Unser Arbeitsmarkt: heute und in Zukunft
„Mein Wunsch ist, dass es zu einer besseren sozialen Absicherung der unteren Einkommensbereiche kommt“, so Thomas Grandner, Dozent an der Wirtschaftsuniversität Wien am Department für Volkswirtschaft. Wohin sich der Arbeitsmarkt gerade entwickelt und worauf wir uns in Zukunft einstellen müssen? Wir machen den Faktencheck!
#1 Keine gleiche Entlohnung
Der Gender-Pay-Gap zeigt es deutlich, ebenso der Gender-Wage-Gap, der den Unterschied zwischen den Medianeinkommen von Frauen und Männern misst: In Österreich gibt es in keinem Bereich gleiche Entlohnung für gleiche Arbeit. „Berücksichtigt man Ausbildung, Arbeitszeiten und Arbeitserfahrung, sind Frauen immer schlechter dran als Männer.“ Österreich und Deutschland sind Länder, die an der Spitze der Diskriminierung stehen. Hier gibt es großen Handlungsbedarf!
#2 Krise? Nein, Strukturwandel!
Die Fakten sind bekannt: Es kam durch die Coronakrise zu globalen Lieferkettenengpässen, die noch länger spürbar sein werden und die auch den Arbeitsmarkt verändert haben. Der Anteil an ausländischen Fachkräften hat sich durch die Lockdowns verringert und die Baby-Boomer-Generation geht in Pension. Grund zur Sorge? Eher nicht. „Es hat sich durch die Krisen einfach ein Strukturwandel am Arbeitsmarkt ergeben. In einigen Branchen ist die Beschäftigung etwas zurückgegangen, in anderen aber stark gestiegen.“ Die durchschnittliche Beschäftigung ist zwischen 2018 und 2022 trotz aller Herausforderungen um knapp 4,5 Prozent gestiegen. In Bereichen wie der IT sogar um 40 Prozent. Die stärksten Verlierer waren die produzierenden Betriebe.
#3 Notwendige Migration
Im Gesundheitssektor nahm die durchschnittliche Beschäftigung stark zu, da der Pflegebedarf größer wird und sich die Bevölkerungspyramide rasch verändert. Die Nachfrage nach Gesundheitsdiensten und Pflege ist überproportional gestiegen und die Deckung des Fachkräftebedarfs kann in dieser Branche, aber auch in anderen, nur durch gezielte Migration gelöst werden. Denn auch in Zukunft wird der Bedarf hoch bleiben.
#4 Bildung, Bildung, Bildung
Welche Veränderungen durch die Krisen werden bleiben? „Der Arbeitsmarkt befindet sich in ständigem Wandel und dieser passiert in Schüben. Dass neue Technologien die Arbeitslosigkeit erhöhen, gab es bereits im 18. Jahrhundert. Im Schnitt ist die Beschäftigung aber gewachsen und das wird so bleiben.“ Aber: Es braucht adäquate Ausbildungen und lebenslanges Lernen. Bei Personen, die nur einen Pflichtschulabschluss besitzen, liegt die Arbeitslosigkeit bei 20 Prozent, wohingegen bei jenen mit Lehrabschluss nur vier bis sechs Prozent arbeitslos sind.
Wir sollten uns keine Sorgen darüber machen, ob uns die Arbeit ausgeht.
Thomas Grandner Dozent, Wirtschaftsuniversität Wien, Department für Volkswirtschaft
#5 Steigende Dynamik
Aufgrund der heutigen Veränderungen des Arbeitsmarktes ist auch die Dynamik am Arbeitsplatz viel größer geworden. Heutzutage wird niemand mehr einen Beruf erlernen und ihn bis zur Pension ausüben. Der Lernprozess wird uns alle über die Schule hinaus auch in unseren Betrieben begleiten. Diese sollten bestenfalls Weiterbildungsangebote zur Verfügung stellen. Und bereits junge Menschen müssen lernen, diese Angebote regelmäßig zu nutzen, um anpassungsfähig zu bleiben.
#6 Arbeitszeitverkürzung durch Produktivitätssteigerung
Wenn man die Zeitspanne der letzten 150 Jahre betrachtet, ist die durchschnittliche Arbeitszeit stetig gesunken. Nur in den letzten 20 Jahren stagniert diese Entwicklung bei rund 40 Stunden pro Woche. Dennoch sinkt die Arbeitszeit durch einen Anstieg der Teilzeitarbeitskräfte. „Wir hätten die Möglichkeit einer 32-Stunden-Woche, wenn im Gegenzug die Produktivität steigt, eventuell auch durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Allerdings ist dies auch eine Frage der Einkommensverteilung. Über eine Arbeitszeitverkürzung wird man sich dann freuen, wenn man es sich leisten kann.“ Wenn die Vollzeitbeschäftigten nur 30 statt 40 Stunden arbeiten, könnten sie auch mehr Tätigkeiten im Haushalt übernehmen und die Geschlechterrollen würden sich langfristig gedacht verschieben.
#7 Frauen in die Technik
Berufe, die von Frauen dominiert sind, wie zum Beispiel der Dienstleistungssektor oder die Pflege, werden nicht so gut bezahlt wie männerdominierte Berufe. Soweit bekannt. Oft geht es hierbei aber um die Unterscheidung von Technik und Nicht-Technik. Ein wichtiger Hebel, um dies aufzubrechen, wird auch die Förderung von Mädchen und jungen Frauen in MINT-Berufen sein. Obwohl es schon entsprechende Angebote gibt, meint Grandner: „Die Gesellschaft muss lernen, dass es normal ist, wenn Frauen in diesen Bereichen arbeiten.“
#8 Attraktive Lehre
Welche Lösungsansätze gibt es nun für die aktuellen Herausforderungen am Arbeitsmarkt? Ein erster Schritt wäre, die Lehrberufe attraktiver zu machen, indem man sie zum Beispiel noch stärker mit der Matura verknüpft. Großen Unternehmen wird die Stärkung der Lehre leichter fallen als KMU, deswegen sind hier die Wirtschaftskammer, die Gewerkschaften und die öffentliche Hand gefordert. Die Schwierigkeit daran wird sein, den Lehrberuf nach oben zu öffnen, aber dabei auch das untere Bevölkerungssegment abzusichern. „Der untere Rand des Arbeitsmarktes ist sehr prekär und ist gekennzeichnet durch volatile Arbeitsverhältnisse. Es ist wichtig, dass der Arbeitsmarkt für alle eine Absicherung bietet, nicht nur für die oberen Schichten, um Armut zu verhindern.“_