vielen Bewerbern wählen. Heute haben wir einen Kandidatenmarkt – Kandidaten mit gefragten Qualifikationen können sich aussuchen, wo sie arbeiten möchten“, erzählt Winkler, der seit über 20 Jahren im Personalbereich tätig ist. Umso wichtiger sei es, auch während des gesamten Bewerbungsprozesses einen guten Eindruck als Unternehmen bei allen Bewerbern zu hinterlassen, um die Arbeitgebermarke zu stärken. „Recruiting-Software-Tools bringen auch den Vorteil mit sich, dass der Recruiting-Prozess professionell abläuft und es nicht passieren kann, dass am Ende ein Bewerber plötzlich einen extrem schlechten Eindruck vom Unternehmen hat – worüber er zudem fast immer im Bekanntenkreis spricht.“ Im KMU- Bereich sei es immer noch Realität, dass Bewerber nicht einmal eine Reaktion auf ihre Bewerbung bekommen. „Schnelle und agile Entscheidungsprozesse sind aber im Recruiting ganz wesentlich“, weiß Winkler.
Sechs Sinne versus Tausende Analysen
Damit das gelingt, lagern viele Unternehmen das Thema Personalbeschaffung aus – ob in Zukunft vermehrt auf Roboter oder weiterhin auf Personalberatungsunternehmen – diese Entscheidung muss jeder Unternehmer selbst treffen. Und sie wird nicht immer einfach sein, denn während der Roboter zwar im Sammeln und Analysieren von Daten klar die Nase (sofern er eine besitzt) vorn hat, bleibt die menschliche Komponente eindeutig der große Vorteil von Personal-Experten. Denn wer
Jahrzehnte lang Erfahrungen im Umgang mit Bewerbern gesammelt hat, der lässt sich weder von schauspielerischen Talenten blenden, noch vom Foto täuschen, noch übersieht er außergewöhnliche Qualifikationen, die sich eben nicht mit kurzen Schlagworten erklären lassen. Außerdem könne ein Bewerber im persönlichen Gespräch mit einem Personalexperten keine 08-15-Tricks anwenden – für die optimale Bewerbung an den Roboter gebe es in Amerika aber bereits jetzt jede Menge Tipps, weiß Markus Roth. Vielleicht braucht es eben doch vielmehr Menschenkenntnis und Gespür, um besondere Menschen und damit wertvolle Mitarbeiter zu entdecken. Der Roboter würde darauf wohl erwidern: „Bedenken Sie aber: Irren ist menschlich. Und irrtümlich eingestellte Mitarbeiter sind teuer.“